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Korruption und Businessplan. Ibsens Konsul Bernick als Meister der Krisenkommunikation — von Felicitas Zürcher
Im März 2016 wurde der Grünen-Politiker Volker Beck mit Crystal Meth aufgegriffen. Die Bild-Zeitung titelte: »Grüner mit Hitlerdroge erwischt«, es gab einen Skandal. Heute ist die ganze Affäre nahezu vergessen und Becks Verhalten in der Krise deswegen ein Lehrstück in öffentlicher Kommunikation. Er tauchte ab, war krankgeschrieben, nicht erreichbar und gab keine Erklärungen zum Vorfall. Nach sechs Wochen saß er wieder im Bundestag, nach zwei Monaten war er juristisch und politisch rehabilitiert. »Jeder Mann hat irgendwo in seinem Leben einen dunklen Punkt«, lässt Ibsen den Mann sagen, der eine ganze Reihe solcher Punkte vorzuweisen hat und trotzdem zu einer der führenden Persönlichkeiten der Stadt, zu einer moralischen Stütze der Gesellschaft avanciert ist. Als Freigeist lebte Karsten Bernick im Ausland, bis er zur Rettung des maroden Familienunternehmens nach Hause zurückkehren musste. Für die Heirat mit einer reichen Erbin verließ er damals seine große Liebe, und seine entdeckte Affäre mit der Frau eines Schauspielers nahm sein Freund Johan auf sich, um Bernicks weiße Weste zu retten. Jugendliebe und Jugendfreund verschwanden nach Amerika, und da die Gerüchteküche ohnehin brodelte, ließ sich dem Freund gleich noch ein Griff in die Firmenkasse in die Schuhe schieben. Dies stellte den Ruf des Familienunternehmens wieder her, bis sich die finanzielle Lage durch Heirat und Erbschaft gebessert hatte.
Ist das verlogen und korrupt oder sagenhaft geschickt und geschäftstüchtig? Ist Bernicks Ruf auf Sand gebaut, wie seine Jugendliebe Lona Hessel findet, oder sind es der wirtschaftliche Druck und die Verantwortung als Firmenchef und Arbeitgeber, die ihn zu diesem Handeln zwingen? »Hätte die Firma Bernick Konkurs anmelden müssen, wäre unsere ganze kommunale Gesellschaft in eminenter Weise geschädigt worden«, ist Bernicks Version der Geschichte.
Sein Verhalten in der Vergangenheit lässt sich aber nicht nur als Ausrutscher beschreiben, sondern auch als Modell für die Gegenwart des Stücks: Als Reeder konnte Konsul Bernick vor einem Jahr nicht ganz uneigennützig den Bau der Eisenbahnlinie an der Küste verhindern, weil diese eine große Konkurrenz für den Schiffshandel gewesen wäre. Inzwischen hat er den Bau dieser Eisenbahnlinie durchs Landesinnere vorangetrieben und gleichzeitig große Ländereien gekauft, die durch den Eisenbahnbau massiv aufgewertet würden. Auf seiner Werft erzwingt er trotz der vehementen Intervention des Vorarbeiters die termingerechte Renovierung eines amerikanischen Schiffs und setzt damit wissentlich Menschenleben aufs Spiel. Am Ende des Stücks verknüpft Ibsen alle Handlungsfäden in einem gigantischen Kulminationspunkt: Bei einem großen Anlass soll der Konsul öffentlich geehrt werden, während gleichzeitig sein Sohn auf dem maroden Schiff nach Amerika durchzubrennen versucht und seine Jugendliebe Lona die Vergangenheit zu enthüllen droht.
