»Peer Gynt« — Über Kunst und Klimaschutz

Anlässlich der ersten klimaneutralen Premiere am Düsseldorfer Schauspielhaus »Peer Gynt« spricht Dramaturg David Benjamin Brückel mit künstlerischen und technischen Beteiligten der Produktion über Erwartungen und Erfahrungen. — Die Gesprächspartner:innen sind Anna Brandstätter, Kostümbildnerin, Maximilian Gens, Technischer Direktor, Susanne Hoffmann, Koordinatorin der Klimabilanz von »Peer Gynt«, Wolfgang Menardi, Bühnenbildner, Bernadette Sonnenbichler, Regisseurin sowie Cornelia Walter, Künstlerische Projektleiterin.
Foto: ingenhoven architects HGEsch

»Das Positive sichtbar machen«

David Benjamin Brückel — »Peer Gynt« ist die erste klimaneutrale Produktion am Düsseldorfer Schauspielhaus. Was bedeutet das für den künstlerischen Bereich – mit welchen Überlegungen sind Sie in die Vorbereitungen gestartet?
Bernadette Sonnenbichler — Zunächst einmal muss man sich mit den Gegebenheiten vertraut machen, bevor man sie verbessern kann. Die Klimabilanz des Düsseldorfer Schauspielhauses ist eine Bestandsaufnahme, um in Zukunft CO2 und andere klimaschädliche Emissionen einsparen zu können. Klimaneutralität ist in unserem Zusammenhang ein dehnbarer Begriff. Letztlich haben wir von der Kulturstiftung des Bundes die Vorgabe erhalten, dass wir nicht mehr als 73 Tonnen CO2 verbrauchen dürfen, die wir durch Zertifikate ausgleichen können.

Wolfgang Menardi — Ich finde spannend, wie viele verschiedene Ansätze es gibt, mit den Themen Klimaneutralität und Nachhaltigkeit auf der Bühne umzugehen. Ich habe mich für eine Art des Recyclings entschieden. Die Welt von Peer Gynt besteht aus vielen Versatzstücken seines Lebens und aus Erinnerungen, die zusammengeworfen sind, sich überlagern. Deshalb habe ich auch Elemente aus ehemaligen Bühnenbildern von mir wiederverwendet und so miteinander kombiniert, dass eine neue Welt entsteht. Ich mag daran, dass Dinge nicht immer aus einem Guss sein müssen, dass auch ein Eklektizismus der Mittel und Stile zu einem runden Ganzen kombiniert werden kann. »Peer Gynt« bietet sich dafür wirklich an. Außerdem war mir wichtig, dass man dem Theater die Nachhaltigkeit vielleicht gar nicht ansehen muss im Sinne einer Reduziertheit, dass es trotzdem möglich ist, ein reiches Bilderrepertoire zu gestalten.

