
Amphitryon
— von Heinrich von Kleist in einer Bearbeitung von Milena Michalek
— Premiere im Januar 2024 — Schauspielhaus, Kleines Haus — Schauspiel
in kleist hineinsteigen
— von milena michalek
Milena Michalek studierte Philosophie, gründete das Theaterkollektiv YZMA und arbeitete als Autorin und Regisseurin u. a. in Hannover und Wien. In der Spielzeit 2023/2024 wird sie Heinrich von Kleists »Amphitryon« am Düsseldorfer Schauspielhaus inszenieren. Hier schreibt sie über ihre Annäherung an den Autor und seine Figuren.
/amphitryon also. das stück, in dem götter in menschen steigen. es steigt der gott jupiter in den amphitryon hinein und schläft mit alkmene, die den echten amphitryon erwartet hatte. es gibt eine großartige l i e b e s n a c h t. eine wirklich göttliche liebesnacht mit dem falschen, denn der echte war noch gar nicht zurück. aber der falsche war dem echten so
ä h n l i c h. zum verwechseln ähnlich ist der falsche amphitryon dem echten, der göttliche dem menschen. und so e c h t war auch das gefühl also in alkmene gewesen, die den amphitryon erwartet hatte. so echt war das liebesgefühl in der liebesnacht, das da heraufgestiegen war in alkmenes brust / herz / seele (von wo eigentlich herauf?), das eher hineingestiegen ist in alkmenes bauch / zellwand / körpergrenze / blutkreislauf, so echt und wahr, dass sie sich flüstern hört: was brauchen wir, als nur uns selbst, doch folgt gleich auf den liebestaumel die scham, wenn sie dem echten amphitryon vom gemeinsamen höhenflug erzählt, bei dem er n i c h t d a b e i w a r: die röte steigt in das antlitz hinein / warum steigt solche röt ins antlitz dir, und so wird gewähnt, dass etwas falsch gewesen sein muss an diesem zusammenkommen, dass der amphitryon ein anderer war, als er verräterisch hauchte in alkmenes gehörgang hinein: was ich dir fühle / (…) / das überflügelt / sieh / um sonnenferne / was ein gemahl dir schuldig ist und wer belegt jetzt wie es war? wer beweist dem anderen die
gehirnverrückung / (….) / versammle deine geister
/aber – denkt alkmene – ich will mich dir nicht beweisen, heinrich, oder als passend erweisen. ich will mich durch dich erneuern, fortlaufend. und ich will dich erneuern, dir etwas hinzufügen. ich will über dich hinauswachsen und ich will, dass du über mich auch hinauswächst und ich den atem anhalte ob deiner riesenhaftigkeit. und – fragt sich alkmene am fenster rauchend – können zwei einander größer sein? und – da sie lust verspürt, noch eine zu rauchen, während sie noch raucht – können wir zu zweit zu dritt sein? kannst du meine freundin sein, heinrich, und mein liebhaber? ich verstehe meine gefühle nicht: wie kann ich so viel zweifeln und so sicher sein gleichzeitig? »hormone«, raunt sie heinrich zu, »hormone, heinrich, sind niedermolekulare verbindungen.« aber heinrich starb, 100 jahre bevor das wort hormon erfunden wurde, und hormone tun in amphitryon also nichts zur sache. und doch bleibt da das rätsel des falschen gefühls, das in den körper gestiegen war, um verwirrung zu stiften, und die frage, ob das nun eine komödie oder eine tragödie ist. und im theater steigen wir ja auch ständig in etwas hinein: da steigt eine schauspielerin in einen gott hinein, es steigt ein körper in den kleist-text hinein, und da versteigt sich eine person, die regie gerufen wird, dazu, anderen leuten zu sagen, was sie machen sollen. und ist das üben von empathie und solidarität nicht auch ein in-den-körperder-anderen-steigen?
/»die erfahrung kollektiver solidarität scheint über die grenze des individuellen lebens hinaus zu treiben« (bini adamczak). es geht, so wähne ich gerade, denn sicher kann ich noch nicht sein, um beziehungsweisen in amphitryon. um dasjenige also, was zwischen den körpern existiert und was, und dort wird es kompliziert, so etwas wie identität aber überhaupt erst haltbar macht. und es geht um die vermaledeiten verhältnisse. weil die verhältnisse, an denen dieses jenes ich mitgestrickt hat, haben dieses jenes ich erst gemacht. und wenn das ich die vermaledeiten verhältnisse verändern will, muss es also auch sich selbst verändern / verlieren / erneuern. aber identitätsverlust kann niemals etwas sein, was eine:r mit sich allein ausmacht, und brauchen tun wir definitiv mehr als nur uns selbst. erst im komplexen geflecht von beziehungen werden wünsche manifest, gefühle aussprechbar und das streben nach grundlegender veränderung praktizierbar. hinaus aus dem individuellen leben will ich treiben und baue mir aus kleist ein boot.
