Zeitenwende
»Menschen im Hotel« ist die Spielzeiteröffnung im Schauspielhaus — Der Regisseur Sönke Wortmann und der Autor Stephan Kaluza im Gespräch
Sönke Wortmann, sind Sie bei der Theaterarbeit derselbe Regisseur, der Sie an einem Filmset sind?
Wortmann — Ich glaube, ich bin weitgehend derselbe. Denn im Kern steht ja sowohl beim Film als auch beim Theater die Arbeit mit dem Ensemble, und das ist auch das, was mir am meisten Spaß macht. Beim Film ist es allerdings manchmal schwierig, sich darauf zu konzentrieren, weil man noch ein anderes Riesenfeld beackern muss, das Technik heißt. Also Licht, Kamera, Ton usw. Da ist man am Theater befreiter. Es gibt einen ganz anderen Rhythmus, einen ganz anderen Arbeitsatem. Ich genieße diese Unabhängigkeit im Arbeiten und Nachdenken sehr. Ich muss nicht aufs Wetter achten, ich muss nicht auf das Tageslicht achten, ich muss nicht darauf achten, einen bestimmten Drehort zeiteffizient auszunutzen. Stattdessen habe ich den Luxus der Langsamkeit, der Gründlichkeit, der Nähe und kann mich mit einem tollen Ensemble auf eine Reise durch einen Text begeben, dort Dinge entdecken und sorgfältig entwickeln. Theater ist Erholung für den Kopf.
Herr Kaluza, Sie sind in vielen Feldern der Kunst zu Hause. Für Sönke Wortmann haben Sie »Menschen im Hotel« für die Bühne bearbeitet. Welche Rolle nehmen Sie dabei ein? Bearbeiter oder Interpret oder Erfinder?
Kaluza — Nur teilweise ein Erfinder, wir haltenuns ja recht eng an die Vorlage. Aber sicher ein Bearbeiter und Interpret. Ich habe versucht, die Sprache möglichst beizubehalten, sie ist Ausdruck ihrer Zeit in einer Mischung aus »netter« Erzählweise im Plauderton, einer Spur artifizieller Boheme und kreativen Satzschöpfungen.
Vicki Baums Text ist ein großes Figurenpanoptikum. Wem folgen Sie durch diese Geschichte, gibt es eine Hauptfigur der Erzählung?
Wortmann — Es ist ein Ensemblestück. Die Figuren bedingen einander, sind voneinander abhängig und bilden ein erzählerisches Netz. Als Regisseur versuche ich immer, jede Figur zumindest zu verstehen, auch den größten Bösewicht. Menschen sind nun einmal schrecklich unterschiedlich, und jeder hat Gründe, etwas zu tun. Ich muss die Gründe nicht teilen können oder nachvollziehen. Aber ich muss diese Motivation verstehen. Nur so kann es gelingen, eine Geschichte zu erzählen. Trotzdem muss ich zugeben, dass im Ensemble der Figuren Otto Kringelein für mich eine kleine Sonderrolle einnimmt – ihm gilt einfach meine Empathie. Er hat ja offenbar nicht mehr lange zu leben und tritt als sogenannter »kleiner Mann« in eine ihm völlig fremde große, glitzernde Welt. Im Film würde man sagen »a fish out of water«. Er ist so wahnsinnig hilflos und dadurch anrührend – dem habe ich schon ein bisschen mein Herz zu Füßen gelegt.
Er ist aber auch eine ambivalente Figur.
Wortmann — Absolut. Er ist gefährdet. Das Stück spielt Ende der 1920er-Jahre und ist ohne das Wissen um die aufziehende Weltkatastrophe geschrieben worden. Trotzdem hat man manchmal das Gefühl, dass eine Ahnung der Autorin durch diesen Text weht. Eine Vorahnung des Abgrunds. Und bei Kringelein z. B. ist das so. Der Mann hat Wut, der fühlt sich ungerecht behandelt vom Leben, von der Welt, von der Frau, vom Chef. Kringelein ist einer, der vielleicht fünf Jahre später auch schwarze Stiefel und ein braunes Hemd tragen würde. Man kann es bei ihm zumindest nicht ausschließen, dass er vieles tun würde, um aus seinem Leben auszubrechen. An manchen Stellen erinnert er mich an die Menschen, die man heutzutage Wutbürger nennt. Oder an einen Internetkommentarspaltenvollschreiber. Das ist seine abgründige, unsympathische Seite. Trotzdem rührt er mich.
