
Die Orestie. Nach dem Krieg
— nach Aischylos in einer Bearbeitung von Tamara Trunova und Stas Zhyrkov
— Premiere im März 2024 — Schauspielhaus, Großes Haus — Schauspiel
»Also hast du Hoffnung!« — Theater in Zeiten des Krieges — Der ukrainische Regisseur Stas Zhyrkov über sein neues Antikenprojekt »Die Orestie. Nach dem Krieg«
— von David Benjamin Brückel
Seine Antworten kommen schnell und intuitiv. Mit wenigen Worten fasst der ukrainische Theatermacher Stas Zhyrkov zusammen, was ihn umtreibt: »Das Theater, der Krieg, eine neue Form der Realität.« Momentan pendelt Zhyrkov zwischen seiner Exilheimat Litauen, wo er mit seiner Familie lebt und Teil der künstlerischen Leitung des State Small Theatre of Vilnius ist, und weiteren Orten, an denen er inszeniert: Berlin, Zürich, München, Düsseldorf. Dazwischen findet er Zeit für einen Gedankenaustausch per E-Mail. Der Ton ist direkt und zugewandt. Zhyrkov schreibt: »Während der letzten drei Tage war ich in Bukarest. Dort habe ich meine Mutter besucht, die ich ein ganzes Jahr lang nicht gesehen hatte. Da ist sie wieder, die Realität des Krieges. Meine Mutter fragt: ›Woran arbeitest du gerade?‹ Ich antworte: ›Ich bereite eine Inszenierung vor, die 2024 in Düsseldorf aufgeführt werden soll. Das Stück spielt nach dem Trojanischen Krieg. Es geht um die Suche nach Gerechtigkeit.‹ Daraufhin meine Mutter: ›Also hast du Hoffnung!‹«
Wie bei seiner ersten Arbeit am Düsseldorfer Schauspielhaus wird Stas Zhyrkov auch in dieser Produktion einen antiken Text mit der Gegenwart kurzschließen. Beide Stoffe handeln vom Krieg und davon, was dieser mit den Menschen macht. In »Odyssee« stellte Zhyrkov statt des listenreichen Odysseus, der nach zehn Jahren an der Front zehn weitere Jahre für seine Heimkehr braucht, eine Heldin ins Zentrum: Penelope. Frauen aus der Ukraine und aus Düsseldorf verbanden persönliche Geschichten über die schreckliche Ungewissheit des Wartens oder die Flucht ins Exil mit einer Neudichtung des Epos im Stil von Homer. So entstand eine bewegende feministische Perspektive auf den antiken Text und den aktuellen Krieg.
»Die Orestie« setzt ein, als der Krieg, von dem auch Homer erzählt, zu Ende ist und aus seinem Nebel eine neue, ungewisse Zukunft erscheint. Siegreich, erschöpft und von den Kämpfen schwer gezeichnet kehrt der Feldherr Agamemnon nach Hause zurück. Als Beute bringt er aus Troja die geraubte Königstochter Kassandra mit. Sie prophezeit das kommende Unheil, doch niemand schenkt ihren Worten Glauben: Agamemnons Frau Klytaimnestra und ihr Liebhaber Aigisthos werden den Kriegsheimkehrer mit einer Axt in der Badewanne erschlagen, woraufhin ihr Sohn Orest den Gattenmord mit Muttermord rächt. Erst Göttin Athene wird es gelingen, die lange Tradition der Sippen- und Blutrache zu beenden und an ihre Stelle auf Vernunft basierendes staatliches Recht zu setzen – die nach Rache dürstenden Erinnyen verwandelt sie in segensreiche Schutzheilige der Stadt Athen.