/amphitryon also. das stück, in dem götter in menschen steigen. es steigt der gott jupiter in den amphitryon hinein und schläft mit alkmene, die den echten amphitryon erwartet hatte. es gibt eine großartige l i e b e s n a c h t. eine wirklich göttliche liebesnacht mit dem falschen, denn der echte war noch gar nicht zurück. aber der falsche war dem echten so
ä h n l i c h. zum verwechseln ähnlich ist der falsche amphitryon dem echten, der göttliche dem menschen. und so e c h t war auch das gefühl also in alkmene gewesen, die den amphitryon erwartet hatte. so echt war das liebesgefühl in der liebesnacht, das da heraufgestiegen war in alkmenes brust / herz / seele (von wo eigentlich herauf?), das eher hineingestiegen ist in alkmenes bauch / zellwand / körpergrenze / blutkreislauf, so echt und wahr, dass sie sich flüstern hört: was brauchen wir, als nur uns selbst, doch folgt gleich auf den liebestaumel die scham, wenn sie dem echten amphitryon vom gemeinsamen höhenflug erzählt, bei dem er n i c h t d a b e i w a r: die röte steigt in das antlitz hinein / warum steigt solche röt ins antlitz dir, und so wird gewähnt, dass etwas falsch gewesen sein muss an diesem zusammenkommen, dass der amphitryon ein anderer war, als er verräterisch hauchte in alkmenes gehörgang hinein: was ich dir fühle / (…) / das überflügelt / sieh / um sonnenferne / was ein gemahl dir schuldig ist und wer belegt jetzt wie es war? wer beweist dem anderen die
gehirnverrückung / (….) / versammle deine geister
/aber – denkt alkmene – ich will mich dir nicht beweisen, heinrich, oder als passend erweisen. ich will mich durch dich erneuern, fortlaufend. und ich will dich erneuern, dir etwas hinzufügen. ich will über dich hinauswachsen und ich will, dass du über mich auch hinauswächst und ich den atem anhalte ob deiner riesenhaftigkeit. und – fragt sich alkmene am fenster rauchend – können zwei einander größer sein? und – da sie lust verspürt, noch eine zu rauchen, während sie noch raucht – können wir zu zweit zu dritt sein? kannst du meine freundin sein, heinrich, und mein liebhaber? ich verstehe meine gefühle nicht: wie kann ich so viel zweifeln und so sicher sein gleichzeitig? »hormone«, raunt sie heinrich zu, »hormone, heinrich, sind niedermolekulare verbindungen.« aber heinrich starb, 100 jahre bevor das wort hormon erfunden wurde, und hormone tun in amphitryon also nichts zur sache. und doch bleibt da das rätsel des falschen gefühls, das in den körper gestiegen war, um verwirrung zu stiften, und die frage, ob das nun eine komödie oder eine tragödie ist. und im theater steigen wir ja auch ständig in etwas hinein: da steigt eine schauspielerin in einen gott hinein, es steigt ein körper in den kleist-text hinein, und da versteigt sich eine person, die regie gerufen wird, dazu, anderen leuten zu sagen, was sie machen sollen. und ist das üben von empathie und solidarität nicht auch ein in-den-körperder-anderen-steigen?
/»die erfahrung kollektiver solidarität scheint über die grenze des individuellen lebens hinaus zu treiben« (bini adamczak). es geht, so wähne ich gerade, denn sicher kann ich noch nicht sein, um beziehungsweisen in amphitryon. um dasjenige also, was zwischen den körpern existiert und was, und dort wird es kompliziert, so etwas wie identität aber überhaupt erst haltbar macht. und es geht um die vermaledeiten verhältnisse. weil die verhältnisse, an denen dieses jenes ich mitgestrickt hat, haben dieses jenes ich erst gemacht. und wenn das ich die vermaledeiten verhältnisse verändern will, muss es also auch sich selbst verändern / verlieren / erneuern. aber identitätsverlust kann niemals etwas sein, was eine:r mit sich allein ausmacht, und brauchen tun wir definitiv mehr als nur uns selbst. erst im komplexen geflecht von beziehungen werden wünsche manifest, gefühle aussprechbar und das streben nach grundlegender veränderung praktizierbar. hinaus aus dem individuellen leben will ich treiben und baue mir aus kleist ein boot.
Besetzung
RegieMilena Michalek