CO2
»Fridays for Future« und die Volksfeinde von heute — von Nick Nuttall
Plötzlich ist die Aufmerksamkeit da. Was grüne Aktivist*innen und Marketinggurus in Jahrzehnten nicht hinbekommen haben, hat eine 16-jährige Schwedin jetzt fast im Alleingang ins Rollen gebracht. Eine Bewegung, die in ihren Zielen und im Zuspruch, den sie bekommt, unvorstellbar schien, hat im Frühjahr 2019 die Straßen und die Bildschirme erobert. Ich spreche von den Hunderttausenden Kindern und jungen Menschen, die in mehr als hundert Ländern jeden Freitag für die Bewahrung des Klimas streiken. Greta Thunberg ist eine Sensation geworden. Sie hat es geschafft, dass die ganze Welt – am Küchentisch, bei Cocktailpartys, im Büro und im Bus – über den Klimawandel spricht. Ein Thema, das die Grundfesten unserer Lebensweise und unseres Sozialverhaltens erschüttert und die größte existenzielle Gefahr darstellt, mit der sich die Menschheit im 21. Jahrhundert konfrontiert sieht. Die Komplexität, die Lethargie und das Gefühl der Machtlosigkeit, die das Thema schon lange bestimmen, haben Greta und ihre jungen Anhänger*innen konsequent ignoriert und einfach mal gesagt, wie es wirklich aussieht. Sie haben erreicht, dass Politiker*innen, Wirtschaftsbosse, ja die ganze ältere Generation in den Spiegel schaut und sich fragt, was sie eigentlich die letzten zwanzig Jahre getan hat. Denn die wissenschaftlichen, die wirtschaftlichen und die moralischen Argumente waren schon damals stark genug, um so schnell und so umfassend wie nötig zu handeln. Die jungen Aktivist*innen haben auch viele Leute verärgert, weil hinter ihren Plakaten und Sprechchören eine einfache Wahrheit steht – der Klimawandel kann nicht angegangen werden, wenn sich das System, das ihn befeuert, nicht auch wandelt. Und das bedeutet eine Gefahr für den Status quo: die Eigeninteressen der Unternehmen, die den Löwenanteil der CO2-Verschmutzung verursachen, und die politische Maschinerie, die das ganze System am Laufen hält.
Es ist auch eine Herausforderung für viele, vor allem ältere Mitbürger*innen, die den Wandel fürchten. Dabei dient der Wandel dazu, Gefahren für die Menschheit in den Griff zu bekommen, und bietet die Möglichkeit, eine sauberere, grünere, fairere, nachhaltigere, schlicht und einfach bessere Welt zu gestalten.
Wie Ibsens Volksfeind sind Greta und ihre Anhänger*innen nicht bei allen beliebt. Manchen erscheinen sie nicht als eine Kraft für positive Veränderung, sondern als eine unbequeme Wahrheit, eine Gefahr für ihre Profite und eine Bedrohung für ihre schicken benzinfressenden Autos und ihre Langstreckenflüge. Tausende Social-Media-Bots wurden jetzt schon auf Twitter und Facebook losgelassen, um ihre Anstrengungen lächerlich zu machen und die Schulstreiks in den Dreck zu ziehen – aber die Kinder geben nicht nach.
Niemand von uns weiß, wie es mit den »Fridays for Future« ausgehen wird, ob sie Erfolg haben werden oder ob ihnen vorher die Puste ausgeht oder ob das System zurückschlagen und sie beenden wird. Aber die Künste sollten in jedem Fall die Energie der jungen Aktivist*innen aufnehmen und weitertragen, und zwar aus zwei Gründen.
Erstens liegen in der Auseinandersetzung mit dem Klimawandel Konflikte von epischer Größe – Erzählungen von Heldentum und Korruption, von Selbstaufopferung und Gier, von Leben und Tod und von der Zukunft und der Lebensqualität jedes Menschen – also alle Zutaten für einen guten Theaterabend!
