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Der Journalist Tobias Rüther schreibt über die Faszination Bowie’scher Unschärfe und den Einfluss Düsseldorfer Kaltromantik
Irgendwann 1975, 1976 war David Bowie fertig mit Los Angeles und fast fertig auch mit sich selbst, körperlich und seelisch. Gerade hatte er seinen ersten Kinofilm gedreht, »Der Mann, der vom Himmel fiel«, darin spielt er einen Außerirdischen, dessen Planet verdurstet und der auf der Erde nach Rettung sucht, dort Karriere macht, aber entdeckt und eingesperrt wird, seine Flucht zurück misslingt, er fällt ins Nichts.
Aus dem Produktionsfundus hatte Bowie jene schwarze Limousine übernommen, mit der er als Thomas Jerome Newton durch das Amerika des Films gereist war – in derselben Limousine ließ er sich jetzt über die Highways von Los Angeles fahren.
Dort hinten auf der Rückbank seiner schwarzen Limousine hörte er die kaltromantische deutsche Elektronik von Kraftwerk – und den neuen Rock von Neu!, brandneue, experimentelle Musik aus Düsseldorf, die komplett frei im Kopf war und sich gelöst hatte aus jenen Vorschriften, die sich die junge Kunstform der Popmusik in der kurzen Zeit ihrer Existenz seit den 1950er-Jahren selbst auferlegt hatte. Z. B. dass ein Song einen Refrain oder einen Blues bräuchte oder dass überhaupt irgendjemand singen muss. Kraftwerk und Neu! scherten sich nicht um Konventionen. Bowie elektrisierte das, er wollte das auch, diese Freiheit im Kopf, den neuen Neuanfang, den Bruch mit allem, das andere, rasante Konzept. Er hatte sich Mitte der 1970er-Jahre ausgekämpft in Amerika, wo er unglaublich erfolgreich geworden war, aber auch irgendwie gestrandet, genau wie jener einsame, grundfremde Außerirdische Newton, den er in Nicolas Roegs Film gespielt hatte. Es konnte nicht so weitergehen für Bowie. Er war am Ende, er musste wieder aufstehen, es musste weitergehen, aber woanders, weg von hier.
Es wurde dann Berlin. Aber ohne Düsseldorf wäre das, was Bowie dann in der Berliner Hauptstraße 155 und im Hansa-Studio an der Mauer machte, ohne Düsseldorf wäre »Heroes« undenkbar gewesen. Wäre eine der größten Heldengeschichten der Popmusik nie geschrieben worden. Sie handelt von einem Mann, dessen Sucht nach Kunst und Performance und Verwandlung so groß war, dass es gar nicht genug Rollen für ihn gab, sie auszuleben.
Man muss sich das kurz vorstellen: Ein dünner weißer Engländer rast auf der Rückbank einer Limousine durch Los Angeles und hört Freakmusik aus der Bundesrepublik Deutschland, Postleitzahl 4000. Eine Filmszene. Das Talent zum Bild ist vielleicht Bowies größtes gewesen. Er wusste, wie er aussah, er wusste, was er diesem Anblick schuldete, er wusste, dass andere sich in ihm erkannten wie in einem Spiegel. Man kann überhaupt nicht überschätzen, wie viel Konzeption und Plan und Bewusstsein in seinem Werk stecken. Wie viel Disziplin und Präzision. Rock ’n’ Roll habe er immer als Medium benutzt, hat er selbst einmal gesagt. D. h., er hat durch das, was er da tat, immer noch einmal etwas anderes bezweckt. Andere wollen auf der Bühne im Feedback baden – Bowie im Strom der Bilder, die er auf der Bühne erzeugte: Sound and Vision eben, wie einer seiner Songs aus der Berliner Phase heißt.
Und je älter er wurde, desto klarer erkannte er, was er da getan hatte seit den 1960er-Jahren in London, getan hatte wie kein Zweiter in seiner Branche: die Möglichkeiten des Popsongs auszureizen, ihn nicht nur zu singen, sondern ihn auch zu spielen, ihm ein Gesicht zu geben, ein Kostüm, einen Ort in der Gegenwart, eine Geschichte, in die andere dann ihre eigene Geschichte hineinlesen konnten. Sich selbst von außen zu sehen, immerzu – das hatte ihn in Los Angeles fast den Verstand gekostet: dieser ständige Blick auf sich selbst als Figur und Idol. Aber diese Obsession war zugleich eine enorme künstlerische Kraft. Mit dieser Obsession aufs Image war Bowie – the medium is the message – einerseits Kind seiner Zeit. Andererseits musste ja irgendeiner der Erste sein, der Pop als visuelles Medium zur Selbstbefreiung einsetzte. Ein Glück, dass es David Bowie war.