Kaluza — Die Protagonistinnen und Protagonisten im Buch sprechen nicht über eine Zeitenwende, und es ist auch nichts zu lesen z. B. von Aufmärschen auf den Straßen Berlins. Aber ich denke, Vicki Baum ging es auch eher um den Mikrokosmos Grandhotel und um die psychologische Studie der »Insassen« dort – und dann manifestieren sich an diesen privaten Menschen eben bestimmte politische Dinge. Fraglich ist, ob man 1929 im Detail wirklich ahnen konnte, welche Abgründe sich da vor einem auftaten. Heutzutage liegen ja auch wieder ein paar Sachen in der Luft. Kann ich ahnen, ob die Neuen Rechten bei der nächsten Wahl in vier Jahren die Mehrheit bekommen und alles wieder von vorn beginnen könnte? Wohl kaum. Ich will das gar nicht ahnen.
Vicki Baum ist keine kanonisierte Autorin. Wie sind Sie mit ihren Büchern in Berührung gekommen?
Wortmann — Ich habe durch Zufall »Liebe und Tod auf Bali« gelesen und war von der Sprache fasziniert. Vicki Baum hat einen eigenen Ton. Dann habe ich »Menschen im Hotel« gelesen und »Hotel Shanghai«. Wir haben hier eine Autorin, die die Menschen kennt und mit riesiger Empathie von ihnen erzählt. Von ihrer Sprache versuchen wir, möglichst viel auf die Bühne zu transponieren – den Ton zu erhalten.
Kaluza — Sätze wie: »Es ist ja nicht etwa so, dass Flämmchen sich nun in Kringelein verlieben würde, nein, das Leben ist weit davon entfernt, solche Süßigkeiten zu produzieren.« Das ist doch toll, so ein Satz, der etwas bejaht, indem er es verneint, und sich am Ende auch noch selbst aufhebt.
Nach zwei Jahren wird wieder eine Theatersaison am Gustaf-Gründgens-Platz eröffnet. Was bedeutet Ihnen dieser Ort?
Kaluza — Ich bin mit dem Haus verbunden, seit ich als Student in den 1990ern nach Düsseldorf kam. Ich war recht theaterbesessen, auch damals schon.
Wortmann — Mir bedeutet das Haus eine ganze Menge. Deshalb habe ich mich auch persönlich mit eingebracht, um den Wiedereinzug zu unterstützen und zu begleiten. Ich bin im Central – wenn ich jetzt mal ganz ehrlich bin – so mittelgerne. Zum Arbeiten ist es völlig in Ordnung, natürlich kann man dort Theater machen. Und es transportiert sich dort auch sehr schön ein bestimmter Geist oder sagen wir Gestus des Unfertigen, Improvisierten und Lässigen. Aber ich finde es unsinnlich dort. Und für den Text von Vicki Baum freue ich mich auf die Sinnlichkeit und die Atmosphäre am Gustaf- Gründgens-Platz. Es ist schön, so ganz langsam, nach und nach, wieder dahin zurückzukehren, wo dieses Theater hingehört.
Der deutsche Film- und Fernsehregisseur Sönke Wortmann lebt in Düsseldorf. Er arbeitet regelmäßig auch am Theater; in Düsseldorf inszenierte er zuletzt die Uraufführung »Willkommen أهلا وسهلا « von Lutz Hübner und Sarah Nemitz.
Stephan Kaluza lebt und arbeitet als Fotokünstler, Maler, Romancier und Dramatiker seit vielen Jahren in Düsseldorf. Seine Arbeiten werden weltweit gezeigt. Kürzlich war seine Ausstellung »Demarkation / Transit« im Ludwig Museum Koblenz zu sehen.
Das Interview ist erschienen im Spielzeitheft 2018/19. Das Gespräch führte Robert Koall.
