
Homeoffice
— von Toshiki Okada
— Uraufführung im April 2024 — Schauspielhaus, Großes Haus — Schauspiel
Über den Autor und Regisseur Toshiki Okada
— von Makiko Yamaguchi
Mit dem japanischen Theatermacher Toshiki Okada verbindet Makiko Yamaguchi eine langjährige Zusammenarbeit. In ihrem Essay beschreibt die Dramaturgin und Dolmetscherin Okadas Bedeutung für das japanische Gegenwartstheater. Im Frühjahr 2024 wird Okada erstmals am Düsseldorfer Schauspielhaus inszenieren und dafür ein Stück schreiben, das sich mit der postpandemischen Arbeitswelt, insbesondere mit dem Arbeiten im Homeoffice, auseinandersetzt.
Seine Theatergruppe chelfitsch gründete Toshiki Okada 1997. Und wie es in Japan oft der Fall ist, zeichnet er sowohl für den Text als auch für die Regie verantwortlich. Ihren ersten großen Erfolg hatte chelfitsch mit »Five Days in March« (2004), einer Produktion, die von heute aus betrachtet einen Wendepunkt für die japanische freie Theaterszene darstellte. Das Stück handelt von jungen Menschen in Tokyo und wie sie die Tage rund um den Ausbruch des Golfkriegs im März 2003 verbringen, wobei die inneren Haltungen der Figuren über choreografische Bewegungen ausgedrückt werden. 1973 in Yokohama geboren, gehört Toshiki Okada nunmehr seit vielen Jahren zu den einflussreichsten Theatermacher:innen Japans. Die Arbeiten der chelfitsch-Kompanie wurden zu zahlreichen internationalen Gastspielen eingeladen und waren mehrfach auch in Deutschland zu erleben.
Okadas eigene, unverkennbare Ästhetik begeisterte die europäische Theaterwelt von der ersten Begegnung an. Nach einem Gastspiel beim belgischen Kunstenfestivaldesarts 2007 bekam die Gruppe mehr als 40 Einladungen – so wurde Okada über Nacht zum Protagonisten einer jüngeren japanischen Theatergeneration, die auch international wahrgenommen und anerkannt wurde. Dabei gehört er zur sogenannten »Lost Generation« Japans, die sich nach dem Platzen der Aktien- und Immobilienblase in den als »Eiszeit« bezeichneten 1990er-Jahren auf dem Arbeitsmarkt zurechtfinden musste. Der kritische Blick auf die japanische Gesellschaft bestimmt bis heute Okadas Theaterkunst. Die Atomkatastrophe in Fukushima 2011 war eine weitere prägende Erfahrung: Er zog mit seiner Frau und seinen beiden Kindern weit in den Westen, nach Kumamoto; und die nach 2011 entstandenen Arbeiten bringen seine politische Haltung noch eindringlicher zum Ausdruck. Theater ist ein essenzielles Medium für ihn.
Vor einigen Jahren besuchte Okada einen Ort an der Küste im Nordwesten Japans, der 2011 von mehreren Tsunamis, die viele Menschenleben gefordert hatten, schwer beschädigt worden war. Daraufhin hatte man eine zwölf Meter hohe und zwei Kilometer lange Mauer entlang der Küste als Schutzmaßnahme vor möglichen weiteren Tsunamis errichtet. Die Dimension dieses Versuchs der Menschen, die Natur kontrollieren zu wollen, kam Okada äußerst absurd vor. Seitdem interessiert er sich für eine Alternative zur anthropozentrischen Weltanschauung, was sich u. a. in seinen Arbeiten mit chelfitsch widerspiegelt.
Finanzkrise, Generationenkluft, Leiharbeiter:innen, Hikikomori (dt. gesellschaftlicher Rückzug), Bullshit-Jobs, Familie – die Themen von Okadas Stücken stammen zwar oft aus einer Betrachtung der japanischen Gesellschaft, finden jedoch auch in Deutschland ein Publikum: 2009 produzierte chelfitsch ein neues Stück für das Berliner HAU – Hebbel am Ufer. In »Hotpepper, Air Conditioner and the Farewell Speech« geht es um neue Formen der Arbeit und die prekäre Situation von Leiharbeiter:innen. 2014 entstand »Super Premium Soft Double Vanilla Rich« für das Festival Theater der Welt in Mannheim, das von einer aus den Fugen geratenen Servicementalität in einem 24-Stunden-Shop erzählt. Eine enge Zusammenarbeit verbindet Okada mit dem deutschen Intendanten und Dramaturgen Matthias Lilienthal, der ihn mehrfach an das HAU und an die Münchner Kammerspiele engagiert hat. Hier arbeitete Okada erstmals mit dem Ensemble eines deutschsprachigen Stadttheaters zusammen und wurde mit »The Vacuum Cleaner« zum Berliner Theatertreffen 2020 eingeladen. Die zweite Einladung folgte 2022 mit »Doughnuts«, Okadas erster Produktion am Hamburger Thalia Theater.