Zweitens stellt sich hier auch eine schwierige kreative Aufgabe, und die Künste tragen die Verantwortung, sie zu lösen. Der Klimawandel ist real, aber die menschliche Wahrnehmung dieser Realität ist brüchig. Bei vielen scheitert die Vorstellungskraft immer noch, wenn es darum geht, zu sehen, was es aus wissenschaftlicher Sicht wirklich heißt, wenn die Menschheit es versäumt, jetzt kollektiv zu handeln.
Verstehen sie mich nicht falsch, es gibt Künstler*innen, die die neue Zeit begriffen haben. Das UN-Klimasekretariat kooperierte mehrfach mit »Save the World«, einem Festival, das 2014 initiiert wurde von der Bonner Schauspieldirektorin Nicola Bramkamp und das Künstler*innen, Bürokrat*innen und Expert*innen zusammenbrachte, um neue performative Ideen zum Verständnis komplexer Phänomene wie des Klimawandels zu entwickeln. So entstand z. B. der Song »I’m an Island«, mit dem Bernadette La Hengst und mehr als sechshundert Kinder die Weltklimakonferenz 2017 eröffneten und ein Jahr vor
Greta Thunberg die Möglichkeit einer solchen Bewegung aufzeigten. Es gibt viele weitere Beispiele aus aller Welt, wie sich Künstler*innen für den Klimaschutz engagieren, aber sie sind eher die Ausnahme als die Regel. Ein Grund dafür ist, wieder einmal, das politische System. Der Klimawandel wird allzu oft den Umwelt- und Entwicklungshilferessorts zugeordnet, müsste aber in allen Regierungsbereichen eine Rolle spielen, einschließlich der Kultusministerien. Vielleicht werden diese großen, wichtigen Themen dann die gleiche Förderung bekommen und genauso massentauglich werden wie eine Aufführung von »Figaro« oder »Macbeth«. Greta Thunberg und die Kinder der Erde stellen uns vor die Herausforderung, zu handeln, und zwar jetzt zu handeln – kein Gesellschaftsbereich kann es sich leisten, die gigantische Gefahr des Klimawandels zu ignorieren. Jeder Mensch auf der Welt wird sich einmischen müssen – und das schließt die Autorinnen, Regisseure, Musikerinnen und Schauspieler unserer großen und kleinen Theater mit ein: Sie müssen sich und ihr Publikum aus ihren alten Gewohnheiten herausreißen.
— Aus dem Englischen von Frederik Tidén Nick Nuttall ist Strategic Communications Director des Earth Day Network, davor war er Leiter der Kommunikationsabteilung und Pressesprecher der UN-Klimarahmenkonvention.
— Erschienen im Spielzeitheft 2019/20.
Es ist auch eine Herausforderung für viele, vor allem ältere Mitbürger*innen, die den Wandel fürchten. Dabei dient der Wandel dazu, Gefahren für die Menschheit in den Griff zu bekommen, und bietet die Möglichkeit, eine sauberere, grünere, fairere, nachhaltigere, schlicht und einfach bessere Welt zu gestalten.
Wie Ibsens Volksfeind sind Greta und ihre Anhänger*innen nicht bei allen beliebt. Manchen erscheinen sie nicht als eine Kraft für positive Veränderung, sondern als eine unbequeme Wahrheit, eine Gefahr für ihre Profite und eine Bedrohung für ihre schicken benzinfressenden Autos und ihre Langstreckenflüge. Tausende Social-Media-Bots wurden jetzt schon auf Twitter und Facebook losgelassen, um ihre Anstrengungen lächerlich zu machen und die Schulstreiks in den Dreck zu ziehen – aber die Kinder geben nicht nach.
Niemand von uns weiß, wie es mit den »Fridays for Future« ausgehen wird, ob sie Erfolg haben werden oder ob ihnen vorher die Puste ausgeht oder ob das System zurückschlagen und sie beenden wird. Aber die Künste sollten in jedem Fall die Energie der jungen Aktivist*innen aufnehmen und weitertragen, und zwar aus zwei Gründen.
Erstens liegen in der Auseinandersetzung mit dem Klimawandel Konflikte von epischer Größe – Erzählungen von Heldentum und Korruption, von Selbstaufopferung und Gier, von Leben und Tod und von der Zukunft und der Lebensqualität jedes Menschen – also alle Zutaten für einen guten Theaterabend!