Anna Brandstätter — Ich finde »Peer Gynt« geradezu prädestiniert für dieses Experiment. Die Hauptfigur ist ein Geschichtenerzähler. Und die unzähligen Kostümteile im Fundus des Düsseldorfers Schauspielhauses erzählen ebenfalls eine Fülle an Geschichten. Der Ansatz für das Kostümbild war, nach vorhandenen Materialien zu suchen und diese neu zusammenzusetzen. Ich habe überlegt, wie sich Geschichten, die in diesen Kostümteilen stecken, anders interpretieren oder neu erfinden lassen. Es ging mir aber nicht nur um Dinge aus dem Fundus, sondern auch um Stoffe, die im Haus vorhanden waren, die wir aus irgendwelchen Kisten gezogen haben, um daraus neue Kostüme zu nähen. Viele Abteilungen im Haus haben mein Konzept mit ihrem Wissen unterstützt. Die Maske kam plötzlich mit alternativen Materialien um die Ecke, zum Beispiel mit Hanfseilen, die aufgedröselt wurden, um daraus Perücken zu knüpfen. Das war ein spannender Prozess, der auch viel mit dem Prinzip Zufall zu tun hatte. Wenn ich ein bestimmtes Kostümteil nicht im Fundus gefunden habe, nahm ich etwas anderes und habe versucht, durchs Bearbeiten, Färben oder Collagieren etwas daraus zu machen, was meiner Vorstellung entsprach.
Auf dem Bild: Raphael Gehrmann, Heiko Raulin, Mila Moinzadeh, Moritz Klaus, Jürgen Sarkiss, Rolf Mautz. Foto: Melanie Zanin
Durch den Fokus Klimaneutralität kommen neue Aufgaben auf die Gewerke und Mitarbeiter:innen zu. Was bedeutet das im Arbeitsalltag?
Susanne Hoffmann — Das neue Klimabewusstsein zieht eine aufwendige Dokumentation der Arbeitsabläufe nach sich. Ich habe sowohl Sätze gehört wie: »Da habe ich jetzt wirklich andere Probleme«. Aber auch: »Kein Problem. Wir haben bereits eine Excel-Tabelle angelegt.«
Was steht in der Excel-Tabelle?
Susanne Hoffmann — Darin werden zum Beispiel Transportwege festgehalten oder die Materialzusammensetzung von Kostümteilen. Das wird bei »Peer Gynt« alles detailliert erfasst. Dabei handelt es sich um einen Mehraufwand, den die Kolleg:innen erst mal leisten müssen. Mir ist aufgefallen, dass die Gewerke bereits in einem sehr engen Austausch miteinander stehen. Das ist durch die klimaneutrale Produktion noch etwas intensiver geworden. Theater verfügen über Infrastrukturen, die es erleichtern, nachhaltig zu arbeiten. Wir verfügen über einen Fundus, abgespielte Kulissen werden wiederverwendet ... Wir brauchen im Hinblick auf Klimaneutralität einen großen Umbruch, auch im Theater, aber es gibt bereits positive Ansätze, die wir seit langer Zeit kultivieren.
Die Förderung durch die Kulturstiftung des Bundes sah jenseits der Erarbeitung der Inszenierung »Peer Gynt« die Erstellung einer Klimabilanz für das Düsseldorfer Schauspielhaus vor. Was lässt sich daraus ableiten?
Maximilian Gens — Die Klimabilanz hat ergeben, dass der Stromverbrauch an unserem Theater kein relevantes Problem darstellt. Auch unsere Materialflüsse bewegen sich im Rahmen. Natürlich lässt sich noch mehr einsparen. Der größte Punkt ist die Mobilität, sind Arbeitswege von Mitarbeiter:innen und Anreisen des Publikums. Die Frage ist, wie man in der Richtung noch weiter sensibilisieren kann. Bei den Mitarbeiter:innen funktioniert das sicherlich gut über interne Kommunikation. Fahrten in Düsseldorf legen heute schon die meisten mit Fahrrädern oder dem ÖPNV zurück. Doch wir leben in einer großen Metropolregion, viele Menschen kommen von außerhalb. Um auf das Auto als Transportmittel zu verzichten, braucht es mehr Anreiz und Wettbewerb für einen zuverlässigen Nahverkehr. Auf Seiten des Publikums braucht es klare Informationen und eine deutliche Ansprache. In den Theatertickets sind beispielsweise Fahrten mit dem öffentlichen Nahverkehr im VRR Gebiet enthalten. Das wissen viele Menschen gar nicht. Natürlich gibt es aber auch bei uns im Theater Einsparpotenziale, die wir gerne noch mehr ausschöpfen wollen. Das führt uns zu einer Diskussion über künstlerische Freiheit. Bisher ist das finanzielle Budget im Grunde genommen der einzige Grund für die Einschränkung künstlerischer Freiheit am Theater.

Bernadette Sonnenbichler — Und natürlich Kapazitäten, Aufbauzeiten, Lagermöglichkeiten und so weiter.

Maximilian Gens — Das stimmt. In der Regel gibt es jedoch viele Freiheiten, und die Grenzen der Möglichkeiten sind bislang die Kapazitäten und das Geld. Ich denke, dass ein Umdenken dahingehend stattfinden muss, dass auch die Klimabilanz einer Produktion eine wichtige Größe ist.

Bernadette Sonnenbichler — Wobei man noch mal unterscheiden kann, was auf Betriebsebene und was auf der Bühne stattfindet. Da geht es mir tatsächlich um künstlerische Freiheit. Das Licht ist ein Sektor, bei dem man schlecht sparen kann. Es gibt bestimmte Scheinwerfertypen, die man weglassen könnte. Doch wenn man festlegt, dass zwei Drittel der Scheinwerfer gesperrt sind, hat das massive Auswirkungen auf die Kunst. Ein anderes Thema ist es für mich, über Licht und Einsparungen im Betrieb nachzudenken. Welche Lampen werden in den Büros und in den Werkstätten installiert? Wo werden Zeitschaltuhren und Bewegungsmelder eingesetzt? Ab wann lässt sich die Beleuchtung im Haus abschalten? Aber ich möchte nicht zu Regisseur:innen sagen müssen, dass ihre künstlerische Arbeit nur noch bestimmten Leitlinien folgen darf. Das wäre mir ein zu großer Einschnitt. Ich könnte mir jedoch vorstellen, dass die Abteilungen mit der Zeit ein immer höheres Bewusstsein für die Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit entwickeln und zu einer langsam, aber stetig treibenden Kraft werden. Ich glaube daran, dass durch die Klimabilanz und ein sehr bewusstes Energiemanagement ein Prozess des Gelingens in Gang kommt.

Maximilian Gens — Dafür müssen wir aber noch viel stärker ins Messen kommen. Wirkliches CO2-Controlling allein in den Energieflüssen ist momentan noch nicht exakt möglich. Es stellt sich die Frage nach dem Grundverbrauch unseres Hauses und welcher Anteil davon auf eine einzelne Produktion umgelegt wird oder ob man bei einer Inszenierung nur den Verbrauch auf der Bühne berücksichtigt. Um genauer zu werden, brauchen wir mehr Daten. Es gibt aber einen Bereich, in dem jede:r bereits anpacken kann: Jede Entscheidung, die früh getroffen wird, sorgt dafür, dass sich zum Beispiel Bestellungen bündeln lassen. Wenn man sich in den Endproben immer wieder neue Schuhe kommen lassen möchte, führt das zu einem massiven Bestellfluss und zu erhöhten Einzelmobilitäten der Zusteller:innen. So wird am Ende viel CO2 für Unentschiedenheit ausgegeben.