Die Figuren in Bowies Musical »Lazarus«, das uns den Mann, der vom Himmel fiel, zurückbringt, spazieren aus Newtons Kopf in die Welt hinaus und schauen sich ihren Erschaffer an. Newton schaut zurück und erkennt sich selbst. David Bowie war immer einer der besten Interpreten seines eigenen Werks, »Lazarus«, das zwei Monate vor seinem Tod im Januar 2016 in New York uraufgeführt wurde, zeigt das. Wenn ich etwas geschaffen habe in meiner Karriere, erklärt er seinem Publikum, dann künstliche Images, die ein Eigenleben entfalten im Auge jedes immer neuen Betrachters.
Wie in einem Daumenkino ganz viele Bilder in Höchstgeschwindigkeit ein einzelnes ergeben, so könnte dieses eine Bild, zusammengesetzt aus Major Tom und Ziggy Stardust und dem Dünnen Weißen Fürsten, David Bowie zeigen. Aber dieses Bild bleibt in Unruhe, ist immer leicht verschwommen, stellt sich nie ganz scharf. Sich mit David Bowie zu beschäftigen heißt, sich auf diese Unschärfe einzulassen. Hinzunehmen, dass man niemals mehr kriegt als das. Keine Wahrheit. Aber modernste Kunst. — Erschienen im Spielzeitheft 2017/18
Tobias Rüther, geb. 1973, ist Stellvertretender Ressortleiter Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und Autor von »Helden«, einem biografischen Abriss von David Bowies Zeit in Berlin.
Aus dem Produktionsfundus hatte Bowie jene schwarze Limousine übernommen, mit der er als Thomas Jerome Newton durch das Amerika des Films gereist war – in derselben Limousine ließ er sich jetzt über die Highways von Los Angeles fahren.
Dort hinten auf der Rückbank seiner schwarzen Limousine hörte er die kaltromantische deutsche Elektronik von Kraftwerk – und den neuen Rock von Neu!, brandneue, experimentelle Musik aus Düsseldorf, die komplett frei im Kopf war und sich gelöst hatte aus jenen Vorschriften, die sich die junge Kunstform der Popmusik in der kurzen Zeit ihrer Existenz seit den 1950er-Jahren selbst auferlegt hatte. Z. B. dass ein Song einen Refrain oder einen Blues bräuchte oder dass überhaupt irgendjemand singen muss. Kraftwerk und Neu! scherten sich nicht um Konventionen. Bowie elektrisierte das, er wollte das auch, diese Freiheit im Kopf, den neuen Neuanfang, den Bruch mit allem, das andere, rasante Konzept. Er hatte sich Mitte der 1970er-Jahre ausgekämpft in Amerika, wo er unglaublich erfolgreich geworden war, aber auch irgendwie gestrandet, genau wie jener einsame, grundfremde Außerirdische Newton, den er in Nicolas Roegs Film gespielt hatte. Es konnte nicht so weitergehen für Bowie. Er war am Ende, er musste wieder aufstehen, es musste weitergehen, aber woanders, weg von hier.
Es wurde dann Berlin. Aber ohne Düsseldorf wäre das, was Bowie dann in der Berliner Hauptstraße 155 und im Hansa-Studio an der Mauer machte, ohne Düsseldorf wäre »Heroes« undenkbar gewesen. Wäre eine der größten Heldengeschichten der Popmusik nie geschrieben worden. Sie handelt von einem Mann, dessen Sucht nach Kunst und Performance und Verwandlung so groß war, dass es gar nicht genug Rollen für ihn gab, sie auszuleben.
Man muss sich das kurz vorstellen: Ein dünner weißer Engländer rast auf der Rückbank einer Limousine durch Los Angeles und hört Freakmusik aus der Bundesrepublik Deutschland, Postleitzahl 4000. Eine Filmszene. Das Talent zum Bild ist vielleicht Bowies größtes gewesen. Er wusste, wie er aussah, er wusste, was er diesem Anblick schuldete, er wusste, dass andere sich in ihm erkannten wie in einem Spiegel. Man kann überhaupt nicht überschätzen, wie viel Konzeption und Plan und Bewusstsein in seinem Werk stecken. Wie viel Disziplin und Präzision. Rock ’n’ Roll habe er immer als Medium benutzt, hat er selbst einmal gesagt. D. h., er hat durch das, was er da tat, immer noch einmal etwas anderes bezweckt. Andere wollen auf der Bühne im Feedback baden – Bowie im Strom der Bilder, die er auf der Bühne erzeugte: Sound and Vision eben, wie einer seiner Songs aus der Berliner Phase heißt.