Gesellschaftliche Phänomene sind oft Ausgangspunkte seiner Arbeiten, die Frage nach der Form im Theater empfindet Okada jedoch als ebenso zentral. Die Zusammenarbeit mit den Ensembles in München und Hamburg eröffnete ihm einen Einblick in das ihm bisher unbekannte »System Stadttheater«. Aus der Notwendigkeit heraus, seine Ästhetik und sein Theaterverständnis den Schauspieler:innen zu vermitteln, begann er sie neu zu formulieren: Das Verhältnis zwischen Text und Bewegung ist entscheidend. Jede:r Darsteller:in sucht anhand des Textes nach eigenen Imaginationen. Aus den Imaginationen heraus entstehen Bewegungen; Imagination choreografiert den Körper. Diese Art des Umgangs mit dem Text ist für viele eine ungewohnte Erfahrung.
Okada arbeitet nicht nur mit eigenen Texten, sondern setzt sich auch mit traditionellen Stücken und Materialien auseinander, etwa mit der japanischen Oper der 1950er-Jahre, mit der Übertragung von Nō-Theater-Stücken ins zeitgenössische Japanisch sowie mit der Neuinterpretation eines bekannten Kabuki-Stücks. Außerdem schreibt er Romane – sein jüngstes Werk, »Broccoli Revolution«, wurde 2022 mit dem Yukio Mishima Literaturpreis ausgezeichnet. Derzeit reizt es Okada wieder einmal, ihm unbekannte Welten zu entdecken: Gemeinsam mit Dai Fujikura, einem Komponisten aus London, und Schauspieler:innen von chelfitsch sucht er nach einer neuen Form des Musiktheaters – »Verwandlung eines Wohnzimmers«, eine Auftragsarbeit der Wiener Festwochen 2023, wird zurzeit in Yokohama geprobt.
Menschen in Tokyo pendeln oft bis zu zwei Stunden zur Arbeit. Da war das Homeoffice erst mal ein Geschenk – vier Stunden mehr Leben! Aber dazu kamen die beengten Wohnungen und die Isolation, die ohnehin ein Thema der japanischen Gesellschaft ist. Kann eine Online- Begegnung sinnlich sein? Oder wollen wir unser Büro mit Topfpflanze wieder?
Seine Theatergruppe chelfitsch gründete Toshiki Okada 1997. Und wie es in Japan oft der Fall ist, zeichnet er sowohl für den Text als auch für die Regie verantwortlich. Ihren ersten großen Erfolg hatte chelfitsch mit »Five Days in March« (2004), einer Produktion, die von heute aus betrachtet einen Wendepunkt für die japanische freie Theaterszene darstellte. Das Stück handelt von jungen Menschen in Tokyo und wie sie die Tage rund um den Ausbruch des Golfkriegs im März 2003 verbringen, wobei die inneren Haltungen der Figuren über choreografische Bewegungen ausgedrückt werden. 1973 in Yokohama geboren, gehört Toshiki Okada nunmehr seit vielen Jahren zu den einflussreichsten Theatermacher:innen Japans. Die Arbeiten der chelfitsch-Kompanie wurden zu zahlreichen internationalen Gastspielen eingeladen und waren mehrfach auch in Deutschland zu erleben.
Okadas eigene, unverkennbare Ästhetik begeisterte die europäische Theaterwelt von der ersten Begegnung an. Nach einem Gastspiel beim belgischen Kunstenfestivaldesarts 2007 bekam die Gruppe mehr als 40 Einladungen – so wurde Okada über Nacht zum Protagonisten einer jüngeren japanischen Theatergeneration, die auch international wahrgenommen und anerkannt wurde. Dabei gehört er zur sogenannten »Lost Generation« Japans, die sich nach dem Platzen der Aktien- und Immobilienblase in den als »Eiszeit« bezeichneten 1990er-Jahren auf dem Arbeitsmarkt zurechtfinden musste. Der kritische Blick auf die japanische Gesellschaft bestimmt bis heute Okadas Theaterkunst. Die Atomkatastrophe in Fukushima 2011 war eine weitere prägende Erfahrung: Er zog mit seiner Frau und seinen beiden Kindern weit in den Westen, nach Kumamoto; und die nach 2011 entstandenen Arbeiten bringen seine politische Haltung noch eindringlicher zum Ausdruck. Theater ist ein essenzielles Medium für ihn.
