Solingen 1993

Eine theatrale Busreise in die Vergangenheitvon Bassam Ghazi und Birgit LengersUraufführung am 15. April 2023Central, Bus, SolingenStadt:Kollektiv

Über das Stück

Stellen Sie sich vor, Sie steigen in einen Reisebus, um die berühmte Klingenstadt mit all ihren Sehenswürdigkeiten zu besuchen. Angeblich erwartet Sie eine erlebnisreiche Reise in die 90er-Jahre: das Fußball-Märchen, Game Boys und Boybands, ein wiedervereintes Deutschland im Euphorie-Rausch. Doch für viele Menschen markieren die Daten keine Freudenzeit, sondern den Beginn systematischer rassistischer Übergriffe und Verfolgung – von Rostock-Lichtenhagen über Mölln bis Hoyerswerda und Solingen. Was geschah hier in Solingen in der Nacht auf den 29. Mai 1993? Vier junge Männer verübten einen Brand- und Mordanschlag auf das Haus der Familie Genç, bei dem fünf Frauen und Mädchen starben: Gürsün Ince (26), Hatice Genç (18), Gülüstan Öztürk (12), Hülya Genç (9) und Saime Genç (4). Dieser rassistische Anschlag hat nicht nur Solingen verändert.

Begeben Sie sich zu Fuß auf einer von vier Routen durch die Stadt. Die Wege widmen sich unterschiedlichen Themen, nehmen verschiedene Erzählperspektiven ein: Familienstimmen, Tatnacht, Hintermänner und Hintergründe, Stimmen dieser Stadt. Begegnen Sie auf Ihrem Weg Performer:innen und Zeitzeug:innen. Suchen Sie denkwürdige Orte auf und rekonstruieren Sie die Ereignisse der Tatnacht. Hören Sie dabei die Stimmen der betroffenen Familie und einer erschütterten migrantischen Gesellschaft.

Das Stadt:Kollektiv lädt mit neun Performer:innen ein zu einer gegenwärtigen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit – immersiv und reflektierend, gedenkend und ergreifend: Wie erinnern wir 30 Jahre und eine Generation später an diesen Anschlag? Wie gehen wir um mit einer Vergangenheit, die nicht erledigt ist? Wie kann gelebte Solidarität heute aussehen?
»Solingen 1993«, eine theatrale Busreise in die Vergangenheit von Bassam Ghazi, Birgit Lengers und Ensemble ist für den Deutschen Theaterpreis »Der Faust« in der Kategorie »Genrespringer« nominiert. »Der Faust« ist der wichtigste Theaterpreis im deutschsprachigen Raum. Er wird jährlich vom Deutschen Bühnenverein zusammen mit der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste und der Kulturstiftung der Länder vergeben. Dieses Jahr findet die feierliche Verleihung am 16. November 2024 im Theater Altenburg Gera statt.

Audioeinführung

Besetzung

Von und mit Finn Leon Çam, Anahit Grigorian, Rudayna Hussein, Dilan Kılıç, Len Königs, Narges Moghimi, Anne Lena Taubken, Leonie Kristin Vehlewald, Saskia Wagner
Zeitzeuginnen Gitta Burberg, Birgül Demirtaş, Fatma Yilmaz
Regie Bassam Ghazi
Ausstattung Karolina Wyderka
Digitalkonzept Cyber­Räuber, Mirko Krejci (powered by adaptor:ex)
Produktionsleitung Marion Avgeris
Dramaturgie Birgit Lengers
Aufzeichnung Interview Hatice und Kamil Genç Ayşe Kalmaz
Filmische Dokumentation Sevda Melek Bilan, Karla Stindt, Marike Flömer

Dauer

4 Stunden (inklusive Busfahrten) — keine Pause

Nominiert für den Deutschen Theaterpreis »Der Faust«

Trailer

Pressestimmen

Regisseur Bassam Ghazi kämpft mit einem Theaterstück gegen das Vergessen. Ghazi hat bewusst Schauspieler ausgesucht, die alle nach 1993 geboren sind. Die sich wochenlang in die Ereignisse von damals einlasen, selbst die Interviews mit der Familie Genç führten, Zeitzeugen trafen und den Psychologen der Familie. Viele der Darsteller sind selbst Kinder von Eltern mit Migrationsgeschichte, einige haben selbst eine. Ghazi will, dass auch diese Generation ihren eigenen Weg der Erinnerung findet.
Spiegel Online
Gemeinsam mit dem Schauspielhaus Düsseldorf nimmt Regisseur Bassam Ghazi die Zuschauer mit auf einen Erinnerungsspaziergang quer durch Solingen, ins Jahr 1993, das Jahr des Brandanschlags, eines der schwersten rassistischen Verbrechen der Nachkriegszeit, das niemals vergessen werden dürfe. Solingen ist auch jetzt, ist eine Botschaft des Theaters.
ARD Tagesthemen
Die Performer:innen sind alle nach dem Brandanschlag geboren und haben keine eigenen Erinnerungen an die Ereignisse. Ihre Beschäftigung mit der Vergangenheit und das Weitergeben an die Zuschauenden ist ein lebendiger Akt von Erinnerungskultur. Auch dieses Stück hat Familie Genç unterstützt. In Sprachnachrichten und Videos erzählt die Familie von ihrem Leid.
3sat Kulturzeit
Diese theatrale Busreise unter der Regie von Bassam Ghazi und aufgeführt von Laiendarstellerinnen auch aus Solingen, entzieht sich weitgehend einer Kritik. Nicht, weil jede der Darstellungen der Stationen fraglos gelungen wäre. Sondern weil es zu diesen Dokumentationen keine Alternative gibt. Weil die Ermordeten und das Leid ihrer Angehörigen nicht historisch werden dürfen. Die Zeit heilt keine Wunden, heißt es irgendwann in »Solingen 1993«. Die Kunst auch nicht. Nichts ist abgeschlossen. Und auch die Rückreise ist nur eine Etappe. Davor: anhaltender Premierenapplaus im Bärenloch.
Rheinische Post
Düsseldorfer Schauspielhaus geht mit dem Stadt:Kollektiv neuen Weg der Erinnerungskultur. Uraufführung von »Solingen 1993« beeindruckt. Das Stück will die Tatnacht nicht nachspielen, sondern den betroffenen Menschen eine Stimme geben. Mitglieder, Freunde und Verwandte der Familie Genç kamen zu Wort und erzählten ihre Geschichten.
Westdeutsche Zeitung
Mit allen Mitteln und Medien wird auf dieser theatralen Reise das Publikum eingebunden. Es ist eine Rückeroberung der Geschichte durch die Generation der Nachgeborenen.
Deutschlandfunk Kultur Rang 1
An den verschiedenen Stationen wird die Geschichte der Opfer, die Tatnacht, die Gerichtsverhandlung oder die Rolle des Verfassungsschutzes thematisiert. Der Theaterbesuch wird zum intensiven Gedenken.
WDR Lokalzeit Bergisches Land
Alles andere als eine gewöhnliche Straßentheater-Performance, basierend auf wahren Ereignissen. Man ist nicht nur körperlich vom Laufen platt, sondern auch emotional. Vor allem, wenn man an die Stelle kommt, an der einst das Haus der Familie Genç stand. Am Ende werden die Teilnehmer:innen mit dem Gefühl entlassen, dass die Zeit nicht alle Wunden heilt und noch viele Fragen offen sind.
WDR Cosmo