Matrix
Axel Hacke hat eine große, kleine Geschichte über seine vergnügliche und seltsame Begegnung mit dem Schöpfer geschrieben — Wir baten den Düsseldorfer Pfarrer Lars Schütt, von seiner Suche nach Gott zu erzählen
Als Kind war mein Vertrauen in das Leben unerschütterlich. Und der Garant dafür, der wahre Vertreter Gottes in meiner kleinen Welt, das war mein Vater. Eines Tages würde er alle Bösewichter lieb gemacht haben. Wenn ich etwas nicht verstand, hatte er eine Antwort. Er hatte immer eine Antwort. Selbst wenn er schweigend seine Stirn in Falten legte, lag darin eine Antwort. Schließlich war er es ja, der sonntags auf der Kanzel stand und Antworten gab auf Fragen, die vorher beim Frühstück noch niemand hatte kommen sehen. Ja, wenn ich als kleiner Junge mit Gott sprechen wollte, dann krabbelte ich zu meinem Vater auf den Schoß. Ich war fest davon überzeugt, dass er ihn kannte.
Den letzten Versuch, unter die schützenden Flügel meines Vaters und meiner Mutter zu schlüpfen, unternahm ich mit 19 Jahren. Zwischen Abi und Studium zog sich der Himmel zu und verdeckte die Sonne. Der Appetit aufs Leben verschwand, eine latente Angst hatte mich im Nacken gepackt. Und zum ersten Mal erlebte ich meinen Vater hilflos. Die sonst beruhigende Wirkung seiner Antworten und Erklärungen blieb einfach aus.
Genau hier nahm meine Suche nach Gott ihren Anfang. Als ich den Boden unter den Füßen verlor. So muss sich Eva im Paradies gefühlt haben, kurz nachdem sie von der Frucht gegessen hatte und ihr die Augen für die Matrix geöffnet wurden. Adieu, »Truman Show «. Guten Tag, echtes Leben. Das Leben stellte mich vor die Aufgabe, allein klarzukommen. Und damit meinte es, allein zu sein. Ich ahnte, dass ich in Beziehungen mein Glück suchen kann, aber nicht mein Heil. Mir wurde klar, dass Gott – falls es ihn/sie/es gibt – mich nicht an der Hand durchs Leben führt, sondern mir einen freien Raum zumutet. Eine Art Trainingscamp im Spannungsfeld zwischen Freiheit und Bindung. Das Boot, das nun aus dem elterlichen Hafen auslief, brauchte einen Anker.
Zwanzig Jahre später kann ich sagen, dass so ein Anker in mir gewachsen ist. Aber nicht durch ein bestimmtes Bekehrungserlebnis, sondern durch viele aufeinander aufbauende Erlebnisse von Gottes vermutlicher, vermeintlicher und manchmal ganz bestimmter Gegenwart. Es war und ist ein Prozess, eine Suchbewegung – bunt, anstrengend, belebend, überraschend und mit lauter Grenzen, hinter die ich nicht zurückgehen kann.
Die Art und Weise, wie Gott den Protagonisten in der Erzählung von Axel Hacke immer wieder überraschend aufsucht, ihn entführt, erstaunt über seinen Horizont schauen lässt oder ihm den Spiegel vorhält, kommt dem recht nah, wie ich meinen Weg mit Gott erlebe. Mit dem Unterschied, dass ich mich immer schon nicht nur finden lassen, sondern Gott auch suchen wollte. Die Suche nach der direkten und unmittelbaren Liebe zu Gott ist zu einer Haltung geworden.
Zwei Dinge bilden für mich das »Geheimnis« dafür, dass der eigene Anker tatsächlich gewachsen ist. Zuerst habe ich schnell den Entschluss gefasst, radikal infrage zu stellen, was mir nicht dabei hilft, Gott näherzukommen. Beispielsweise ist mir das Konzept eines »menschgewordenen Gottes« weder intellektuell noch spirituell hilfreich geworden. Ebenso verhält es sich mit der Idee, dass Jesus der von den Juden erwartete Messias sei. Ich habe mich davon verabschiedet, dass die Bibel allein die Quelle meines Glaubens sein müsse, und erst recht davon, dass bestimmte Bekenntnisschriften den Rahmen meiner Auslegung eingrenzen könnten. Dadurch wurde mein theologisches und philosophisches Treiben zu meinem eigenen. Manche werfen einem liberalen Theologen wie mir Beliebigkeit vor, aber dann verstehen sie nicht, dass ich begründen muss und kann, weshalb ich Teile dieser Tradition infrage stelle und mir andere zu eigen mache. Ich muss selber denken, das ist anstrengend, aber befreiend und genau das, wozu Jesus mich als Bruder, Rabbi und Prophet inspiriert.
Das Zweite ist, dass ich mich dann ebenso leidenschaftlich für etwas entschieden habe. Z. B. für diese jüdisch-christliche Tradition als eine Heimat, eine Sprache und Quelle der Inspiration. Ich habe mich zum mystischen Teil in mir bekannt und dazu, dass die Natur die Quelle meiner Spiritualität ist. Im Wald oder auf dem Berg kommt meine Ratio zur Ruhe, und ich kann Eintauchen in den Zustand, dass alles »in Schöpfungsordnung« ist. Das ist vielleicht vergleichbar mit dem »Großen Egal« bei Axel Hacke, nur dass ich es nicht fatalistisch, sondern als auf eine geheimnisvolle Art und Weise tröstlich erlebe. Ich kann sehr gut damit leben, einerseits die Welt rational zu beschreiben und andererseits meine Grenzen anzuerkennen. Das hebräische Wort für Glaube bedeutet übersetzt nicht etwa »wissen wollen« und nicht einmal »vertrauen können«, sondern lediglich »sich festhalten an …«. Ich habe die Hoffnung, dass Gott ist, wie Juden und Christen ihn beschrieben haben: allmächtig, persönlich, leidenschaftlich, verletzlich, liebevoll. Ich habe die Hoffnung, dass Gott, wie in der Erzählung von Hacke, fantasievoll, unperfekt und auf mich angewiesen ist. Daran halte ich mich fest.