Vor einigen Jahren besuchte Okada einen Ort an der Küste im Nordwesten Japans, der 2011 von mehreren Tsunamis, die viele Menschenleben gefordert hatten, schwer beschädigt worden war. Daraufhin hatte man eine zwölf Meter hohe und zwei Kilometer lange Mauer entlang der Küste als Schutzmaßnahme vor möglichen weiteren Tsunamis errichtet. Die Dimension dieses Versuchs der Menschen, die Natur kontrollieren zu wollen, kam Okada äußerst absurd vor. Seitdem interessiert er sich für eine Alternative zur anthropozentrischen Weltanschauung, was sich u. a. in seinen Arbeiten mit chelfitsch widerspiegelt.
Finanzkrise, Generationenkluft, Leiharbeiter:innen, Hikikomori (dt. gesellschaftlicher Rückzug), Bullshit-Jobs, Familie – die Themen von Okadas Stücken stammen zwar oft aus einer Betrachtung der japanischen Gesellschaft, finden jedoch auch in Deutschland ein Publikum: 2009 produzierte chelfitsch ein neues Stück für das Berliner HAU – Hebbel am Ufer. In »Hotpepper, Air Conditioner and the Farewell Speech« geht es um neue Formen der Arbeit und die prekäre Situation von Leiharbeiter:innen. 2014 entstand »Super Premium Soft Double Vanilla Rich« für das Festival Theater der Welt in Mannheim, das von einer aus den Fugen geratenen Servicementalität in einem 24-Stunden-Shop erzählt. Eine enge Zusammenarbeit verbindet Okada mit dem deutschen Intendanten und Dramaturgen Matthias Lilienthal, der ihn mehrfach an das HAU und an die Münchner Kammerspiele engagiert hat. Hier arbeitete Okada erstmals mit dem Ensemble eines deutschsprachigen Stadttheaters zusammen und wurde mit »The Vacuum Cleaner« zum Berliner Theatertreffen 2020 eingeladen. Die zweite Einladung folgte 2022 mit »Doughnuts«, Okadas erster Produktion am Hamburger Thalia Theater.
Gesellschaftliche Phänomene sind oft Ausgangspunkte seiner Arbeiten, die Frage nach der Form im Theater empfindet Okada jedoch als ebenso zentral. Die Zusammenarbeit mit den Ensembles in München und Hamburg eröffnete ihm einen Einblick in das ihm bisher unbekannte »System Stadttheater«. Aus der Notwendigkeit heraus, seine Ästhetik und sein Theaterverständnis den Schauspieler:innen zu vermitteln, begann er sie neu zu formulieren: Das Verhältnis zwischen Text und Bewegung ist entscheidend. Jede:r Darsteller:in sucht anhand des Textes nach eigenen Imaginationen. Aus den Imaginationen heraus entstehen Bewegungen; Imagination choreografiert den Körper. Diese Art des Umgangs mit dem Text ist für viele eine ungewohnte Erfahrung.
Okada arbeitet nicht nur mit eigenen Texten, sondern setzt sich auch mit traditionellen Stücken und Materialien auseinander, etwa mit der japanischen Oper der 1950er-Jahre, mit der Übertragung von Nō-Theater-Stücken ins zeitgenössische Japanisch sowie mit der Neuinterpretation eines bekannten Kabuki-Stücks. Außerdem schreibt er Romane – sein jüngstes Werk, »Broccoli Revolution«, wurde 2022 mit dem Yukio Mishima Literaturpreis ausgezeichnet. Derzeit reizt es Okada wieder einmal, ihm unbekannte Welten zu entdecken: Gemeinsam mit Dai Fujikura, einem Komponisten aus London, und Schauspieler:innen von chelfitsch sucht er nach einer neuen Form des Musiktheaters – »Verwandlung eines Wohnzimmers«, eine Auftragsarbeit der Wiener Festwochen 2023, wird zurzeit in Yokohama geprobt.
Menschen in Tokyo pendeln oft bis zu zwei Stunden zur Arbeit. Da war das Homeoffice erst mal ein Geschenk – vier Stunden mehr Leben! Aber dazu kamen die beengten Wohnungen und die Isolation, die ohnehin ein Thema der japanischen Gesellschaft ist. Kann eine Online- Begegnung sinnlich sein? Oder wollen wir unser Büro mit Topfpflanze wieder?