
Dschinns
— von Fatma Aydemir
— Premiere am 29. September 2023 — Schauspielhaus, Kleines Haus — Stadt:Kollektiv
Deutsche Geschichten — Von der Selbstverständlichkeit (post-)migrantischer Literatur
— von Hartmut El Kurdi
Drei Generationen begeben sich in dem gefeierten Roman »Dschinns« von Fatma Aydemir auf eine Selbst- und Sinnsuche zwischen Deutschland und der Türkei. Aus verschiedenen Perspektiven wird von familiären Traditionen und Selbstbestimmung, Heimatlosigkeit und Queerness erzählt. In seinem Essay für das Spielzeitheft beschreibt der Theatermacher und Journalist Hartmut El Kurdi (u. a. Die Zeit, taz), wie er die bahnbrechende Arbeit einer neuen Autor:innengeneration, zu der auch Fatma Aydemir zählt, erlebt.
Als ich anfing zu lesen, schrieben Leute wie ich keine Bücher. Zumindest nicht hierzulande. Es gab keine deutschen Autor:innen mit einem El oder Al im Namen. Oder mit seltsamen Ypsilons oder überraschenden Umlauthäufungen. Sah man ein Ö oder Ü auf dem Buchcover, stand da »Müller« oder »Böll«. Auf keinen Fall »Özdoğan« oder »Yücel«. Auch als Personal existierten wir in der deutschen Literatur kaum. Vielleicht mal am Rande. Als Problem. Oder als Opfer. Nicht als handelnde Subjekte.
Anderswo war es anders. Dort hatten Migrant:innen, meist jedoch ihre Kinder und Enkel:innen, schon früher begonnen zu erzählen: von sich, von den Herkunftsländern ihrer Familien und von den Ländern, in die diese eingewandert waren. Von ihrem Alltag. Im Kino begeisterten mich Filme wie »Tee im Harem des Archimedes« (1985) oder »Mein wunderbarer Waschsalon« (1985). In der Literatur faszinierten mich Zadie Smith, Monica Ali, Salman Rushdie und Hanif Kureishi.
Dass es das damals in Deutschland nicht gab, hat vermutlich mit unserer von Frankreich und England abweichenden Geschichte der Einwanderung zu tun. Klar ist: In meiner Generation – ich bin Jahrgang 1964 – schafften es nur wenige Kinder aus den klassischen »Gastarbeiter:innen«-Familien, sich durch das sozial und dadurch auch ethnisch
segregierende deutsche Bildungssystem nach oben zu kämpfen. An meinem Gymnasium gab es kaum mehr als eine Handvoll PoCs. Wir waren eine Art Edel-Kanaken: entweder Kinder von iranischen Gynäkologen, indischen Ingenieuren, türkischen Lehrer:innen oder wir kamen – wie ich – zwar aus einer Working-Class-Familie, waren aber wenigstens von Anfang an deutschsprachig sozialisiert, weil wir entweder einen deutschen Elternteil hatten oder schon als Babys adoptiert worden waren. Später hörte ich von anderen Bildungswegen und dass es hier und da tatsächlich auch mal die eine sagenumwobene engagierte Lehrerin gegeben habe, die nicht von der Herkunft des Kindes auf seine Fähigkeit zu lernen schloss. Viel öfter aber hörte ich von den Lehrkräften, die »Ausländer«-Kindern grundsätzlich schlechtere Noten gaben – und nach der vierten Klasse geradezu rituell die gefürchtete Hauptschul-Empfehlung. Ich studierte dann übrigens irgendwas mit Kultur, und meine Kommiliton:innen kamen – wie überall in solchen Studiengängen – folgerichtig zu 98 Prozent aus der weißen deutschen Mittelschicht. Diese Ausbildungsquote spiegelte sich dann auch noch bis vor wenigen Jahren in den Verlagsprogrammen und Theaterspielplänen.
Irgendwann jedoch forderte die Mathematik ihren Tribut. Irgendwann gab es einfach zu viele Kanakenkinder, als dass man sie weiter aus den höheren Bildungsanstalten – und damit in der Folge auch aus den Kulturinstitutionen – heraushalten konnte. Inzwischen liegt der Anteil der Kinder mit dem berühmten »Migrationshintergrund« in Deutschland bei fast 40 Prozent, in den Großstädten bei über 50. Hinzu kommt, dass die nachfolgenden Generationen erfreulicherweise weniger Demut zeigen als die erste und die zweite; dass sie die Steine, die man ihnen immer noch von allen Seiten, nicht nur der deutschen, in den Weg legt, einfach selbstbewusst wegkicken. Wobei »einfach« und »selbstbewusst« in diesem Zusammenhang relative Begriffe sind. Individuell sind auch die »Erfolgs«-Stories oft Geschichten vom Scheitern, von Trotz, vom Hinfallen und Wiederaufstehen. Und vom Couragiertsein. Nicht zuletzt muss man sich – gerade mit Abitur in der Tasche – als Kind aus einem sozialen Milieu, in dem man sein Geld üblicherweise mit Fabrikarbeit oder Putzen verdient, erst mal trauen, Schriftsteller:in, Regisseur: in oder auch Literaturwissenschaftler:in zu werden. Statt Ärztin oder Anwalt.