»Die Orestie« von Aischylos, 458 v. Chr. uraufgeführt, ist nicht nur die einzige fast vollständig erhaltene Trilogie des antiken griechischen Theaters, sie gilt auch als Gründungstext der attischen Demokratie. 2500 Jahre später tobt ein blutiger Krieg in Europa. Wieder einmal stellt sich die Frage, wie ein Staat und eine Gesellschaft angesichts von Terror, Leid und Zerstörung in die Zukunft blicken können. In seiner Inszenierung wird Stas Zhyrkov deshalb auch besonderes Augenmerk auf den dritten Teil der Trilogie legen, dessen Zentrum ein Gerichtsverfahren bildet. »Der letzte Teil der Orestie ist eine Art Countdown für mich«, erläutert Zhyrkov, »ein Punkt in der Geschichte, um an die ersten beiden Teile zu erinnern, sie zu analysieren und Schlussfolgerungen zu ziehen. Oder um Fragen zu stellen. Für mich sind Fragen nach Gerechtigkeit und Recht gerade jetzt besonders wichtig. Seit neun Jahren herrscht in der Ukraine Krieg. Die Menschen warten nur auf eines: auf den Prozess gegen diejenigen, die uns angegriffen haben – auf den Prozess, der die Verbrechen der russischen Machthaber vor den Augen der Welt offenbaren wird.«
Der Zusammenhang zwischen Theater und Wirklichkeit ist bei Stas Zhyrkov mit einer existenziellen Dringlichkeit aufgeladen. Kunst kann Hoffnung geben. Der Regisseur erinnert sich: »In den ersten Tagen nach dem 24. Februar 2022 habe ich gedacht, dass Theater und Kunst versagt haben, dass wir versagt haben! Wenn ein Land überfallen wird und Menschen getötet werden, sind die Ideen des Humanismus und der Menschenrechte gescheitert. Doch dann habe ich verstanden, dass Theater ein Raum für heutige Erfahrungen sein kann. Wenn ich mir ein so gewaltiges Werk wie die ›Orestie‹ vornehme, möchte ich mit dem antiken Stoff Themen ansprechen, welche die Herzen und Köpfe der Menschen heute berühren. Wir sind verwirrt in dieser Welt des Krieges und des Chaos. Was wir jetzt brauchen, sind Unterstützung und Orientierung. Finden wir gemeinsam heraus, wo diese Hölle endet.« Lässt sich mit einem antiken Stoff vielleicht nicht nur etwas über die Gegenwart, sondern auch etwas über die Zukunft sagen? Dürfen wir uns die »Orestie« in der Bearbeitung von Stas Zhyrkov und Tamara Trunova, preisgekrönte Autorin und leitende Regisseurin des Left Bank Theatre in Kyjiw, als eine Utopie vorstellen? Zhyrkov zögert. Er ist Poet, kein Prophet. In seiner Antwort auf die abschließende Frage spiegeln sich Melancholie und ein feiner Sinn für Humor wider, so wie in seinen Inszenierungen: »Ich glaube, dass die alten Griechen zweifellos mehr wussten, als wir denken. Sie hatten zwar weder McDonald’s noch Netflix oder eine PlayStation 5 – und das tut mir unglaublich leid für sie. Aber ich glaube, sie hatten mehr als wir: einen freien Horizont und ein ewiges Meer.«
Wie bei seiner ersten Arbeit am Düsseldorfer Schauspielhaus wird Stas Zhyrkov auch in dieser Produktion einen antiken Text mit der Gegenwart kurzschließen. Beide Stoffe handeln vom Krieg und davon, was dieser mit den Menschen macht. In »Odyssee« stellte Zhyrkov statt des listenreichen Odysseus, der nach zehn Jahren an der Front zehn weitere Jahre für seine Heimkehr braucht, eine Heldin ins Zentrum: Penelope. Frauen aus der Ukraine und aus Düsseldorf verbanden persönliche Geschichten über die schreckliche Ungewissheit des Wartens oder die Flucht ins Exil mit einer Neudichtung des Epos im Stil von Homer. So entstand eine bewegende feministische Perspektive auf den antiken Text und den aktuellen Krieg.