In dieser Situation maximalen Drucks liefert Konsul Bernick ein Bravourstück in Sachen politische Kommunikation und schafft es, mit heiler Haut, einigermaßen weißer Weste und womöglich sogar gestärkt aus der Affäre rauszukommen – ähnlich wie 150 Jahre später Volker Beck. »Es ist ein Phänomen der politischen Krisen-PR, dass sich die Dinge am schnellsten beruhigen, wenn man sich nicht rührt, bis sich die Empörung gelegt hat – und sich dann uneingeschränkt entschuldigt, ohne aber auszuführen, wofür eigentlich«, beschreibt die Journalistin Lara Fritzsche diesen Mechanismus in ihrem Beck-Porträt im Magazin der Süddeutschen Zeitung. Und auch Roland Spitzlinger und Julia Draxler raten in ihrem breit recherchierten Buch »Probier’s doch mal mit Korruption«: »Sollte Ihnen jemand auf die Schliche kommen, bleiben Sie cool! Sie werden sehen, es ist alles halb so schlimm.« Und weiter: »Es geht nichts über eine gute und ehrliche Entschuldigung. Betonen Sie dabei Ihren Anstand und Ihre Ehrenhaftigkeit. Wenn Sie Ihre Sünden öffentlich bereuen, wird Ihnen auch das Volk verzeihen.« Konsul Bernick tut genau das. Bei seiner öffentlichen Ehrung münzt er den aktuellen Korruptionsvorwurf im Fall des Landkaufs um in ein Angebot zum Besten der Gemeinschaft, nämlich »dieses Land zur allgemeinen Aktienzeichnung freizugeben; jeder, der will, kann daran teilnehmen«. Gleichzeitig betont er seinen guten Willen und seine Verdienste: »Meinen Mitbürgern gegenüber glaube ich mir keine Vorwürfe machen zu müssen; denn ich bin der Ansicht, ich gehöre zur Elite der Stadt.« Den eigentlichen Fehltritt von damals gibt er offen zu, ohne genauer darauf einzugehen: »Diese Gerüchte waren damals meine Rettung; ob sie mich jetzt im Nachhinein stürzen, muss jeder mit sich selbst ausmachen.« Er beruft sich auf die Stille der Entscheidung und die Zeit: »Heute Abend jedoch keine Entscheidung. Ich bitte alle, nach Hause zu gehen, – sich zu sammeln, – und mit sich zu Rate zu gehen. Wenn die Aufregung sich gelegt hat, wird sich herausstellen, ob ich durch mein Geständnis verloren oder gewonnen habe.« Ein Profi.
Felicitas Zürcher ist Dramaturgin am Düsseldorfer Schauspielhaus.
Ist das verlogen und korrupt oder sagenhaft geschickt und geschäftstüchtig? Ist Bernicks Ruf auf Sand gebaut, wie seine Jugendliebe Lona Hessel findet, oder sind es der wirtschaftliche Druck und die Verantwortung als Firmenchef und Arbeitgeber, die ihn zu diesem Handeln zwingen? »Hätte die Firma Bernick Konkurs anmelden müssen, wäre unsere ganze kommunale Gesellschaft in eminenter Weise geschädigt worden«, ist Bernicks Version der Geschichte.
Sein Verhalten in der Vergangenheit lässt sich aber nicht nur als Ausrutscher beschreiben, sondern auch als Modell für die Gegenwart des Stücks: Als Reeder konnte Konsul Bernick vor einem Jahr nicht ganz uneigennützig den Bau der Eisenbahnlinie an der Küste verhindern, weil diese eine große Konkurrenz für den Schiffshandel gewesen wäre. Inzwischen hat er den Bau dieser Eisenbahnlinie durchs Landesinnere vorangetrieben und gleichzeitig große Ländereien gekauft, die durch den Eisenbahnbau massiv aufgewertet würden. Auf seiner Werft erzwingt er trotz der vehementen Intervention des Vorarbeiters die termingerechte Renovierung eines amerikanischen Schiffs und setzt damit wissentlich Menschenleben aufs Spiel. Am Ende des Stücks verknüpft Ibsen alle Handlungsfäden in einem gigantischen Kulminationspunkt: Bei einem großen Anlass soll der Konsul öffentlich geehrt werden, während gleichzeitig sein Sohn auf dem maroden Schiff nach Amerika durchzubrennen versucht und seine Jugendliebe Lona die Vergangenheit zu enthüllen droht.