Wortmann — Ich glaube, ich bin weitgehend derselbe. Denn im Kern steht ja sowohl beim Film als auch beim Theater die Arbeit mit dem Ensemble, und das ist auch das, was mir am meisten Spaß macht. Beim Film ist es allerdings manchmal schwierig, sich darauf zu konzentrieren, weil man noch ein anderes Riesenfeld beackern muss, das Technik heißt. Also Licht, Kamera, Ton usw. Da ist man am Theater befreiter. Es gibt einen ganz anderen Rhythmus, einen ganz anderen Arbeitsatem. Ich genieße diese Unabhängigkeit im Arbeiten und Nachdenken sehr. Ich muss nicht aufs Wetter achten, ich muss nicht auf das Tageslicht achten, ich muss nicht darauf achten, einen bestimmten Drehort zeiteffizient auszunutzen. Stattdessen habe ich den Luxus der Langsamkeit, der Gründlichkeit, der Nähe und kann mich mit einem tollen Ensemble auf eine Reise durch einen Text begeben, dort Dinge entdecken und sorgfältig entwickeln. Theater ist Erholung für den Kopf.
Herr Kaluza, Sie sind in vielen Feldern der Kunst zu Hause. Für Sönke Wortmann haben Sie »Menschen im Hotel« für die Bühne bearbeitet. Welche Rolle nehmen Sie dabei ein? Bearbeiter oder Interpret oder Erfinder?
Kaluza — Nur teilweise ein Erfinder, wir haltenuns ja recht eng an die Vorlage. Aber sicher ein Bearbeiter und Interpret. Ich habe versucht, die Sprache möglichst beizubehalten, sie ist Ausdruck ihrer Zeit in einer Mischung aus »netter« Erzählweise im Plauderton, einer Spur artifizieller Boheme und kreativen Satzschöpfungen.
Vicki Baums Text ist ein großes Figurenpanoptikum. Wem folgen Sie durch diese Geschichte, gibt es eine Hauptfigur der Erzählung?
Wortmann — Es ist ein Ensemblestück. Die Figuren bedingen einander, sind voneinander abhängig und bilden ein erzählerisches Netz. Als Regisseur versuche ich immer, jede Figur zumindest zu verstehen, auch den größten Bösewicht. Menschen sind nun einmal schrecklich unterschiedlich, und jeder hat Gründe, etwas zu tun. Ich muss die Gründe nicht teilen können oder nachvollziehen. Aber ich muss diese Motivation verstehen. Nur so kann es gelingen, eine Geschichte zu erzählen. Trotzdem muss ich zugeben, dass im Ensemble der Figuren Otto Kringelein für mich eine kleine Sonderrolle einnimmt – ihm gilt einfach meine Empathie. Er hat ja offenbar nicht mehr lange zu leben und tritt als sogenannter »kleiner Mann« in eine ihm völlig fremde große, glitzernde Welt. Im Film würde man sagen »a fish out of water«. Er ist so wahnsinnig hilflos und dadurch anrührend – dem habe ich schon ein bisschen mein Herz zu Füßen gelegt.
Er ist aber auch eine ambivalente Figur.
Wortmann — Absolut. Er ist gefährdet. Das Stück spielt Ende der 1920er-Jahre und ist ohne das Wissen um die aufziehende Weltkatastrophe geschrieben worden. Trotzdem hat man manchmal das Gefühl, dass eine Ahnung der Autorin durch diesen Text weht. Eine Vorahnung des Abgrunds. Und bei Kringelein z. B. ist das so. Der Mann hat Wut, der fühlt sich ungerecht behandelt vom Leben, von der Welt, von der Frau, vom Chef. Kringelein ist einer, der vielleicht fünf Jahre später auch schwarze Stiefel und ein braunes Hemd tragen würde. Man kann es bei ihm zumindest nicht ausschließen, dass er vieles tun würde, um aus seinem Leben auszubrechen. An manchen Stellen erinnert er mich an die Menschen, die man heutzutage Wutbürger nennt. Oder an einen Internetkommentarspaltenvollschreiber. Das ist seine abgründige, unsympathische Seite. Trotzdem rührt er mich.
