faktenresistent
Die Aktivist*innen Hatice Durmaz und Oliver Ongaro sprechen im Interview über rechte Netzwerke in NRW.
»Mit der Faust in die Welt schlagen« handelt von Rechtspopulismus und -extremismus. Seit Jahren sorgen rechtsextreme Ausschreitungen vor allem im Osten Deutschlands für Schlagzeilen. Wie lässt sich die Situation in Nordrhein-Westfalen beschreiben?
Ongaro — Die Phänomene in West- und Ostdeutschland sind teilweise ähnlich. Die Menschen im Ruhrgebiet haben in den vergangenen Jahrzehnten eine ähnliche Deindustrialisierung und einen ähnlichen Strukturwandel erfahren wie die Menschen in Ostdeutschland. Gleichzeitig gibt es eine andere Erfahrung mit Menschen mit Migrationsgeschichte in Nordrhein-Westfalen. Wir sind seit den 1920er-Jahren ein Einwanderungsland. Das hat Auswirkungen auf bestimmte Diskussionen, und das Kräfteverhältnis ist ein ganz anderes als im Osten.
Durmaz — Wir denken bei Rechtsextremismus häufig an den klassischen Neonazi mit Glatze und Springerstiefeln. Für mich besteht die Gefahr jedoch darin, dass sich auch außerhalb rechtsextremer Netzwerke ein gewisses Gedankengut verfestigt. Die Radikalisierung beginnt mit der Sprache: Wenn zum Beispiel ein Politiker folgenlos über eine Politikerin mit Migrationshintergrund sagen kann, dass man sie in Anatolien entsorgen solle. Ich sehe es auch kritisch, wenn vonseiten der Politik gewisse Aussagen getätigt wer- den, die von den Medien aufgegriffen werden, indem man fragt: »Gehören Muslime zu Deutschland?« Damit implizieren sie, dass wir mit »Nein« antworten können. Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte dürfen wir keine Toleranz zeigen gegenüber einer Einstellung, die die Daseinsberechtigung von Menschen infrage stellt.
Welche Folgen befürchten Sie?
Durmaz — Als wieder Asylbewerberunterkünfte in Brand gesetzt wurden, haben die Täter ihre Angriffe mit der eigenen Angst vor Einwanderung, vor Geflüchteten, vor muslimischen Menschen zu legitimieren versucht. Ich denke, dass wir als Gesellschaft mit dem Thema falsch umgegangen sind, wenn Menschen Gewalt gegenüber Einrichtungen und Menschen ausüben, die ihnen nicht bekannt sind und angeblich Angst machen. Was ist mit der Angst der Menschen, gegen deren Existenzberechtigung hier in Deutschland zum Beispiel Dügida auf die Straße geht?
Gibt es organisierte Gruppen in Düsseldorf und Umgebung?
Ongaro — In Düsseldorf gibt es seit drei Jahren die sogenannte »Bruderschaft Garath«, die sich inzwischen in »Bruderschaft Deutschland« umbenannt hat. Es handelt sich hierbei um eine Mischszene aus Hooligans, Rockern, Menschen aus dem Türstehermilieu und Mitgliedern rechtsextremer Strukturen. Sie veranstalten »Spaziergänge« und »Patrouillengänge« und behaupten, sie müssten ihren Stadtteil und dessen Bewohner, insbesondere Frauen, vor Migrant*innen beschützen. Es gibt auch Verbindungen zwischen Rechtsextremen aus Düsseldorf und Essen, wo es den »Steeler Jungs«, ebenfalls eine Bürgerwehr, gelungen ist, sich in einen Karnevalsumzug einzuschleusen. Mit wem sie es da zu tun haben, ist dem Karnevalskomitee nicht aufgefallen.
Sind die Düsseldorfer*innen in ihrer Haltung zu unentschlossen?
Ongaro — In Düsseldorf gibt es immer wieder Angriffe von rechts. Gleich- zeitig haben wir eine sehr aktive Stadtgesellschaft. Es gab gemeinsame Demonstrationen des »Düsseldorfer Appells«, eines breiten überparteilichen bürgerschaftlichen Bündnisses. Das Blockadebündnis »Düsseldorf stellt sich quer« hat in Garath mehrfach Konzerte mit antirassistischen Hip-Hop-Gruppen veranstaltet. Das ist umkämpftes Gebiet. Es ist extrem wichtig, dort aktiv zu sein. Deshalb finde ich es manchmal schwierig, wenn wir mit diesem Engagement zu defensiv auftreten und ausschließlich von Weltoffenheit und Toleranz sprechen. Wir müssen schon klarmachen, dass wir etwas gegen Neonazis haben. Solidaritätsaktionen, gemeinsame Demonstrationen und Blockaden sind Mittel, wenn sich rechte Strukturen bereits gebildet haben.
Welche Möglichkeiten der Prävention gibt es?
