»Die Gegenwart ist in diesem Augenblicke das Wichtigere«
Über den Einbruch von Aktualität in die Kunst und den Charme des Scheiterns in »Lieber ein lebendiger Hund als ein toter Löwe!« — von Felicitas Zürcher
Im April 1832 kann Heinrich Heine aus Paris bloß das Fragment eines versprochenen Artikels liefern. »Ich wurde in dieser Arbeit viel gestört«, schreibt er als Begründung dazu, »zumeist durch das grauenhafte Schreien meines Nachbarn, welcher an der Cholera starb.« Heine war kurze Zeit zuvor nach Paris gekommen und verfasste für eine deutsche Zeitung Berichte über die »Französischen Zustände«, wie die Textsammlung später heißen wird. Den ursprünglich geplanten Artikel verspricht er nachzuliefern. »Die Gegenwart ist in diesem Augenblicke das Wichtigere«, erläutert er die Änderung seines ursprünglichen Vorhabens, und der Bericht, den Heine stattdessen über den Ausbruch der Seuche in der französischen Hauptstadt verfasst, ist ein unmittelbares Zeugnis des Einbruchs von Krankheit und Tod in den Alltag: »Mehrere Abende lang sah man sogar auf den Boulevards wenig Menschen, und diese eilten einander schnell vorüber, die Hand oder ein Tuch vor dem Munde. Die Theater sind wie ausgestorben«, notiert Heine, und scheint damit unmittelbar die Situation der Corona-Pandemie vor nur wenigen Wochen mit leeren Straßen, Passant*innen mit Masken vor dem Gesicht und geschlossenen Theatern zu beschreiben.
Die Gegenwart hat sich stets mit Macht in Heines Arbeit gedrängt, und nicht erst der Korrespondent in Paris fand Wege, auch widrige Umstände künstlerisch fruchtbar zu machen: Bereits als Student hatte Heine mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen und unternahm, um diese zu lindern, eine Reise in den Harz. Mit der Beschreibung dieser »Harzreise«, des ersten Bandes seiner späteren »Reisebilder«, fand er einen neuen literarischen Stil, der Sagen und Geschichten mit persönlichen Begegnungen und Naturbeobachtungen mischte und der ihn zum Vorbild einer ganzen Generation machte. Auf der Reise wiederum, die Heine nach seiner Emigration zurück in sein Vaterland unternahm, war er von den reaktionären preußischen Verhältnissen derart betroffen und aufgewühlt, dass er noch in der Kutsche mit der Niederschrift seines satirischen Versepos’ »Deutschland. Ein Wintermärchen« begann. Und während ihn körperliche Beschwerden die letzten acht Jahre seines Lebens ans Bett der »Matratzengruft« fesselten, entstanden die berührenden Gedichte des »Romanzero«-Zyklus, in denen sich der Dichter mit Krankheit, Tod und dem Jenseits beschäftigt.
Aber Heine ist nicht nur ein Meister der lyrischen Form und des politischen Denkens, sondern auch ein Suchender, der immer wieder mit Rückschlägen und Misserfolgen zu kämpfen hatte – was ihn als Figur für das Theater umso interessanter macht. Als Liebender fuhr er in der Zuneigung für seine Cousine Amalia eine große Niederlage ein, die seiner Lyrik den Topos des verschmähten Liebhabers bescherte. In den Fußstapfen seiner romantischen Vorbilder sammelt er Fabeln, Sagen und alle Arten »Elementargeister«, erlangte allerdings nicht die erhoffte Professur. Und als Dramatiker scheiterte Heine komplett. Sein Debüt »Almansor« fiel durch, und sein zweites Stück »William Ratcliff« kam zu seinen Lebzeiten gar nicht erst auf die Bühne. Trotzdem schien Heine das Theater nicht loszulassen. Er verfasste die Abhandlungen »Über Shakespeares Mädchen und Frauen« und »Über die Französische Bühne«, den »Atta Troll« nannte er eine »Sommernachtsfantasie« und das Gegenstück dazu »Deutschland. Ein Wintermärchen« und zitierte damit zwei Komödien Shakespeares. Die Ehrfurcht schließlich, die ihn als jungen Dichter auf dem Brocken erfasste, als er die Goethe’schen Gestalten zu erahnen meinte, hielt trotz eines eher missglückten Zusammentreffens mit dem Dichterfürsten ein Leben lang an und mündete schließlich in dem Versuch, den »Doktor Faust« als »Tanzpoem« zu verfassen – ebenfalls unaufgeführt.
