Mutter Courage und ihre Kinder

von Bertolt Brecht mit Musik von Paul DessauPremiere am 8. Oktober 2020 Schauspielhaus, Großes HausSchauspiel

Über das Stück

Ganz Europa ist verwüstet, der Dreißigjährige Krieg hat den Kontinent schon vor Jahren ins Chaos gestürzt. Doch eine will sich ihr bisschen Glück davon nicht madig machen lassen: die Marketenderin Anna Fierling. Mit ihrem Wagen folgt sie den Truppen kreuz und quer durch Europa, um am Rande des Schlachtfelds ihre Waren zu verkaufen. Als »Mutter Courage« ist die findige Geschäftsfrau bekannt, seit sie unter Einsatz ihres Lebens fünfzig Brote ins belagerte Riga brachte, weil sich so Höchstpreise erzielen ließen. Dabei gilt Annas ganze Sorge ihren drei Kindern, deren Väter längst verschollen sind und die sie heil durch den Krieg bringen will – lockte da nicht der nächste Deal. Aber jede noch so kluge Geschäftsentscheidung, die das Überleben der Kleinfamilie sichern soll, entpuppt sich im Nachhinein als großes Unglück. Die Courage verliert ihre Tugend, ihre Menschlichkeit und schließlich auch ihre Kinder.

Brecht schrieb »Mutter Courage« im schwedischen Exil, kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, und prägte so das berühmte Wort vom »Krieg, der eine Fortführung der Geschäfte mit anderen Mitteln ist«. Als Parabel auf die völlige Aussichtslosigkeit des Verwertungsprinzips hält sich das Werk bis heute in den Spielplänen – ein Musterbeispiel des epischen Theaters, das die Zuschauer:innen dazu auffordert, die Ereignisse auf der Bühne kritisch und distanziert zu betrachten, um so das politische Bewusstsein zu schulen. Ungeachtet dessen erweisen sich die Sympathien des Publikums gegenüber der Figur der Kapitalistin Mutter Courage als hartnäckig. Am Düsseldorfer Schauspielhaus wird Rosa Enskat diese ikonische, höchst ambivalente Rolle spielen. Regie führt der ausgewiesene Brecht-Kenner Sebastian Baumgarten, der »Mutter Courage« als säkulares Passionsspiel und Tragödie in Szene setzt. Die Courage als Antiheilige, immer hin- und hergerissen zwischen der Liebe zu ihren Kindern und den Zwängen des Geschäfts.

Audio­einführung

Besetzung

Mutter Courage Rosa Enskat
Kattrin, ihre stumme Tochter Lea Ruckpaul
Eilif, der ältere Sohn Raphael Gehrmann
Schweizerkas, der jüngere Sohn Jonas Friedrich Leon­hardi
Der Feldprediger Rainer Philippi
Yvette Pottier Cathleen Baumann
Der Feldhauptmann Markus Danzeisen
Video Philipp Haupt
Licht Jean-Mario Bessière
Musik Christoph Clöser, Jörg Follert
Live-Musik Christoph Clöser
Dramaturgie Janine Ortiz

Dauer

2 Stunden — keine Pause

Trailer

Pressestimmen

Ein hyperventilierter Mix aus Revue, Comic und Video-Projektionen. Starke Bilder und sehr starke Schauspieler.
Westdeutsche Zeitung
Sebastian Baumgarten inszeniert Brechts Stück über den Dreißigjährigen Krieg als eine Mischung aus Revue und Videokunst. Am Schluss der Inszenierung wird es immer gespenstischer. Rosa Enskat verkörpert die Courage anfangs mit viel Temperament, zum Schluss hin immer häufiger verhalten. Der Dreißigjährige Krieg hinter lässt seine Spuren, und am Ende steht nicht nur sie vor einem jener Trümmerhaufen, die von Zeit zu Zeit über die riesige Videowand im Hintergrund der Bühne flimmerten. Mutter Courage soll kein Mitleid auf sich ziehen. Rosa Enskat spielt diese Rolle zwischen grotesken Ungetümen auf der Bühne in Outfits von heute herb genug, um Brechts Forderung zu erfüllen. Die Songs von Paul Dessau klingen hier ziemlich rockig. Als bester Schauspieler erweist sich kurioserweise eine Nebenfigur: Wolfgang Michalek als Koch. Seine wechselnden Grimassen zu erleben, die Rauchwolken, die er von Zeit zu Zeit ausstößt, die Gerissenheit, mit der auch er auf seinen Vorteil bedacht ist – das ist ein Vergnügen am Rande und trifft den Kern des Stücks.
Rheinische Post
Die interessanteste Figur ist Lea Ruckpauls stumme Kattrin, die hochpräsent das Geschehen rein mimisch und körperlich reflektiert, in einer schönen Szene einer Prostituierten die roten Schuhe stiehlt: die unfassbare Sehnsucht eines Menschen, der in einer Ewigkeit von dreißig Jahren um sein Leben betrogen wird. Die Inszenierung ist desto besser, je weiter sie sich von Brecht entfernt. Am Schluss tanzen die Figuren, ihrer Kostüme entledigt, in hautengen Bodies auf Rollschuhen, und die David-Lynch-hafte Düsternis, die grelle Apokalypse, die sich hier einstellt, entfacht einen Sog, den Brechts sogenannte Chronik aus dem Dreißigjährigen Krieg weitgehend schuldig geblieben ist.
nachtkritik.de
In dieser Manege und Geisterbahn behauptet sich Rosa Enskat als Courage: eine resolut-fragile Fee fatale und ramponierte Marionette ihres Soubretten-Schicksals, die als Discoqueen in ihre Zukunft tanzt wie alle Übrigen auch, die in fleischfarbenen Trikot-Unterkleidern den alten Adam und die alte Eva bloßlegen.
kultur.west
Ein bemerkenswerter Brecht-Abend. Am meisten besticht, wie raffiniert Sebastian Baumgarten Brechts in die Jahre gekommene Modell der Verfremdung in eine Ästhetik unserer Zeit hinüberrettet. [...] Wie hier trotz Abstand Intensität erwächst, das ist in Düsseldorf ein Meisterstück für sich.
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Eine schrille Revue. Die Musik ist bei Brecht immer ein wichtiges Thema. Das Lied von der Mutter Courage. Das sind die Momente, die wirklich schön und packend sind. Rosa Enskat spielt ganz hervorragend.
WDR5