
Das Pommes-Paradies
— Über Kinderarmut in einer reichen Stadt
— von Akın Emanuel Şipal — ab 10
— Uraufführung im April 2024 — Münsterstraße 446 — Junges Schauspiel
»Wir wollen die Stimmen der Kinder hören« — Die niederländische Regisseurin Liesbeth Coltof arbeitet an einem internationalen Theaterprojekt über Kinderarmut.
— Die Journalistin Marion Troja traf sie zum Gespräch.
Liesbeth Coltof, Sie sind als Theatermacherin seit Jahrzehnten weltweit unterwegs und haben viele Kinder getroffen. Wann ist ein Kind arm?
Wir sprechen nicht von arm. Das klingt, als sei es ihre eigene Schuld. Wir meinen Kinder, die von der Gesellschaft keine ausreichenden Möglichkeiten erhalten. Kinder, die nicht gut oder sicher wohnen. Oder Kinder, die schlechtere Chancen haben, eine gute Schule besuchen zu können. Es geht um den Zugang zu gesundem Essen. Wir haben zwar ein System, das allen Kindern die gleichen Möglichkeiten verspricht, das ist aber absolut nicht wahr.
Woran liegt das?
Es hängt davon ab, wo die Kinder herkommen und welches Einkommen die Eltern haben. Obwohl wir das nicht wollen, spielt Diskriminierung eine große Rolle. Diesen Kindern wird weniger zugetraut, ihre Chancen auf eine weiterführende Bildung sind um 40 Prozent schlechter als bei jenen, die aus wohlhabenderen Familien stammen.
Wir reden hier über reiche Länder wie Holland oder Deutschland.
Fehlt das Geld und müssen die Familien die ganze Zeit überlegen, wie sie über die Runden kommen, dann werden Kinder von Aktivitäten ausgeschlossen. Sie schämen sich und sagen lieber: Ich bin krank. Oder: Meine Mutter ist krank. Das betrifft Schulreisen, Sportvereine oder andere Klubs. Orte, an denen man Menschen kennenlernt und sich selbst entwickeln kann. Es ist erwiesen, dass Kinder, die mit Geldmangel aufwachsen, den Stress ihrer Eltern – häufig sind es alleinerziehende Mütter – übernehmen. Das hat nicht nur psychische Folgen, sondern auch physische. Stress lässt den Cortisol- und Adrenalinspiegel ansteigen, Organe entwickeln sich schlechter. Kinder, die in Armut aufwachsen, haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, später krank zu werden.
Das ist ein düsteres Bild. Wie kann Theater da helfen?
Ich habe nicht das Gefühl, dass Theater die Welt verändern kann. Das ist nicht der Grund, warum ich das mache. Die Familien und die Kinder sollen sehen, dass wir uns wirklich für sie interessieren. Dass wir ihre Geschichten wichtig und wertvoll finden. Empowerment. Wir versuchen, zu vermitteln, was die Kinder der Gesellschaft sagen wollen. Wir glauben, dass wir mit Kunst die Herzen berühren können.
Was bedeutet das konkret?
Mein Kollege Dennis Meyer und ich machen das zusammen. Leider können wir uns nicht mit allen Facetten von Armut beschäftigen. Aber wir werden an zehn Orten weltweit Projekte initiieren – und überall ein anderes Thema in den Mittelpunkt stellen.
Die Uraufführung von »Das Pommes-Paradies« im April 2024 im Jungen Schauspiel wird Teil von »10 Children« sein. Welchen Aspekt von Armut haben Sie ausgewählt?
Das zentrale Thema wird Essen sein. Kinder aus Familien, die wenig Geld haben, ernähren sich häufiger nicht gesund und bewegen sich zu wenig. Wenn Kinder dick sind, dann gibt man den Eltern die Schuld. Diese Familien können sich aber nicht gut kümmern. Wie soll das gehen, wenn sie mit 1,50 Euro pro Tag für jedes Kind auskommen müssen? Für vier Euro bekommt man drei Tiefkühlpizzas – Fleisch oder Gemüse ist viel teurer.