Kaluza — Die Protagonistinnen und Protagonisten im Buch sprechen nicht über eine Zeitenwende, und es ist auch nichts zu lesen z. B. von Aufmärschen auf den Straßen Berlins. Aber ich denke, Vicki Baum ging es auch eher um den Mikrokosmos Grandhotel und um die psychologische Studie der »Insassen« dort – und dann manifestieren sich an diesen privaten Menschen eben bestimmte politische Dinge. Fraglich ist, ob man 1929 im Detail wirklich ahnen konnte, welche Abgründe sich da vor einem auftaten. Heutzutage liegen ja auch wieder ein paar Sachen in der Luft. Kann ich ahnen, ob die Neuen Rechten bei der nächsten Wahl in vier Jahren die Mehrheit bekommen und alles wieder von vorn beginnen könnte? Wohl kaum. Ich will das gar nicht ahnen.
Vicki Baum ist keine kanonisierte Autorin. Wie sind Sie mit ihren Büchern in Berührung gekommen?
Wortmann — Ich habe durch Zufall »Liebe und Tod auf Bali« gelesen und war von der Sprache fasziniert. Vicki Baum hat einen eigenen Ton. Dann habe ich »Menschen im Hotel« gelesen und »Hotel Shanghai«. Wir haben hier eine Autorin, die die Menschen kennt und mit riesiger Empathie von ihnen erzählt. Von ihrer Sprache versuchen wir, möglichst viel auf die Bühne zu transponieren – den Ton zu erhalten.
Kaluza — Sätze wie: »Es ist ja nicht etwa so, dass Flämmchen sich nun in Kringelein verlieben würde, nein, das Leben ist weit davon entfernt, solche Süßigkeiten zu produzieren.« Das ist doch toll, so ein Satz, der etwas bejaht, indem er es verneint, und sich am Ende auch noch selbst aufhebt.
Nach zwei Jahren wird wieder eine Theatersaison am Gustaf-Gründgens-Platz eröffnet. Was bedeutet Ihnen dieser Ort?
Kaluza — Ich bin mit dem Haus verbunden, seit ich als Student in den 1990ern nach Düsseldorf kam. Ich war recht theaterbesessen, auch damals schon.
Wortmann — Mir bedeutet das Haus eine ganze Menge. Deshalb habe ich mich auch persönlich mit eingebracht, um den Wiedereinzug zu unterstützen und zu begleiten. Ich bin im Central – wenn ich jetzt mal ganz ehrlich bin – so mittelgerne. Zum Arbeiten ist es völlig in Ordnung, natürlich kann man dort Theater machen. Und es transportiert sich dort auch sehr schön ein bestimmter Geist oder sagen wir Gestus des Unfertigen, Improvisierten und Lässigen. Aber ich finde es unsinnlich dort. Und für den Text von Vicki Baum freue ich mich auf die Sinnlichkeit und die Atmosphäre am Gustaf- Gründgens-Platz. Es ist schön, so ganz langsam, nach und nach, wieder dahin zurückzukehren, wo dieses Theater hingehört.
Der deutsche Film- und Fernsehregisseur Sönke Wortmann lebt in Düsseldorf. Er arbeitet regelmäßig auch am Theater; in Düsseldorf inszenierte er zuletzt die Uraufführung »Willkommen أهلا وسهلا « von Lutz Hübner und Sarah Nemitz.
Stephan Kaluza lebt und arbeitet als Fotokünstler, Maler, Romancier und Dramatiker seit vielen Jahren in Düsseldorf. Seine Arbeiten werden weltweit gezeigt. Kürzlich war seine Ausstellung »Demarkation / Transit« im Ludwig Museum Koblenz zu sehen.
Das Interview ist erschienen im Spielzeitheft 2018/19. Das Gespräch führte Robert Koall.
Besetzung
Elisaweta GrusinskayaKarin Pfammatter
Dr. OtternschlagRainer Philippi
Kringelein, ein BuchhalterTorben Kessler
Baron von GaigernStefan Gorski
Preysing, GeneraldirektorPeter Jordan
Zinnowitz, JustizratGlenn Goltz
Flämmchen, eine SchreibkraftLieke Hoppe
Rohna, ConciergeMarkus Danzeisen
Gerster / Ein namenloser GastJürgen Sarkiss
SchweimannTino Zihlmann
PianistTobias Weindorf
Bardame, Pagen, Zimmermädchen, HotelgästeStatisterie
StimmeTabea Bettin
Dauer
2 Stunden, 30 Minuten — eine Pause