Besetzung
AliceLou Strenger
Carroll, Weißes Kaninchen, JabberwockyKilian Ponert
Herzkönigin, RaupeClaudia Hübbecker
Herzkönig, Humpty-DumptyThomas Wittmann
Herzbubenritter, Köchin, MärzhaseSebastian Tessenow
Hutmacher, Dideldei, Falsche SuppenschildkröteAndré Kaczmarczyk
Cello / GitarreDaniel Brandl / Veit Steinmann
PercussionLukas Meile / Alfonso Garrido
ViolineJulia Brüssel / Axel Lindner
RegieAndré Kaczmarczyk
MusikMatts Johan Leenders
BühneAnsgar Prüwer
KostümeJenny Theisen
LichtChristian Schmidt
DramaturgieJanine Ortiz
Dauer
2 Stunden — keine Pause
Sei’s drum. Kaczmarczyk - selbst als tüdeliger Hutmacher und als Kassandra mit weiß polaren Haaren in Gestalt der »falschen Suppenschildkröte« im Einsatz - zaubert seiner Alice aber keine chillige, sanfte Welt in Watte, sondern sein Wunderland ist voll von schrägen, schrillen und schrulligen Nervensägen, und manchmal auch garstigen Typen, die spitzzüngigen Sprachwitz zelebrieren.
»Zack Zack! Kopf ab!« Aber auch voller hintergründiger Poesie und Weltschmerz-Melancholie, Tränenfee und Tränensee inklusive. Doch zwängt das Regieteam den Klassiker aus dem viktorianischen England nicht in ein modernes Prada-Kostüm, sondern kreiert mit beinah zeitlosen, aber überdrehten Märchenfiguren eine traumwandlerische Atmosphäre und Momente fernab von Raum und Zeit. So wird die Wirklichkeit verrückt - wenn die Nachtfalter ins Licht fliegen, das Weiße Kaninchen (Kilian Ponert) sich verführerisch als Jüngling auf einem Felsen streckt oder die Raupe (Claudia Hübbecker) wie eine Stummfilm-Diva mit ellenlanger Zigarettenspitze posiert und Alice gute Ratschläge gibt. Ein Glücksfall ist Lou Strenger in der Titelpartie. Sie ist ein Mädchen unserer Tage – selbstbestimmt, unerschrocken, dann wieder verstört und sanft – zumal, wenn sie in einigen Bildern wie ein verletztes Wesen durch ihre Rätselwelt tänzelt. Überzeugend und stark wirken ihre Songs, in denen sie die Zuschauer mitnimmt auf ihre Grenzgänge zwischen Traum und Wirklichkeit. Am Ende: Jubel und Begeisterung.
Die Kompositionen von Matts Johan Leenders für kleine Besetzung, darunter Violine und Cello, stimmen leise Töne an. Balladenhaft und zartbesaitet, führen sie die Tradition des romantischen Kunstliedes und der Songwriter fort: die Partitur als zweite Traumspur.
Kaczmarczyk, der seine »Alice«-Fassung klug erweitert und in ihr bis »hinter die Spiegel« schaut, verschiebt sacht die Sphären, lässt Kontakt zu zwischen der Carroll-Liddell-Realität und dem imaginären »Alice«-Reich: ein transitorischer Dialog, der den psychischen Konflikt andeutet. Die Finesse und Akkuratesse des Bob Wilson, mit dem Kaczmarczyk zweimal gearbeitet hat, beherrscht auch er und verwandelt sie sich – weniger formell – an. Auch er ein Bildererzähler, der den Schein dem Sein vorzieht; mit Sinn für das winzige Detail und die einzelne Geste, und selbst Schauspieler, der weiß, wie Partnerinnen und Kollegen wirken und sein können. Er lässt sie, ob Mann, ob Frau, erotisch glitzern und bis in die Travestie hinein Stil walten. Die Kostüme mit Fell, Lack und Glamour sind Carnaby Street, knalliger Underground und Voguing-Parcours. Zu entdecken sind ein Cecil Beaton der Bühne – und sein Funny Girl und seine exquisite Fair Lady.