Mit diesem Projekt vernetzen Sie Städte weltweit.
Wir arbeiten zurzeit in Düsseldorf, Cleveland, Kapstadt, São Paulo, Mumbai und Orten in Kambodscha und Puerto Rico. Es werden neun verschiedene Länder sein, und die zehnte Begegnung ist als großes Festival geplant.
Welche Parallelen erkennen Sie weltweit?
Stress. Von Scham hört man immer wieder, aber der Stress ist viel gefährlicher. Die Kinder befinden sich in einer Art Überlebensmodus. Sie versuchen, ihre Eltern zu beschützen, und wollen nicht weg von der Familie. Das sind Parallelen. Und wir sehen den Mut, den die Kinder jeden Tag aufbringen, um die Situationen zu bewältigen. Zur Schule gehen, Hausaufgaben machen. Die Kinder sind wahnsinnig stark, man kann kaum glauben, wie selbstständig und unabhängig sie sind. Was wir ebenfalls feststellen: Sie haben nicht gelernt, über sich selbst zu reden. Das wollen sie auch nicht, weil es nicht so schön ist. Die Antworten lauten häufig: Ja, nein, weiß ich nicht.
Was motiviert Sie zu so einem Riesenprojekt?
Die Armut wird immer größer. Es gibt aber immer mehr Menschen, die das gar nicht im Blick haben. Viele Leute helfen bereits, aber das System muss sich ändern. Menschen sollten nicht von Spenden oder Unterstützungen abhängig sein. Die Wut vieler, die an der Armutsgrenze leben, verstehe ich. Und das hilft den rechten Parteien, sie nutzen diese Wut aus, die Lebenswirklichkeit der Menschen ändern sie aber nicht. Das ist gefährlich.
Liesbeth Coltof ist eine international renommierte Theaterregisseurin. Sie war lange künstlerische Leiterin der Toneelmakerij Amsterdam. 2016 und 2022 wurden ihre Inszenierungen für junges Publikum mit dem deutschen Theaterpreis Der Faust prämiert.
Wir sprechen nicht von arm. Das klingt, als sei es ihre eigene Schuld. Wir meinen Kinder, die von der Gesellschaft keine ausreichenden Möglichkeiten erhalten. Kinder, die nicht gut oder sicher wohnen. Oder Kinder, die schlechtere Chancen haben, eine gute Schule besuchen zu können. Es geht um den Zugang zu gesundem Essen. Wir haben zwar ein System, das allen Kindern die gleichen Möglichkeiten verspricht, das ist aber absolut nicht wahr.
Woran liegt das?
Es hängt davon ab, wo die Kinder herkommen und welches Einkommen die Eltern haben. Obwohl wir das nicht wollen, spielt Diskriminierung eine große Rolle. Diesen Kindern wird weniger zugetraut, ihre Chancen auf eine weiterführende Bildung sind um 40 Prozent schlechter als bei jenen, die aus wohlhabenderen Familien stammen.
Wir reden hier über reiche Länder wie Holland oder Deutschland.
Fehlt das Geld und müssen die Familien die ganze Zeit überlegen, wie sie über die Runden kommen, dann werden Kinder von Aktivitäten ausgeschlossen. Sie schämen sich und sagen lieber: Ich bin krank. Oder: Meine Mutter ist krank. Das betrifft Schulreisen, Sportvereine oder andere Klubs. Orte, an denen man Menschen kennenlernt und sich selbst entwickeln kann. Es ist erwiesen, dass Kinder, die mit Geldmangel aufwachsen, den Stress ihrer Eltern – häufig sind es alleinerziehende Mütter – übernehmen. Das hat nicht nur psychische Folgen, sondern auch physische. Stress lässt den Cortisol- und Adrenalinspiegel ansteigen, Organe entwickeln sich schlechter. Kinder, die in Armut aufwachsen, haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, später krank zu werden.