Zweitens stellt sich hier auch eine schwierige kreative Aufgabe, und die Künste tragen die Verantwortung, sie zu lösen. Der Klimawandel ist real, aber die menschliche Wahrnehmung dieser Realität ist brüchig. Bei vielen scheitert die Vorstellungskraft immer noch, wenn es darum geht, zu sehen, was es aus wissenschaftlicher Sicht wirklich heißt, wenn die Menschheit es versäumt, jetzt kollektiv zu handeln.
Verstehen sie mich nicht falsch, es gibt Künstler*innen, die die neue Zeit begriffen haben. Das UN-Klimasekretariat kooperierte mehrfach mit »Save the World«, einem Festival, das 2014 initiiert wurde von der Bonner Schauspieldirektorin Nicola Bramkamp und das Künstler*innen, Bürokrat*innen und Expert*innen zusammenbrachte, um neue performative Ideen zum Verständnis komplexer Phänomene wie des Klimawandels zu entwickeln. So entstand z. B. der Song »I’m an Island«, mit dem Bernadette La Hengst und mehr als sechshundert Kinder die Weltklimakonferenz 2017 eröffneten und ein Jahr vor
Greta Thunberg die Möglichkeit einer solchen Bewegung aufzeigten. Es gibt viele weitere Beispiele aus aller Welt, wie sich Künstler*innen für den Klimaschutz engagieren, aber sie sind eher die Ausnahme als die Regel. Ein Grund dafür ist, wieder einmal, das politische System. Der Klimawandel wird allzu oft den Umwelt- und Entwicklungshilferessorts zugeordnet, müsste aber in allen Regierungsbereichen eine Rolle spielen, einschließlich der Kultusministerien. Vielleicht werden diese großen, wichtigen Themen dann die gleiche Förderung bekommen und genauso massentauglich werden wie eine Aufführung von »Figaro« oder »Macbeth«. Greta Thunberg und die Kinder der Erde stellen uns vor die Herausforderung, zu handeln, und zwar jetzt zu handeln – kein Gesellschaftsbereich kann es sich leisten, die gigantische Gefahr des Klimawandels zu ignorieren. Jeder Mensch auf der Welt wird sich einmischen müssen – und das schließt die Autorinnen, Regisseure, Musikerinnen und Schauspieler unserer großen und kleinen Theater mit ein: Sie müssen sich und ihr Publikum aus ihren alten Gewohnheiten herausreißen.
— Aus dem Englischen von Frederik Tidén Nick Nuttall ist Strategic Communications Director des Earth Day Network, davor war er Leiter der Kommunikationsabteilung und Pressesprecher der UN-Klimarahmenkonvention.
— Erschienen im Spielzeitheft 2019/20.
Besetzung
Die OberbürgermeisterinMinna Wündrich
Der EhemannGlenn Goltz
Die TochterCennet Rüya Voß
Der SohnCharlie Schrein
Die ChefredakteurinClaudia Hübbecker
Der BetriebsratJonas Friedrich Leonhardi
Der GeschäftsführerRainer Philippi
Die Umweltaktivist*innenEsra Atanasova, Nora Beisel, Lena Berghaus, René Boddice, Sara Lin Chen, Kester Elfroth, Nathanael Evers, Emma Fuhrmeister, Janna Gangolf, Sina Göttmann, Gesa van gen Hassend, Jan-Moritz Hoffmann, Greta Kolb, Oskar Lüttmann, Emilio Maestro, John-Frederik Reeg, Linus Reimann, Rebecca Roche, Juliane Sattler, Hanna Lei Shen
Der KonzernchefPhilipp Alfons Heitmann
AutorLothar Kittstein
RegieVolker Lösch
Bühne und KostümCarola Reuther
ChorleitungSandra Bezler
VideoRobi Voigt
DramaturgieJanine Ortiz
Dauer
1 Stunde 50 Minuten — keine Pause
Liebe Lehrer*innen, wenn Sie theaterpädagogische Angebote wie Workshops, Nachgespräche oder Einführungen zu dieser Inszenierung wünschen, wenden Sie sich bitte an den Theaterpädagogen Thiemo Hackel unter 0211. 85 23-402 oder thiemo.hackel@dhaus.de