
Richard III.
— von William Shakespeare
— Premiere am 2. September 2023 — Schauspielhaus, Großes Haus — Schauspiel
Ich bin so hässlich. Ich bin der Hass. — Shakespeares »Richard III.« und die Verschlingung von Ästhetik und Moral
— von Janine Ortiz
»Hass macht hässlich! Schauen Sie doch in den Spiegel!« So schimpfte der SPD-Abgeordnete Johannes Kahrs im September 2018 in Richtung der AfD-Fraktion. Seine polemische Attacke führte zum Eklat im Bundestag; die Angesprochenen verließen aufgebracht den Saal. Der Wunsch, schon auf den ersten Blick zu erkennen, was wir von unserem Gegenüber zu erwarten haben, sitzt tief. Der Sehnsucht des Menschen, sich das Gute als »schön« und das Böse als »hässlich« vorzustellen, haben zahlreiche Künstler:innen über die Jahrhunderte in ihren Werken Nahrung gegeben. Wer kennt sie nicht, die bocksbeinigen Teufel am unteren Rand des Altarbildes, auf die holde Engel von oben herabblicken? Und genau hier holt Shakespeare uns, sein Publikum, ab: Mit der Figur Richards III. betritt ein Tyrann die Bühne, der bereits in der ersten Szene verkündet, dass er von der Natur benachteiligt worden sei – schon hässlich geboren –, weshalb er nun aufbreche, die Macht an sich zu reißen und die Welt zu verderben.
Richards großes Spiel folgt auch der Annahme, dass man Moral nicht sehen kann. Denn ebenso tief verwurzelt wie das Vorurteil, das Gute sei schön und das Böse sei hässlich, ist die Hoffnung denkender Menschen, dass man durch genaues Zuhören und Hinsehen den Fehler vermeiden könne, ästhetische und moralische Fragen zu vermengen. Denk nach, hör zu und sieh hin, dann bist du auf dem Königsweg zu einer besseren Welt! So bemühen sich anfangs alle, die sich Richard entgegenstellen, seinem abstoßenden Äußeren nicht allzu viel Bedeutung beizumessen, es nicht als Ausdruck seiner inneren Verderbtheit anzusehen. Dazu bedarf es einer gewissen Selbstüberwindung. Denn das eigene Schönheitsempfinden zu ignorieren ist ein zivilisatorischer Akt. Und diejenigen, die ihn vollbringen, dürfen sich zu recht gut fühlen, wegen ihrer Vorurteilslosigkeit. Leider gerät dabei allzu leicht in Vergessenheit, dass der andere nicht immer die besten Absichten verfolgt, Worte nicht immer wahrhaftig sind und selbst das täuschen kann, was einem klar vor Augen steht. Mit anderen Worten: Der Hässliche ist nicht automatisch »böse«, aber eben auch nicht automatisch »gut«.
Es gibt zwei Dinge, die im Leben wichtig sind: Das eine ist die Liebe, das andere ist die Macht. Die Liebe kann Richard sowieso vergessen, glaubt er, mit seinem Äußeren. Jetzt geht es um die Macht. Um die reine Macht, die schafft auch Freude und Lust. Richard zieht diesen Gedanken mit einer Konsequenz durch, die Normalsterbliche nachzuvollziehen gar nicht in der Lage sind. Das ist der Stil absoluter Herrschaft. Nicht: Ich will alle vernichten. Sondern: Ich muss alle vernichten, die mir gefährlich werden können – weil Selbstdurchsetzung das Einzige ist, was mir übrig bleibt. Das hat es historisch zur Genüge gegeben. Josef Stalin errichtete während seiner Regierungszeit in der Sowjetunion eine totalitäre Diktatur und ließ im Rahmen politischer »Säuberungen« mehrere Millionen vermeintliche und tatsächliche Gegner:innen verhaften und ermorden. Darunter befanden sich auch seine engsten Vertrauten, Freund:innen und Familienangehörigen, selbst wenn diese keinerlei politische Ambitionen hegten. Niemand sollte überleben, der »den Stählernen« noch aus früheren Zeiten kannte. Dass man nur Macht haben kann, wenn man sich der Menschen, die einem die Macht streitig machen können, entledigt, war Stalins These. (Stalin war allerdings zumindest als junger Mann außerordentlich schön, das sollte nicht unerwähnt bleiben.) Was von außen wie der reine Vernichtungswille wirkt, ist aus der Sicht des Diktators betrachtet Selbsterhaltungstrieb im äußersten Extrem – und natürlich trügerisch, denn das äußerste Extrem der Selbsterhaltung grenzt an die Selbstvernichtung.