»Die Orestie« setzt ein, als der Krieg, von dem auch Homer erzählt, zu Ende ist und aus seinem Nebel eine neue, ungewisse Zukunft erscheint. Siegreich, erschöpft und von den Kämpfen schwer gezeichnet kehrt der Feldherr Agamemnon nach Hause zurück. Als Beute bringt er aus Troja die geraubte Königstochter Kassandra mit. Sie prophezeit das kommende Unheil, doch niemand schenkt ihren Worten Glauben: Agamemnons Frau Klytaimnestra und ihr Liebhaber Aigisthos werden den Kriegsheimkehrer mit einer Axt in der Badewanne erschlagen, woraufhin ihr Sohn Orest den Gattenmord mit Muttermord rächt. Erst Göttin Athene wird es gelingen, die lange Tradition der Sippen- und Blutrache zu beenden und an ihre Stelle auf Vernunft basierendes staatliches Recht zu setzen – die nach Rache dürstenden Erinnyen verwandelt sie in segensreiche Schutzheilige der Stadt Athen.
»Die Orestie« von Aischylos, 458 v. Chr. uraufgeführt, ist nicht nur die einzige fast vollständig erhaltene Trilogie des antiken griechischen Theaters, sie gilt auch als Gründungstext der attischen Demokratie. 2500 Jahre später tobt ein blutiger Krieg in Europa. Wieder einmal stellt sich die Frage, wie ein Staat und eine Gesellschaft angesichts von Terror, Leid und Zerstörung in die Zukunft blicken können. In seiner Inszenierung wird Stas Zhyrkov deshalb auch besonderes Augenmerk auf den dritten Teil der Trilogie legen, dessen Zentrum ein Gerichtsverfahren bildet. »Der letzte Teil der Orestie ist eine Art Countdown für mich«, erläutert Zhyrkov, »ein Punkt in der Geschichte, um an die ersten beiden Teile zu erinnern, sie zu analysieren und Schlussfolgerungen zu ziehen. Oder um Fragen zu stellen. Für mich sind Fragen nach Gerechtigkeit und Recht gerade jetzt besonders wichtig. Seit neun Jahren herrscht in der Ukraine Krieg. Die Menschen warten nur auf eines: auf den Prozess gegen diejenigen, die uns angegriffen haben – auf den Prozess, der die Verbrechen der russischen Machthaber vor den Augen der Welt offenbaren wird.«
Der Zusammenhang zwischen Theater und Wirklichkeit ist bei Stas Zhyrkov mit einer existenziellen Dringlichkeit aufgeladen. Kunst kann Hoffnung geben. Der Regisseur erinnert sich: »In den ersten Tagen nach dem 24. Februar 2022 habe ich gedacht, dass Theater und Kunst versagt haben, dass wir versagt haben! Wenn ein Land überfallen wird und Menschen getötet werden, sind die Ideen des Humanismus und der Menschenrechte gescheitert. Doch dann habe ich verstanden, dass Theater ein Raum für heutige Erfahrungen sein kann. Wenn ich mir ein so gewaltiges Werk wie die ›Orestie‹ vornehme, möchte ich mit dem antiken Stoff Themen ansprechen, welche die Herzen und Köpfe der Menschen heute berühren. Wir sind verwirrt in dieser Welt des Krieges und des Chaos. Was wir jetzt brauchen, sind Unterstützung und Orientierung. Finden wir gemeinsam heraus, wo diese Hölle endet.« Lässt sich mit einem antiken Stoff vielleicht nicht nur etwas über die Gegenwart, sondern auch etwas über die Zukunft sagen? Dürfen wir uns die »Orestie« in der Bearbeitung von Stas Zhyrkov und Tamara Trunova, preisgekrönte Autorin und leitende Regisseurin des Left Bank Theatre in Kyjiw, als eine Utopie vorstellen? Zhyrkov zögert. Er ist Poet, kein Prophet. In seiner Antwort auf die abschließende Frage spiegeln sich Melancholie und ein feiner Sinn für Humor wider, so wie in seinen Inszenierungen: »Ich glaube, dass die alten Griechen zweifellos mehr wussten, als wir denken. Sie hatten zwar weder McDonald’s noch Netflix oder eine PlayStation 5 – und das tut mir unglaublich leid für sie. Aber ich glaube, sie hatten mehr als wir: einen freien Horizont und ein ewiges Meer.«