In dieser Situation maximalen Drucks liefert Konsul Bernick ein Bravourstück in Sachen politische Kommunikation und schafft es, mit heiler Haut, einigermaßen weißer Weste und womöglich sogar gestärkt aus der Affäre rauszukommen – ähnlich wie 150 Jahre später Volker Beck. »Es ist ein Phänomen der politischen Krisen-PR, dass sich die Dinge am schnellsten beruhigen, wenn man sich nicht rührt, bis sich die Empörung gelegt hat – und sich dann uneingeschränkt entschuldigt, ohne aber auszuführen, wofür eigentlich«, beschreibt die Journalistin Lara Fritzsche diesen Mechanismus in ihrem Beck-Porträt im Magazin der Süddeutschen Zeitung. Und auch Roland Spitzlinger und Julia Draxler raten in ihrem breit recherchierten Buch »Probier’s doch mal mit Korruption«: »Sollte Ihnen jemand auf die Schliche kommen, bleiben Sie cool! Sie werden sehen, es ist alles halb so schlimm.« Und weiter: »Es geht nichts über eine gute und ehrliche Entschuldigung. Betonen Sie dabei Ihren Anstand und Ihre Ehrenhaftigkeit. Wenn Sie Ihre Sünden öffentlich bereuen, wird Ihnen auch das Volk verzeihen.« Konsul Bernick tut genau das. Bei seiner öffentlichen Ehrung münzt er den aktuellen Korruptionsvorwurf im Fall des Landkaufs um in ein Angebot zum Besten der Gemeinschaft, nämlich »dieses Land zur allgemeinen Aktienzeichnung freizugeben; jeder, der will, kann daran teilnehmen«. Gleichzeitig betont er seinen guten Willen und seine Verdienste: »Meinen Mitbürgern gegenüber glaube ich mir keine Vorwürfe machen zu müssen; denn ich bin der Ansicht, ich gehöre zur Elite der Stadt.« Den eigentlichen Fehltritt von damals gibt er offen zu, ohne genauer darauf einzugehen: »Diese Gerüchte waren damals meine Rettung; ob sie mich jetzt im Nachhinein stürzen, muss jeder mit sich selbst ausmachen.« Er beruft sich auf die Stille der Entscheidung und die Zeit: »Heute Abend jedoch keine Entscheidung. Ich bitte alle, nach Hause zu gehen, – sich zu sammeln, – und mit sich zu Rate zu gehen. Wenn die Aufregung sich gelegt hat, wird sich herausstellen, ob ich durch mein Geständnis verloren oder gewonnen habe.« Ein Profi.
Felicitas Zürcher ist Dramaturgin am Düsseldorfer Schauspielhaus.
Besetzung
Konsul BernickChristian Erdmann
Johan Toennesen, ihr BruderFlorian Lange
Lona Hessel, ihre HalbschwesterYohanna Schwertfeger
Hilmar Toennesen, ihr VetterAlexej Lochmann
Dina DorfLieke Hoppe
Assessor RoerlundAndrei Viorel Tacu
Schiffsbaumeister Aune / Großhändler Rummel / Frau RummelSebastian Tessenow
Prokurist Krap / Kaufmann Vigeland / Frau HoltStefan Gorski
Olaf Bernick, Konsul Bernicks SohnSteffen Lehmitz
RegieTilmann Köhler
BühneKaroly Risz
KostümSusanne Uhl
MusikJörg-Martin Wagner
LichtChristian Schmidt
DramaturgieFelicitas Zürcher
Dauer
2 Stunden — keine Pause
Besetzungsänderung
Minna Wündrich wird für Judith Bohle die Rolle der Betty Bernick in der Produktion »Stützen der Gesellschaft« ab 16. April 2018 übernehmen.