Der russische Philosoph Boris Groys sagt über das Verhältnis von Intellektuellen und Literat:innen zu Stalin: »Viele hofften, Stalin zu beeinflussen. Mandelstam hat zwei, drei Gedichte für ihn geschrieben, Pasternak hat sich direkt an ihn gewandt. Diese Tradition reicht zurück bis zu Puschkin und Nikolaus I. Es geht um das Verhältnis zur Herrschaft, um Konkurrenz und Komplizenschaft. Viele Künstler und Intellektuelle wollten im Stalinismus daran anknüpfen. Bachtins Buch über den Karneval beschreibt ziemlich präzise die Bacchanale der 1930er-Jahre, den jähen Wechsel zwischen Aufstieg und Untergang. Bulgakow glaubte, nur Stalin könne ihn verstehen. Er gehörte zu den wenigen, die Stalin verschonte. Sein Roman ›Der Meister und Margarita‹ ist ebenfalls karnevalistisch. Die Stalinzeit war ein grausamer und fröhlicher Karneval, dem niemand entgehen konnte.« Ob das nun die Hybris einer künstlerischen Intelligenzija war, die glaubte, mitgestalten zu können, oder nicht – eine Aufgabe und der Anspruch des Theaters, damals wie heute, könnte es sein, zu zeigen, wie genau dieser Mechanismus funktioniert. Auch und gerade wenn das bedeutet, das eigene Tun zu überprüfen.
Shakespeares »Richard III.« umreißt im Verlauf eines Theaterabends Aufstieg und Fall eines Tyrannen. Männer wie Frauen fallen reihenweise auf Richard herein, weil sie seine Schmeicheleien lieben, ja! Aber auch weil sie der puren Behauptung seiner Macht und seiner Bestimmung unterliegen. Das ist die Faszination des Hässlichen, die sich in einer Engführung von ästhetischen und moralischen Kategorien mit der Faszination des Bösen verbindet. Man kann von solchen Gestalten fasziniert sein. Was ist das bloß mit dieser Macht? Warum ist sie so attraktiv und macht zudem diejenigen attraktiv, die sie besitzen? Weil man handlungsfähig ist, weil man das Höchstmaß an Handlungsfähigkeit eines Individuums erreicht.
Diktatoren sind allesamt hässlich: unbelebte Mimik, steife Körperhaltung, nichtlebendige Ausstrahlung. Aber das ist der Blick von außen, nicht wahr? Adolf Hitler galt vielen seiner Anhänger:innen als Springquell der Vitalität und der Sympathie. Dass wir ihn nun als Giftzwerg oder wahlweise als steifes, unansehnliches, unerträgliches Monster sehen, liegt an unserem Wissen: Er ist »der Böse«. Sollte man nicht, um diese These zu überprüfen, Richard III. von einem schönen, von einem wirklich tollen, von einem stattlichen Mann spielen lassen, der nur die ganze Zeit behauptet, er sei hässlich? Er muss sagen, dass er hinkt, und hinkt doch nicht. Es macht einen schönen Menschen nicht unsympathisch, wenn er behauptet, er sei hässlich. Je schöner einer ist, desto mehr Angst kann er entwickeln, dass er doch nicht so schön ist. Da kann man sich so richtig reinsteigern.
Regisseur Evgeny Titov, der am Düsseldorfer Schauspielhaus zuletzt »Macbeth« auf die Bühne brachte, wird »Richard III.« mit André Kaczmarczyk in der Titelrolle inszenieren. Es handelt sich um den zweiten Teil einer Shakespeare-Trilogie, die noch um ein weiteres Tyrannendrama ergänzt werden wird.
