Alba
Von der Gewalt des Herrschens. Schillers Blick auf Gaddafi und Assad — von Bundesminister a. D. Jürgen Trittin
Ist Don Karlos ein umgekehrter Ödipus? Der Königssohn, der vergeblich um die Liebe von Elisabeth, der Frau seines Vaters Philipp, buhlt und von diesem geopfert wird.
Doch ist »Don Karlos« nicht viel mehr eine Geschichte der Landnahme, der Unterdrückung, wie sie H. W. Geißendörfer 1971 als Western auf den Bildschirm brachte? Hier begehrt der großartige Gottfried John als Carlos die wunderschöne Lisa (Geraldine Chaplin) und wird im Duell von seinem Vater Philipp (Bernhard Wicki) erschossen. Doch die eigentliche Geschichte des Films ist Carlos’ Aufstand gegen die angeheuerten Gangster unter Ligo (Horst Frank), die die Bevölkerung schikanieren und ausbeuten. Das weist eher auf Shakespeare. Tatsächlich geht es bei Schiller um Macht und Herrschaft. Das ebenso erstarrte wie überdehnte Reich Spanien muss seine Herrschaft in den entlegenen Provinzen der Niederlande sichern. Und weil es nicht zur Modernisierung fähig ist, bleibt nur die Eskalation. Der Herzog von Alba wird zu einer Strafexpedition losgeschickt. Und dafür wird der eigene Sohn, der für Reformen plädiert hat, der Inquisition ausgeliefert.
So richtet sich die Gewalt der Herrschaft gegen die eigene Familie. Der Sohn wird der Herrschaft geopfert. Historisch war der Feldzug des Herzogs Alba kein Erfolg. Am Ende waren die Niederlande unabhängig. Schillers dramatisches Gedicht war eine Belehrung an seinen Fürsten – ein Plädoyer für einen aufgeklärten Absolutismus. Und es spiegelte in geradezu Brecht’scher Weise seine eigene Rolle in der Figur des Marquis von Posa, des Freundes und Beraters von Karlos.
Doch die hinter »Don Karlos« stehende Idee geht tiefer. Wenn Herrschaft auf Terror setzt, zerstört dies nicht nur die Legitimation von Herrschaft, es untergräbt die eigenen Werte. Es schafft keine Stabilität. Schiller war 1787 weiter als Donald Rumsfeld zweihundert Jahre später. Der legendäre Satz des ehemaligen Verteidigungsministers der USA über den später unter seiner Besatzung gehängten Saddam Hussein: »He is a bastard, but he is our bastard«, beschreibt die Rolle des Herzogs von Alba. Nach diesem Prinzip wurde über Jahrzehnte die Hegemonie der USA und Europas über den Mittleren und den Nahen Osten organisiert. Nach der Kolonialzeit wurde den urbanen schiitischen Schichten Syriens die Herrschaft über die mehrheitlich sunnitischen Syrer*innen übergeben. Es war der Beginn des Regimes der Assads.
Die Öl- und Gasquellen Libyens und einen großen Abnehmer von Rüstungsgütern vor Augen empfing Nicolas Sarkozy Muammar al-Gaddafi in Paris – um ihn später in einer Militärintervention abzuservieren, als er ihm gefährlich geworden war. Angeblich sollte der Pakt mit Tyrannen Stabilität schaffen. Das Gegenteil ist eingetreten. Im Irak, in Syrien, in Libyen. Mehr als 400 000 Tote in Syrien, neun Millionen Flüchtlinge – das ist das Gegenteil von Stabilität. Zehntausende Tote, Milizen, Drogen- und Menschenhandel zwischen Tripolis, Misrata und Bengasi destabilisieren ganz Nordafrika. Das Aufkommen des politischen Islamismus ist ohne die Brutalität und die Korruption der Herrschaft der Gewalt in diesen Ländern nicht erklärbar.
Philipp schlägt den Rat des Marquis von Posa: »Geben Sie Gedankenfreiheit «, aus. Er setzt auf den Herzog von Alba. Wenn die Welt heute »aus den Fugen« ist (wie Frank-Walter Steinmeier formuliert), dann hat das mit dem Prinzip des Herzogs von Alba zu tun.
Jürgen Trittin, geboren 1954, ist Bundestagsabgeordneter (Bündnis 90 / Die Grünen) und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Von 1998 bis 2005 war er Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Von 2005 bis 2009 war er einer der stellvertretenden Vorsitzenden der Bundestagsfraktion der Grünen; von 2009 bis 2013 waren Renate Künast und er deren Vorsitzende.
Der Text ist erschienen im Spielzeitheft 2018/19.