Durmaz — Wir haben eine Zeit lang für Schulen Gespräche mit Aussteiger*innen aus der rechten Szene angeboten. Ich denke aber, dass wir einen Schritt vorher ansetzen müssen. In den Klassen sitzen ja keine Neonazis. Wir haben es mit jungen Menschen in der Entwicklung zu tun. Die Schule ist für mich ein Ort, an dem man nicht nur das Einmaleins lernt, sondern auch Zivilcourage und Werte vermittelt bekommen kann und muss. Hier lernt man, sich für andere einzusetzen und die Stimme zu erheben.
Ongaro — Bei »Düsseldorf stellt sich quer« gibt es die Ansicht, dass bestimmte Leute ein verfestigtes Weltbild haben, das sich nicht mehr ändern lässt. Dieses Weltbild ist äußerst faktenresistent und menschenfeindlich. Das kann ich nur noch bekämpfen. Ich sage das bewusst in dieser Deutlichkeit. Das Umfeld dieser Menschen allerdings muss ich überzeugen. Deshalb finde ich die Initiative des Stadtrats in Köln, München und bald Düsseldorf ein richtiges Signal, rassistischen, rechtsextremistischen und antisemitischen Vereinigungen keine städtischen Räume mehr zu überlassen. Solche Initiativen wirken auch immer in die Breite. Es ist ein starkes Zeichen, wenn unser Oberbürgermeister persönlich nach Eller kommt, weil er verhindern will, dass sich dort eine rechte Gruppierung breitmacht und den Stadtteil verunsichert. Wenn der Bürgermeister und andere Prominente öffentlich Stellung gegen Rassismus beziehen und sagen, in dieser Stadt ist kein Raum für Diskriminierung, kann das Auswirkungen auf Menschen haben, deren Meinungen nicht in Zement gegossen sind. Das macht mir Hoffnung.
— Die Fragen stellte der Dramaturg David Benjamin Brückel. Der Text ist erschienen im Spielzeitheft 2019/20.
Hatice Durmaz ist stellvertretende Vorsitzende der Lobby für Demokratie e. V. und Vertreterin des Bundesprogramms »Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit«. Oliver Ongaro ist Sprecher des Bündnisses »Düsseldorf stellt sich quer«, Vorstandsmitglied der Düsseldorfer Flüchtlingsinitiative »Stay!« sowie Streetworker bei »fiftyfifty«, einer gemeinnützigen Organisation zur Unterstützung Obdachloser im Raum Düsseldorf.
Ongaro — Die Phänomene in West- und Ostdeutschland sind teilweise ähnlich. Die Menschen im Ruhrgebiet haben in den vergangenen Jahrzehnten eine ähnliche Deindustrialisierung und einen ähnlichen Strukturwandel erfahren wie die Menschen in Ostdeutschland. Gleichzeitig gibt es eine andere Erfahrung mit Menschen mit Migrationsgeschichte in Nordrhein-Westfalen. Wir sind seit den 1920er-Jahren ein Einwanderungsland. Das hat Auswirkungen auf bestimmte Diskussionen, und das Kräfteverhältnis ist ein ganz anderes als im Osten.
Durmaz — Wir denken bei Rechtsextremismus häufig an den klassischen Neonazi mit Glatze und Springerstiefeln. Für mich besteht die Gefahr jedoch darin, dass sich auch außerhalb rechtsextremer Netzwerke ein gewisses Gedankengut verfestigt. Die Radikalisierung beginnt mit der Sprache: Wenn zum Beispiel ein Politiker folgenlos über eine Politikerin mit Migrationshintergrund sagen kann, dass man sie in Anatolien entsorgen solle. Ich sehe es auch kritisch, wenn vonseiten der Politik gewisse Aussagen getätigt wer- den, die von den Medien aufgegriffen werden, indem man fragt: »Gehören Muslime zu Deutschland?« Damit implizieren sie, dass wir mit »Nein« antworten können. Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte dürfen wir keine Toleranz zeigen gegenüber einer Einstellung, die die Daseinsberechtigung von Menschen infrage stellt.
Welche Folgen befürchten Sie?
Durmaz — Als wieder Asylbewerberunterkünfte in Brand gesetzt wurden, haben die Täter ihre Angriffe mit der eigenen Angst vor Einwanderung, vor Geflüchteten, vor muslimischen Menschen zu legitimieren versucht. Ich denke, dass wir als Gesellschaft mit dem Thema falsch umgegangen sind, wenn Menschen Gewalt gegenüber Einrichtungen und Menschen ausüben, die ihnen nicht bekannt sind und angeblich Angst machen. Was ist mit der Angst der Menschen, gegen deren Existenzberechtigung hier in Deutschland zum Beispiel Dügida auf die Straße geht?
Gibt es organisierte Gruppen in Düsseldorf und Umgebung?