Richards großes Spiel folgt auch der Annahme, dass man Moral nicht sehen kann. Denn ebenso tief verwurzelt wie das Vorurteil, das Gute sei schön und das Böse sei hässlich, ist die Hoffnung denkender Menschen, dass man durch genaues Zuhören und Hinsehen den Fehler vermeiden könne, ästhetische und moralische Fragen zu vermengen. Denk nach, hör zu und sieh hin, dann bist du auf dem Königsweg zu einer besseren Welt! So bemühen sich anfangs alle, die sich Richard entgegenstellen, seinem abstoßenden Äußeren nicht allzu viel Bedeutung beizumessen, es nicht als Ausdruck seiner inneren Verderbtheit anzusehen. Dazu bedarf es einer gewissen Selbstüberwindung. Denn das eigene Schönheitsempfinden zu ignorieren ist ein zivilisatorischer Akt. Und diejenigen, die ihn vollbringen, dürfen sich zu recht gut fühlen, wegen ihrer Vorurteilslosigkeit. Leider gerät dabei allzu leicht in Vergessenheit, dass der andere nicht immer die besten Absichten verfolgt, Worte nicht immer wahrhaftig sind und selbst das täuschen kann, was einem klar vor Augen steht. Mit anderen Worten: Der Hässliche ist nicht automatisch »böse«, aber eben auch nicht automatisch »gut«.
Es gibt zwei Dinge, die im Leben wichtig sind: Das eine ist die Liebe, das andere ist die Macht. Die Liebe kann Richard sowieso vergessen, glaubt er, mit seinem Äußeren. Jetzt geht es um die Macht. Um die reine Macht, die schafft auch Freude und Lust. Richard zieht diesen Gedanken mit einer Konsequenz durch, die Normalsterbliche nachzuvollziehen gar nicht in der Lage sind. Das ist der Stil absoluter Herrschaft. Nicht: Ich will alle vernichten. Sondern: Ich muss alle vernichten, die mir gefährlich werden können – weil Selbstdurchsetzung das Einzige ist, was mir übrig bleibt. Das hat es historisch zur Genüge gegeben. Josef Stalin errichtete während seiner Regierungszeit in der Sowjetunion eine totalitäre Diktatur und ließ im Rahmen politischer »Säuberungen« mehrere Millionen vermeintliche und tatsächliche Gegner:innen verhaften und ermorden. Darunter befanden sich auch seine engsten Vertrauten, Freund:innen und Familienangehörigen, selbst wenn diese keinerlei politische Ambitionen hegten. Niemand sollte überleben, der »den Stählernen« noch aus früheren Zeiten kannte. Dass man nur Macht haben kann, wenn man sich der Menschen, die einem die Macht streitig machen können, entledigt, war Stalins These. (Stalin war allerdings zumindest als junger Mann außerordentlich schön, das sollte nicht unerwähnt bleiben.) Was von außen wie der reine Vernichtungswille wirkt, ist aus der Sicht des Diktators betrachtet Selbsterhaltungstrieb im äußersten Extrem – und natürlich trügerisch, denn das äußerste Extrem der Selbsterhaltung grenzt an die Selbstvernichtung.
Der russische Philosoph Boris Groys sagt über das Verhältnis von Intellektuellen und Literat:innen zu Stalin: »Viele hofften, Stalin zu beeinflussen. Mandelstam hat zwei, drei Gedichte für ihn geschrieben, Pasternak hat sich direkt an ihn gewandt. Diese Tradition reicht zurück bis zu Puschkin und Nikolaus I. Es geht um das Verhältnis zur Herrschaft, um Konkurrenz und Komplizenschaft. Viele Künstler und Intellektuelle wollten im Stalinismus daran anknüpfen. Bachtins Buch über den Karneval beschreibt ziemlich präzise die Bacchanale der 1930er-Jahre, den jähen Wechsel zwischen Aufstieg und Untergang. Bulgakow glaubte, nur Stalin könne ihn verstehen. Er gehörte zu den wenigen, die Stalin verschonte. Sein Roman ›Der Meister und Margarita‹ ist ebenfalls karnevalistisch. Die Stalinzeit war ein grausamer und fröhlicher Karneval, dem niemand entgehen konnte.« Ob das nun die Hybris einer künstlerischen Intelligenzija war, die glaubte, mitgestalten zu können, oder nicht – eine Aufgabe und der Anspruch des Theaters, damals wie heute, könnte es sein, zu zeigen, wie genau dieser Mechanismus funktioniert. Auch und gerade wenn das bedeutet, das eigene Tun zu überprüfen.