Doch ist »Don Karlos« nicht viel mehr eine Geschichte der Landnahme, der Unterdrückung, wie sie H. W. Geißendörfer 1971 als Western auf den Bildschirm brachte? Hier begehrt der großartige Gottfried John als Carlos die wunderschöne Lisa (Geraldine Chaplin) und wird im Duell von seinem Vater Philipp (Bernhard Wicki) erschossen. Doch die eigentliche Geschichte des Films ist Carlos’ Aufstand gegen die angeheuerten Gangster unter Ligo (Horst Frank), die die Bevölkerung schikanieren und ausbeuten. Das weist eher auf Shakespeare. Tatsächlich geht es bei Schiller um Macht und Herrschaft. Das ebenso erstarrte wie überdehnte Reich Spanien muss seine Herrschaft in den entlegenen Provinzen der Niederlande sichern. Und weil es nicht zur Modernisierung fähig ist, bleibt nur die Eskalation. Der Herzog von Alba wird zu einer Strafexpedition losgeschickt. Und dafür wird der eigene Sohn, der für Reformen plädiert hat, der Inquisition ausgeliefert.
So richtet sich die Gewalt der Herrschaft gegen die eigene Familie. Der Sohn wird der Herrschaft geopfert. Historisch war der Feldzug des Herzogs Alba kein Erfolg. Am Ende waren die Niederlande unabhängig. Schillers dramatisches Gedicht war eine Belehrung an seinen Fürsten – ein Plädoyer für einen aufgeklärten Absolutismus. Und es spiegelte in geradezu Brecht’scher Weise seine eigene Rolle in der Figur des Marquis von Posa, des Freundes und Beraters von Karlos.
Doch die hinter »Don Karlos« stehende Idee geht tiefer. Wenn Herrschaft auf Terror setzt, zerstört dies nicht nur die Legitimation von Herrschaft, es untergräbt die eigenen Werte. Es schafft keine Stabilität. Schiller war 1787 weiter als Donald Rumsfeld zweihundert Jahre später. Der legendäre Satz des ehemaligen Verteidigungsministers der USA über den später unter seiner Besatzung gehängten Saddam Hussein: »He is a bastard, but he is our bastard«, beschreibt die Rolle des Herzogs von Alba. Nach diesem Prinzip wurde über Jahrzehnte die Hegemonie der USA und Europas über den Mittleren und den Nahen Osten organisiert. Nach der Kolonialzeit wurde den urbanen schiitischen Schichten Syriens die Herrschaft über die mehrheitlich sunnitischen Syrer*innen übergeben. Es war der Beginn des Regimes der Assads.
Die Öl- und Gasquellen Libyens und einen großen Abnehmer von Rüstungsgütern vor Augen empfing Nicolas Sarkozy Muammar al-Gaddafi in Paris – um ihn später in einer Militärintervention abzuservieren, als er ihm gefährlich geworden war. Angeblich sollte der Pakt mit Tyrannen Stabilität schaffen. Das Gegenteil ist eingetreten. Im Irak, in Syrien, in Libyen. Mehr als 400 000 Tote in Syrien, neun Millionen Flüchtlinge – das ist das Gegenteil von Stabilität. Zehntausende Tote, Milizen, Drogen- und Menschenhandel zwischen Tripolis, Misrata und Bengasi destabilisieren ganz Nordafrika. Das Aufkommen des politischen Islamismus ist ohne die Brutalität und die Korruption der Herrschaft der Gewalt in diesen Ländern nicht erklärbar.
Philipp schlägt den Rat des Marquis von Posa: »Geben Sie Gedankenfreiheit «, aus. Er setzt auf den Herzog von Alba. Wenn die Welt heute »aus den Fugen« ist (wie Frank-Walter Steinmeier formuliert), dann hat das mit dem Prinzip des Herzogs von Alba zu tun.
Jürgen Trittin, geboren 1954, ist Bundestagsabgeordneter (Bündnis 90 / Die Grünen) und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Von 1998 bis 2005 war er Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Von 2005 bis 2009 war er einer der stellvertretenden Vorsitzenden der Bundestagsfraktion der Grünen; von 2009 bis 2013 waren Renate Künast und er deren Vorsitzende.
Der Text ist erschienen im Spielzeitheft 2018/19.
Besetzung
König PhilippWolfgang Michalek
ElisabethLea Ruckpaul
Don KarlosJonas Friedrich Leonhardi
Prinzessin EboliLou Strenger
Marquis von PosaAndré Kaczmarczyk
Herzog von AlbaSebastian Tessenow
DomingoAlexej Lochmann
GroßinquisitorKarin Pfammatter
Dauer
3 Stunden, 30 Minuten — 1 Pause