Ongaro — In Düsseldorf gibt es seit drei Jahren die sogenannte »Bruderschaft Garath«, die sich inzwischen in »Bruderschaft Deutschland« umbenannt hat. Es handelt sich hierbei um eine Mischszene aus Hooligans, Rockern, Menschen aus dem Türstehermilieu und Mitgliedern rechtsextremer Strukturen. Sie veranstalten »Spaziergänge« und »Patrouillengänge« und behaupten, sie müssten ihren Stadtteil und dessen Bewohner, insbesondere Frauen, vor Migrant*innen beschützen. Es gibt auch Verbindungen zwischen Rechtsextremen aus Düsseldorf und Essen, wo es den »Steeler Jungs«, ebenfalls eine Bürgerwehr, gelungen ist, sich in einen Karnevalsumzug einzuschleusen. Mit wem sie es da zu tun haben, ist dem Karnevalskomitee nicht aufgefallen.
Sind die Düsseldorfer*innen in ihrer Haltung zu unentschlossen?
Ongaro — In Düsseldorf gibt es immer wieder Angriffe von rechts. Gleich- zeitig haben wir eine sehr aktive Stadtgesellschaft. Es gab gemeinsame Demonstrationen des »Düsseldorfer Appells«, eines breiten überparteilichen bürgerschaftlichen Bündnisses. Das Blockadebündnis »Düsseldorf stellt sich quer« hat in Garath mehrfach Konzerte mit antirassistischen Hip-Hop-Gruppen veranstaltet. Das ist umkämpftes Gebiet. Es ist extrem wichtig, dort aktiv zu sein. Deshalb finde ich es manchmal schwierig, wenn wir mit diesem Engagement zu defensiv auftreten und ausschließlich von Weltoffenheit und Toleranz sprechen. Wir müssen schon klarmachen, dass wir etwas gegen Neonazis haben. Solidaritätsaktionen, gemeinsame Demonstrationen und Blockaden sind Mittel, wenn sich rechte Strukturen bereits gebildet haben.
Welche Möglichkeiten der Prävention gibt es?
Durmaz — Wir haben eine Zeit lang für Schulen Gespräche mit Aussteiger*innen aus der rechten Szene angeboten. Ich denke aber, dass wir einen Schritt vorher ansetzen müssen. In den Klassen sitzen ja keine Neonazis. Wir haben es mit jungen Menschen in der Entwicklung zu tun. Die Schule ist für mich ein Ort, an dem man nicht nur das Einmaleins lernt, sondern auch Zivilcourage und Werte vermittelt bekommen kann und muss. Hier lernt man, sich für andere einzusetzen und die Stimme zu erheben.
Ongaro — Bei »Düsseldorf stellt sich quer« gibt es die Ansicht, dass bestimmte Leute ein verfestigtes Weltbild haben, das sich nicht mehr ändern lässt. Dieses Weltbild ist äußerst faktenresistent und menschenfeindlich. Das kann ich nur noch bekämpfen. Ich sage das bewusst in dieser Deutlichkeit. Das Umfeld dieser Menschen allerdings muss ich überzeugen. Deshalb finde ich die Initiative des Stadtrats in Köln, München und bald Düsseldorf ein richtiges Signal, rassistischen, rechtsextremistischen und antisemitischen Vereinigungen keine städtischen Räume mehr zu überlassen. Solche Initiativen wirken auch immer in die Breite. Es ist ein starkes Zeichen, wenn unser Oberbürgermeister persönlich nach Eller kommt, weil er verhindern will, dass sich dort eine rechte Gruppierung breitmacht und den Stadtteil verunsichert. Wenn der Bürgermeister und andere Prominente öffentlich Stellung gegen Rassismus beziehen und sagen, in dieser Stadt ist kein Raum für Diskriminierung, kann das Auswirkungen auf Menschen haben, deren Meinungen nicht in Zement gegossen sind. Das macht mir Hoffnung.
— Die Fragen stellte der Dramaturg David Benjamin Brückel. Der Text ist erschienen im Spielzeitheft 2019/20.
Hatice Durmaz ist stellvertretende Vorsitzende der Lobby für Demokratie e. V. und Vertreterin des Bundesprogramms »Demokratie leben! Aktiv gegen Rechtsextremismus, Gewalt und Menschenfeindlichkeit«. Oliver Ongaro ist Sprecher des Bündnisses »Düsseldorf stellt sich quer«, Vorstandsmitglied der Düsseldorfer Flüchtlingsinitiative »Stay!« sowie Streetworker bei »fiftyfifty«, einer gemeinnützigen Organisation zur Unterstützung Obdachloser im Raum Düsseldorf.
Besetzung
Regie und BühneMartin Grünheit
KostümImke Paulick
MusikFrieder Hepting
DramaturgieDavid Benjamin Brückel
TheaterpädagogikThiemo Hackel
Dauer
1 Stunde, 15 Minuten — keine Pause