Und dennoch: Sie sind da und sichtbar. Nicht mehr als Randphänomen, nicht mehr angewiesen auf irgendeine Art von Goodwill. Denn was an den Büchern, Theaterstücken, Filmen und Kabarettprogrammen von Autor:innen wie Fatma Aydemir, Mely Kiyak, Fatih Akin, Ronya Othmann, Fatih Çevikkollu, İdil Baydar, Bora Dağtekin, Bonn Park, Lin Hierse – um nur einige zu nennen – am meisten fasziniert und erfreut, sind zwei Dinge. Erstens: Sie sind gut. Zumindest nicht seltener als die Geschichten der deutschstämmigen Künstler:innen. Und zweitens: Es sind deutsche Geschichten. Nicht dass mich das »Deutsche« dieser Storys in einem patriotischen Sinne interessiert. Pässe, Grenzen, Volkszugehörigkeiten sind mir aus guten Gründen wurschter als wurscht. Aber mir ist wichtig, dass Kunst von den Menschen handelt, die dort leben, wo diese Kunst rezipiert wird. Als Autor interessieren mich nachvollziehbare Konflikte, Komik, Leid, Trost, Mut und Wut. Kunst entsteht immer aus Reibung. Egal wo wir oder unsere Eltern oder Großeltern geboren wurden. Aber wenn Teta und Dschiddo in Amman geboren wurden, sind die Reibungen manchmal andere, als wenn Omma und Oppa in Dortmund auf die Welt gekommen sind. Oft ist man aber auch überrascht, dass sich die Konflikte verblüffend ähneln. Davon muss erzählt werden. Von dem einen wie von dem anderen. So oder so. Mashalla.
Bassam Ghazi, Regisseur und Leiter des Stadt:Kollektiv, wird Fatma Aydemirs Roman »Dschinns« inszenieren. Er ergänzt das Familienepos über die erste und die zweite Generation der »Gastarbeiter:innen« um den heutigen Blick junger Menschen.
Als ich anfing zu lesen, schrieben Leute wie ich keine Bücher. Zumindest nicht hierzulande. Es gab keine deutschen Autor:innen mit einem El oder Al im Namen. Oder mit seltsamen Ypsilons oder überraschenden Umlauthäufungen. Sah man ein Ö oder Ü auf dem Buchcover, stand da »Müller« oder »Böll«. Auf keinen Fall »Özdoğan« oder »Yücel«. Auch als Personal existierten wir in der deutschen Literatur kaum. Vielleicht mal am Rande. Als Problem. Oder als Opfer. Nicht als handelnde Subjekte.
Anderswo war es anders. Dort hatten Migrant:innen, meist jedoch ihre Kinder und Enkel:innen, schon früher begonnen zu erzählen: von sich, von den Herkunftsländern ihrer Familien und von den Ländern, in die diese eingewandert waren. Von ihrem Alltag. Im Kino begeisterten mich Filme wie »Tee im Harem des Archimedes« (1985) oder »Mein wunderbarer Waschsalon« (1985). In der Literatur faszinierten mich Zadie Smith, Monica Ali, Salman Rushdie und Hanif Kureishi.
Dass es das damals in Deutschland nicht gab, hat vermutlich mit unserer von Frankreich und England abweichenden Geschichte der Einwanderung zu tun. Klar ist: In meiner Generation – ich bin Jahrgang 1964 – schafften es nur wenige Kinder aus den klassischen »Gastarbeiter:innen«-Familien, sich durch das sozial und dadurch auch ethnisch
segregierende deutsche Bildungssystem nach oben zu kämpfen. An meinem Gymnasium gab es kaum mehr als eine Handvoll PoCs. Wir waren eine Art Edel-Kanaken: entweder Kinder von iranischen Gynäkologen, indischen Ingenieuren, türkischen Lehrer:innen oder wir kamen – wie ich – zwar aus einer Working-Class-Familie, waren aber wenigstens von Anfang an deutschsprachig sozialisiert, weil wir entweder einen deutschen Elternteil hatten oder schon als Babys adoptiert worden waren. Später hörte ich von anderen Bildungswegen und dass es hier und da tatsächlich auch mal die eine sagenumwobene engagierte Lehrerin gegeben habe, die nicht von der Herkunft des Kindes auf seine Fähigkeit zu lernen schloss. Viel öfter aber hörte ich von den Lehrkräften, die »Ausländer«-Kindern grundsätzlich schlechtere Noten gaben – und nach der vierten Klasse geradezu rituell die gefürchtete Hauptschul-Empfehlung. Ich studierte dann übrigens irgendwas mit Kultur, und meine Kommiliton:innen kamen – wie überall in solchen Studiengängen – folgerichtig zu 98 Prozent aus der weißen deutschen Mittelschicht. Diese Ausbildungsquote spiegelte sich dann auch noch bis vor wenigen Jahren in den Verlagsprogrammen und Theaterspielplänen.