Das ist ein düsteres Bild. Wie kann Theater da helfen?
Ich habe nicht das Gefühl, dass Theater die Welt verändern kann. Das ist nicht der Grund, warum ich das mache. Die Familien und die Kinder sollen sehen, dass wir uns wirklich für sie interessieren. Dass wir ihre Geschichten wichtig und wertvoll finden. Empowerment. Wir versuchen, zu vermitteln, was die Kinder der Gesellschaft sagen wollen. Wir glauben, dass wir mit Kunst die Herzen berühren können.
Was bedeutet das konkret?
Mein Kollege Dennis Meyer und ich machen das zusammen. Leider können wir uns nicht mit allen Facetten von Armut beschäftigen. Aber wir werden an zehn Orten weltweit Projekte initiieren – und überall ein anderes Thema in den Mittelpunkt stellen.
Die Uraufführung von »Das Pommes-Paradies« im April 2024 im Jungen Schauspiel wird Teil von »10 Children« sein. Welchen Aspekt von Armut haben Sie ausgewählt?
Das zentrale Thema wird Essen sein. Kinder aus Familien, die wenig Geld haben, ernähren sich häufiger nicht gesund und bewegen sich zu wenig. Wenn Kinder dick sind, dann gibt man den Eltern die Schuld. Diese Familien können sich aber nicht gut kümmern. Wie soll das gehen, wenn sie mit 1,50 Euro pro Tag für jedes Kind auskommen müssen? Für vier Euro bekommt man drei Tiefkühlpizzas – Fleisch oder Gemüse ist viel teurer.
Mit diesem Projekt vernetzen Sie Städte weltweit.
Wir arbeiten zurzeit in Düsseldorf, Cleveland, Kapstadt, São Paulo, Mumbai und Orten in Kambodscha und Puerto Rico. Es werden neun verschiedene Länder sein, und die zehnte Begegnung ist als großes Festival geplant.
Welche Parallelen erkennen Sie weltweit?
Stress. Von Scham hört man immer wieder, aber der Stress ist viel gefährlicher. Die Kinder befinden sich in einer Art Überlebensmodus. Sie versuchen, ihre Eltern zu beschützen, und wollen nicht weg von der Familie. Das sind Parallelen. Und wir sehen den Mut, den die Kinder jeden Tag aufbringen, um die Situationen zu bewältigen. Zur Schule gehen, Hausaufgaben machen. Die Kinder sind wahnsinnig stark, man kann kaum glauben, wie selbstständig und unabhängig sie sind. Was wir ebenfalls feststellen: Sie haben nicht gelernt, über sich selbst zu reden. Das wollen sie auch nicht, weil es nicht so schön ist. Die Antworten lauten häufig: Ja, nein, weiß ich nicht.
Was motiviert Sie zu so einem Riesenprojekt?
Die Armut wird immer größer. Es gibt aber immer mehr Menschen, die das gar nicht im Blick haben. Viele Leute helfen bereits, aber das System muss sich ändern. Menschen sollten nicht von Spenden oder Unterstützungen abhängig sein. Die Wut vieler, die an der Armutsgrenze leben, verstehe ich. Und das hilft den rechten Parteien, sie nutzen diese Wut aus, die Lebenswirklichkeit der Menschen ändern sie aber nicht. Das ist gefährlich.
Liesbeth Coltof ist eine international renommierte Theaterregisseurin. Sie war lange künstlerische Leiterin der Toneelmakerij Amsterdam. 2016 und 2022 wurden ihre Inszenierungen für junges Publikum mit dem deutschen Theaterpreis Der Faust prämiert.
Besetzung
RegieLiesbeth Coltof
BühneGuus van Geffen
KostümMartina Lebert
MusikMatts Johan Leenders
DramaturgieKirstin Hess
TheaterpädagogikLena Hilberger
Gefördert vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft Nordrhein-Westfalen