Und je älter er wurde, desto klarer erkannte er, was er da getan hatte seit den 1960er-Jahren in London, getan hatte wie kein Zweiter in seiner Branche: die Möglichkeiten des Popsongs auszureizen, ihn nicht nur zu singen, sondern ihn auch zu spielen, ihm ein Gesicht zu geben, ein Kostüm, einen Ort in der Gegenwart, eine Geschichte, in die andere dann ihre eigene Geschichte hineinlesen konnten. Sich selbst von außen zu sehen, immerzu – das hatte ihn in Los Angeles fast den Verstand gekostet: dieser ständige Blick auf sich selbst als Figur und Idol. Aber diese Obsession war zugleich eine enorme künstlerische Kraft. Mit dieser Obsession aufs Image war Bowie – the medium is the message – einerseits Kind seiner Zeit. Andererseits musste ja irgendeiner der Erste sein, der Pop als visuelles Medium zur Selbstbefreiung einsetzte. Ein Glück, dass es David Bowie war.
Die Figuren in Bowies Musical »Lazarus«, das uns den Mann, der vom Himmel fiel, zurückbringt, spazieren aus Newtons Kopf in die Welt hinaus und schauen sich ihren Erschaffer an. Newton schaut zurück und erkennt sich selbst. David Bowie war immer einer der besten Interpreten seines eigenen Werks, »Lazarus«, das zwei Monate vor seinem Tod im Januar 2016 in New York uraufgeführt wurde, zeigt das. Wenn ich etwas geschaffen habe in meiner Karriere, erklärt er seinem Publikum, dann künstliche Images, die ein Eigenleben entfalten im Auge jedes immer neuen Betrachters.
Wie in einem Daumenkino ganz viele Bilder in Höchstgeschwindigkeit ein einzelnes ergeben, so könnte dieses eine Bild, zusammengesetzt aus Major Tom und Ziggy Stardust und dem Dünnen Weißen Fürsten, David Bowie zeigen. Aber dieses Bild bleibt in Unruhe, ist immer leicht verschwommen, stellt sich nie ganz scharf. Sich mit David Bowie zu beschäftigen heißt, sich auf diese Unschärfe einzulassen. Hinzunehmen, dass man niemals mehr kriegt als das. Keine Wahrheit. Aber modernste Kunst. — Erschienen im Spielzeitheft 2017/18
Tobias Rüther, geb. 1973, ist Stellvertretender Ressortleiter Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und Autor von »Helden«, einem biografischen Abriss von David Bowies Zeit in Berlin.
Besetzung
NewtonHans Petter Melø Dahl
GirlLieke Hoppe
ValentineAndré Kaczmarczyk
EllyRosa Enskat
ZachDaniel Fries
MichaelThomas Wittmann
Live-KameraStephan Komitsch
BandMarcus Bartelt, Hanno Busch, Peter Engelhardt, Heinz Hox, Karsten Riedel, Christian Samosny, Wolf Schenk, Stephan Schott
RegieMatthias Hartmann
BühneVolker Hintermeier
KostümSu Bühler
Musikalische LeitungHeinz Hox
ChoreografieBridget Petzold
Vocal CoachKerstin Brix
LichtJean-Mario Bessière
DramaturgieJanine Ortiz
Dauer
2 Stunden — keine Pause
Der Eingang zum Theater erfolgt über die Hofgartenseite.
Hinweis zur Parksituation am Gustaf-Gründgens-Platz: Zurzeit ist der Gustaf-Gründgens-Platz noch Baustelle. Nutzen Sie für die Anfahrt zum Schauspielhaus entweder die gute Verkehrsanbindung durch Bus und Bahn oder die Parkhäuser der Tiefgarage Kö-Bogen (Mo-Sa 6:00 – 1:00, So 10:00 – 1:00), Schadow-Arkaden (Mo-So 6:00 – 1:00), Bleichstraße (Mo-Sa 6:30 – 21:00, an Vorstellungstagen des Düsseldorfer Schauspielhauses bis 23:00 geöffnet / bei Vorstellungen, die bis 23 Uhr oder länger gehen, hat das Parkhaus bis 24 Uhr geöffnet, So geschlossen.)
Hinweis zur Parksituation am Gustaf-Gründgens-Platz: Zurzeit ist der Gustaf-Gründgens-Platz noch Baustelle. Nutzen Sie für die Anfahrt zum Schauspielhaus entweder die gute Verkehrsanbindung durch Bus und Bahn oder die Parkhäuser der Tiefgarage Kö-Bogen (Mo-Sa 6:00 – 1:00, So 10:00 – 1:00), Schadow-Arkaden (Mo-So 6:00 – 1:00), Bleichstraße (Mo-Sa 6:30 – 21:00, an Vorstellungstagen des Düsseldorfer Schauspielhauses bis 23:00 geöffnet / bei Vorstellungen, die bis 23 Uhr oder länger gehen, hat das Parkhaus bis 24 Uhr geöffnet, So geschlossen.)
Herzlichen Dank an das Steigenberger Parkhotel für das Fotoshooting zu »Lazarus«.