Irgendwann jedoch forderte die Mathematik ihren Tribut. Irgendwann gab es einfach zu viele Kanakenkinder, als dass man sie weiter aus den höheren Bildungsanstalten – und damit in der Folge auch aus den Kulturinstitutionen – heraushalten konnte. Inzwischen liegt der Anteil der Kinder mit dem berühmten »Migrationshintergrund« in Deutschland bei fast 40 Prozent, in den Großstädten bei über 50. Hinzu kommt, dass die nachfolgenden Generationen erfreulicherweise weniger Demut zeigen als die erste und die zweite; dass sie die Steine, die man ihnen immer noch von allen Seiten, nicht nur der deutschen, in den Weg legt, einfach selbstbewusst wegkicken. Wobei »einfach« und »selbstbewusst« in diesem Zusammenhang relative Begriffe sind. Individuell sind auch die »Erfolgs«-Stories oft Geschichten vom Scheitern, von Trotz, vom Hinfallen und Wiederaufstehen. Und vom Couragiertsein. Nicht zuletzt muss man sich – gerade mit Abitur in der Tasche – als Kind aus einem sozialen Milieu, in dem man sein Geld üblicherweise mit Fabrikarbeit oder Putzen verdient, erst mal trauen, Schriftsteller:in, Regisseur: in oder auch Literaturwissenschaftler:in zu werden. Statt Ärztin oder Anwalt.
Und dennoch: Sie sind da und sichtbar. Nicht mehr als Randphänomen, nicht mehr angewiesen auf irgendeine Art von Goodwill. Denn was an den Büchern, Theaterstücken, Filmen und Kabarettprogrammen von Autor:innen wie Fatma Aydemir, Mely Kiyak, Fatih Akin, Ronya Othmann, Fatih Çevikkollu, İdil Baydar, Bora Dağtekin, Bonn Park, Lin Hierse – um nur einige zu nennen – am meisten fasziniert und erfreut, sind zwei Dinge. Erstens: Sie sind gut. Zumindest nicht seltener als die Geschichten der deutschstämmigen Künstler:innen. Und zweitens: Es sind deutsche Geschichten. Nicht dass mich das »Deutsche« dieser Storys in einem patriotischen Sinne interessiert. Pässe, Grenzen, Volkszugehörigkeiten sind mir aus guten Gründen wurschter als wurscht. Aber mir ist wichtig, dass Kunst von den Menschen handelt, die dort leben, wo diese Kunst rezipiert wird. Als Autor interessieren mich nachvollziehbare Konflikte, Komik, Leid, Trost, Mut und Wut. Kunst entsteht immer aus Reibung. Egal wo wir oder unsere Eltern oder Großeltern geboren wurden. Aber wenn Teta und Dschiddo in Amman geboren wurden, sind die Reibungen manchmal andere, als wenn Omma und Oppa in Dortmund auf die Welt gekommen sind. Oft ist man aber auch überrascht, dass sich die Konflikte verblüffend ähneln. Davon muss erzählt werden. Von dem einen wie von dem anderen. So oder so. Mashalla.
Bassam Ghazi, Regisseur und Leiter des Stadt:Kollektiv, wird Fatma Aydemirs Roman »Dschinns« inszenieren. Er ergänzt das Familienepos über die erste und die zweite Generation der »Gastarbeiter:innen« um den heutigen Blick junger Menschen.
Termine
Fr, 29.09. / 20:00
Stadt:Kollektiv
Premiere
frühbucher
http://www.dhaus.de/
D'haus - Düsseldorfer Schauspielhaus, Junges Schauspiel, Stadt:Kollektiv
Gustaf-Gründgens-Platz 1, 40211 Düsseldorf
D'haus - Düsseldorfer Schauspielhaus, Junges Schauspiel, Stadt:Kollektiv
Gustaf-Gründgens-Platz 1, 40211 Düsseldorf
Schauspielhaus — Kleines Haus