Shakespeares »Richard III.« umreißt im Verlauf eines Theaterabends Aufstieg und Fall eines Tyrannen. Männer wie Frauen fallen reihenweise auf Richard herein, weil sie seine Schmeicheleien lieben, ja! Aber auch weil sie der puren Behauptung seiner Macht und seiner Bestimmung unterliegen. Das ist die Faszination des Hässlichen, die sich in einer Engführung von ästhetischen und moralischen Kategorien mit der Faszination des Bösen verbindet. Man kann von solchen Gestalten fasziniert sein. Was ist das bloß mit dieser Macht? Warum ist sie so attraktiv und macht zudem diejenigen attraktiv, die sie besitzen? Weil man handlungsfähig ist, weil man das Höchstmaß an Handlungsfähigkeit eines Individuums erreicht.
Diktatoren sind allesamt hässlich: unbelebte Mimik, steife Körperhaltung, nichtlebendige Ausstrahlung. Aber das ist der Blick von außen, nicht wahr? Adolf Hitler galt vielen seiner Anhänger:innen als Springquell der Vitalität und der Sympathie. Dass wir ihn nun als Giftzwerg oder wahlweise als steifes, unansehnliches, unerträgliches Monster sehen, liegt an unserem Wissen: Er ist »der Böse«. Sollte man nicht, um diese These zu überprüfen, Richard III. von einem schönen, von einem wirklich tollen, von einem stattlichen Mann spielen lassen, der nur die ganze Zeit behauptet, er sei hässlich? Er muss sagen, dass er hinkt, und hinkt doch nicht. Es macht einen schönen Menschen nicht unsympathisch, wenn er behauptet, er sei hässlich. Je schöner einer ist, desto mehr Angst kann er entwickeln, dass er doch nicht so schön ist. Da kann man sich so richtig reinsteigern.
Regisseur Evgeny Titov, der am Düsseldorfer Schauspielhaus zuletzt »Macbeth« auf die Bühne brachte, wird »Richard III.« mit André Kaczmarczyk in der Titelrolle inszenieren. Es handelt sich um den zweiten Teil einer Shakespeare-Trilogie, die noch um ein weiteres Tyrannendrama ergänzt werden wird.
Besetzung
Richard, Duke of Gloucester, Bruder König Edwards IV., später König Richard III.André Kaczmarczyk
Königin Elisabeth, Frau König Edwards IV.Judith Rosmair
Countess Rivers, ihre SchwesterPauline Kästner
Königin Margaret, Witwe König Henrys VI.Friederike Wagner
Lady Anne Neville, Schwiegertochter König Henrys VI., Witwe des Kronprinzen Edward von Westminster, später Frau König Richards III.Claudia Hübbecker
Herzogin von York, Mutter Edwards IV., Richards III. und Georges, Duke of ClarenceManuela Alphons
Hastings, Kammerzofe Richards III.Blanka Winkler
Kleiner Prinz / Lady Grey / König Edward IV. / Frauen am HofStatisterie
RegieEvgeny Titov
BühneEtienne Pluss
KostümEsther Bialas
MusikMoritz Wallmüller
LichtKonstantin Sonneson
DramaturgieJanine Ortiz
Termine
Sa, 02.09. / 19:30
Schauspiel
Premiere
frühbucher
http://www.dhaus.de/
D'haus - Düsseldorfer Schauspielhaus, Junges Schauspiel, Stadt:Kollektiv
Gustaf-Gründgens-Platz 1, 40211 Düsseldorf
D'haus - Düsseldorfer Schauspielhaus, Junges Schauspiel, Stadt:Kollektiv
Gustaf-Gründgens-Platz 1, 40211 Düsseldorf
Schauspielhaus — Großes Haus