Anders als Goethe, der seine Zeitung gebunden und lediglich als Jahres- oder Halbjahresband las, ließ sich Heine vom Zeitgeschehen in jedem Moment berühren und leiten. Distanz als Praxis der Kunstproduktion, Abstand als Position der Kultur war nicht Heines Sache, im Gegenteil: Aktuelle Ereignisse schienen ihm direkt in die Feder zu fließen, und seine Literatur ist in jedem Moment involviert und radikal subjektiv. Selbst Heines Biografie trägt moderne Züge: gebrochene Bildungswege, mit immer neuen Umständen sich arrangierende Individuen, zerstückelte Biografien sind ein Zeichen unserer Zeit. Auch über Heine könnte man sagen: Kein Plan, aber eine Vielzahl von Projekten. Dass er darin kein Heldentum suchte, sondern Unmittelbarkeit, macht ihn zu einem »lebendigen Hund«, und das ist unter Umständen besser als »ein toter Löwe«.
Die Gegenwart hat sich stets mit Macht in Heines Arbeit gedrängt, und nicht erst der Korrespondent in Paris fand Wege, auch widrige Umstände künstlerisch fruchtbar zu machen: Bereits als Student hatte Heine mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen und unternahm, um diese zu lindern, eine Reise in den Harz. Mit der Beschreibung dieser »Harzreise«, des ersten Bandes seiner späteren »Reisebilder«, fand er einen neuen literarischen Stil, der Sagen und Geschichten mit persönlichen Begegnungen und Naturbeobachtungen mischte und der ihn zum Vorbild einer ganzen Generation machte. Auf der Reise wiederum, die Heine nach seiner Emigration zurück in sein Vaterland unternahm, war er von den reaktionären preußischen Verhältnissen derart betroffen und aufgewühlt, dass er noch in der Kutsche mit der Niederschrift seines satirischen Versepos’ »Deutschland. Ein Wintermärchen« begann. Und während ihn körperliche Beschwerden die letzten acht Jahre seines Lebens ans Bett der »Matratzengruft« fesselten, entstanden die berührenden Gedichte des »Romanzero«-Zyklus, in denen sich der Dichter mit Krankheit, Tod und dem Jenseits beschäftigt.
Aber Heine ist nicht nur ein Meister der lyrischen Form und des politischen Denkens, sondern auch ein Suchender, der immer wieder mit Rückschlägen und Misserfolgen zu kämpfen hatte – was ihn als Figur für das Theater umso interessanter macht. Als Liebender fuhr er in der Zuneigung für seine Cousine Amalia eine große Niederlage ein, die seiner Lyrik den Topos des verschmähten Liebhabers bescherte. In den Fußstapfen seiner romantischen Vorbilder sammelt er Fabeln, Sagen und alle Arten »Elementargeister«, erlangte allerdings nicht die erhoffte Professur. Und als Dramatiker scheiterte Heine komplett. Sein Debüt »Almansor« fiel durch, und sein zweites Stück »William Ratcliff« kam zu seinen Lebzeiten gar nicht erst auf die Bühne. Trotzdem schien Heine das Theater nicht loszulassen. Er verfasste die Abhandlungen »Über Shakespeares Mädchen und Frauen« und »Über die Französische Bühne«, den »Atta Troll« nannte er eine »Sommernachtsfantasie« und das Gegenstück dazu »Deutschland. Ein Wintermärchen« und zitierte damit zwei Komödien Shakespeares. Die Ehrfurcht schließlich, die ihn als jungen Dichter auf dem Brocken erfasste, als er die Goethe’schen Gestalten zu erahnen meinte, hielt trotz eines eher missglückten Zusammentreffens mit dem Dichterfürsten ein Leben lang an und mündete schließlich in dem Versuch, den »Doktor Faust« als »Tanzpoem« zu verfassen – ebenfalls unaufgeführt.
Anders als Goethe, der seine Zeitung gebunden und lediglich als Jahres- oder Halbjahresband las, ließ sich Heine vom Zeitgeschehen in jedem Moment berühren und leiten. Distanz als Praxis der Kunstproduktion, Abstand als Position der Kultur war nicht Heines Sache, im Gegenteil: Aktuelle Ereignisse schienen ihm direkt in die Feder zu fließen, und seine Literatur ist in jedem Moment involviert und radikal subjektiv. Selbst Heines Biografie trägt moderne Züge: gebrochene Bildungswege, mit immer neuen Umständen sich arrangierende Individuen, zerstückelte Biografien sind ein Zeichen unserer Zeit. Auch über Heine könnte man sagen: Kein Plan, aber eine Vielzahl von Projekten. Dass er darin kein Heldentum suchte, sondern Unmittelbarkeit, macht ihn zu einem »lebendigen Hund«, und das ist unter Umständen besser als »ein toter Löwe«.
Besetzung
Dauer
1 Stunde 45 Minuten (pro Rundgang) — keine Pause