Cornelia Walter — Mich beschäftigt die Frage, wer zukünftig darüber entscheidet, wo wieviele Emissionen entstehen dürfen. Künstler:innen entwickeln Ideen. Die Aufgabe der verschiedenen Abteilungen des Theaters ist es, diese Ideen im Rahmen gegebenen Ressourcen umzusetzen. Dabei wollen weder die künstlerische und technische Leitung Grenzen setzen, noch die Kunst sich selbst beschränken. So entsteht jedes Mal aufs Neue ein Tauziehen. Wer also setzt die Grenzen für die Emissionen? Letztendlich finde ich es zwar naheliegend, dass die Institution der Kunst eine Art Gerüst vorgibt, trotzdem muss sich auch in der Kunst ein Bewusstsein für Emissionen entwickeln, damit es gut gelingt.

Bernadette Sonnenbichler — Ich denke, dass es in Sachen CO2-Budget so laufen muss wie mit dem Geld. Es gibt einen künstlerischen Jahresetat, der auf die verschiedenen Produktionen verteilt wird.
Auf dem Bild: Jürgen Sarkiss, Heiko Raulin, Mila Moinzadeh. Foto: Melanie Zanin
Die Premiere von »Peer Gynt« ist am 12. Januar 2024. Wir sprechen heute am 21. Dezember 2023 miteinander. Wenn wir schon mal etwas vorausblicken – woran sollten wir uns in Zukunft erinnern? Welche Erfahrungen waren lehrreich?
Anna Brandstätter — Auch in Zukunft möchte ich, wenn ich an ein Theater komme, erst mal schauen, was überhaupt vorhanden ist. Ich habe mich oft schnell dazu verleiten lassen, Kostümteile zu kaufen oder alles anfertigen zu lassen, weil es eben schneller geht. Die aktuelle Erfahrung hat mir gezeigt, dass ich durch eine andere Arbeitsweise viele neue Materialien für meine Arbeit entdecken kann. Das möchte ich in zukünftigen Entwicklungsprozessen beibehalten.

Wolfgang Menardi — In der Vorbereitungsphase habe ich eine Liste mit vorhandenen, abgespielten Bühnenbildern erhalten. Das war großartig. Ich fände es toll, wenn es für Bühnenbildner:innen Übersichtskataloge geben würde. Dafür müsste vielleicht eine Stelle geschaffen werden. Gleichzeitig ließe sich Geld sparen, wenn Möbel und Materialien nicht einfach entsorgt würden. Es gibt auch Überlegungen, gemeinsame Bühnenbildlager einzurichten. Wenn es hieße, es gäbe da 45 verschiedene Türen, aus denen man sich eine aussuchen kann, könnte ich mir das vorstellen. Allerdings würde ich ungern zu viel aus anderen Bühnenbildern samplen. Das ist auch eine Frage des Copyrights.

Maximilian Gens — Wenn wir die Themen Klimaneutralität und Nachhaltigkeit weiterverfolgen wollen, müssen wir überlegen, wie wir präziser Daten erheben und Emissionsbudgets in künstlerische Prozesse einbinden können. Wir sollten auf jeden Fall darüber im Gespräch bleiben und die gewonnenen Erkenntnisse sichern und anwenden. Für mich bedeutet das: Wissensmanagement im Großen und Kommunikation im Kleinen.

Bernadette Sonnenbichler — Mir sind die Worte von Prof. Dr. Manfred Fischedick vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie in Erinnerung geblieben. Herr Fischedick hat bei einem Treffen für die von der Kulturstiftung des Bundes im Fonds Zero geförderten Projekte gesagt: »Der CO2-Fußabdruck ist im Kultursektor lächerlich gering im Vergleich zu anderen Playern in der Stadt, im Vergleich zur Industrie und so weiter. Ihr Potential liegt vor allem im sogenannten Handabdruck.«
Also in der Frage, wie positive Auswirkungen von Klimaschutz sichtbar gemacht und kommuniziert werden. Ich finde es wichtig und gut, dass wir uns am eigenen Schopf packen und Veränderungen im Theater herbeiführen. Und gleichzeitig erhoffe ich mir, dass wir mit unseren Erzählungen und Geschichten, mit einer nachhaltigen Inszenierung und dem Begleitprogramm wie der Klimamesse, das Bewusstsein für das Thema vergrößern können. Damit schlagen wir einen Pflock ein. Und dieser Pflock bedeutet etwas für die Zukunft des Hauses.
Auf dem Bild: Heiko Raulin, Kilian Ponert, Mila Moinzadeh, Raphael Gehrmann, Rolf Mautz, Jürgen Sarkiss. Foto: Melanie Zanin