Mein Vater sagte bei seiner Verabschiedung aus dem Dienst: »Früher wollte ich die Welt verändern. Dann wollte ich die Kirche verändern. Irgendwann wollte ich dann nur noch mich selbst verändern.« Am Ende hat er es also nicht geschafft, alle Verbrecher lieb zu machen. Und dennoch hat er nie aufgehört, an der Hoffnung festzuhalten.
Lars Schütt, geb. 1978, ist seit 2014 Pfarrer in der Christuskirche der Evangelischen Emmaus-Gemeinde in Düsseldorf-Oberbilk. Schütt hat die Christuskirche als Kulturkirche in Düsseldorf etabliert, die ihre Türen auch zu einer Vielzahl von Kunst- und Kulturangeboten öffnet.
Den letzten Versuch, unter die schützenden Flügel meines Vaters und meiner Mutter zu schlüpfen, unternahm ich mit 19 Jahren. Zwischen Abi und Studium zog sich der Himmel zu und verdeckte die Sonne. Der Appetit aufs Leben verschwand, eine latente Angst hatte mich im Nacken gepackt. Und zum ersten Mal erlebte ich meinen Vater hilflos. Die sonst beruhigende Wirkung seiner Antworten und Erklärungen blieb einfach aus.
Genau hier nahm meine Suche nach Gott ihren Anfang. Als ich den Boden unter den Füßen verlor. So muss sich Eva im Paradies gefühlt haben, kurz nachdem sie von der Frucht gegessen hatte und ihr die Augen für die Matrix geöffnet wurden. Adieu, »Truman Show «. Guten Tag, echtes Leben. Das Leben stellte mich vor die Aufgabe, allein klarzukommen. Und damit meinte es, allein zu sein. Ich ahnte, dass ich in Beziehungen mein Glück suchen kann, aber nicht mein Heil. Mir wurde klar, dass Gott – falls es ihn/sie/es gibt – mich nicht an der Hand durchs Leben führt, sondern mir einen freien Raum zumutet. Eine Art Trainingscamp im Spannungsfeld zwischen Freiheit und Bindung. Das Boot, das nun aus dem elterlichen Hafen auslief, brauchte einen Anker.
Zwanzig Jahre später kann ich sagen, dass so ein Anker in mir gewachsen ist. Aber nicht durch ein bestimmtes Bekehrungserlebnis, sondern durch viele aufeinander aufbauende Erlebnisse von Gottes vermutlicher, vermeintlicher und manchmal ganz bestimmter Gegenwart. Es war und ist ein Prozess, eine Suchbewegung – bunt, anstrengend, belebend, überraschend und mit lauter Grenzen, hinter die ich nicht zurückgehen kann.
Die Art und Weise, wie Gott den Protagonisten in der Erzählung von Axel Hacke immer wieder überraschend aufsucht, ihn entführt, erstaunt über seinen Horizont schauen lässt oder ihm den Spiegel vorhält, kommt dem recht nah, wie ich meinen Weg mit Gott erlebe. Mit dem Unterschied, dass ich mich immer schon nicht nur finden lassen, sondern Gott auch suchen wollte. Die Suche nach der direkten und unmittelbaren Liebe zu Gott ist zu einer Haltung geworden.
Zwei Dinge bilden für mich das »Geheimnis« dafür, dass der eigene Anker tatsächlich gewachsen ist. Zuerst habe ich schnell den Entschluss gefasst, radikal infrage zu stellen, was mir nicht dabei hilft, Gott näherzukommen. Beispielsweise ist mir das Konzept eines »menschgewordenen Gottes« weder intellektuell noch spirituell hilfreich geworden. Ebenso verhält es sich mit der Idee, dass Jesus der von den Juden erwartete Messias sei. Ich habe mich davon verabschiedet, dass die Bibel allein die Quelle meines Glaubens sein müsse, und erst recht davon, dass bestimmte Bekenntnisschriften den Rahmen meiner Auslegung eingrenzen könnten. Dadurch wurde mein theologisches und philosophisches Treiben zu meinem eigenen. Manche werfen einem liberalen Theologen wie mir Beliebigkeit vor, aber dann verstehen sie nicht, dass ich begründen muss und kann, weshalb ich Teile dieser Tradition infrage stelle und mir andere zu eigen mache. Ich muss selber denken, das ist anstrengend, aber befreiend und genau das, wozu Jesus mich als Bruder, Rabbi und Prophet inspiriert.
Das Zweite ist, dass ich mich dann ebenso leidenschaftlich für etwas entschieden habe. Z. B. für diese jüdisch-christliche Tradition als eine Heimat, eine Sprache und Quelle der Inspiration. Ich habe mich zum mystischen Teil in mir bekannt und dazu, dass die Natur die Quelle meiner Spiritualität ist. Im Wald oder auf dem Berg kommt meine Ratio zur Ruhe, und ich kann Eintauchen in den Zustand, dass alles »in Schöpfungsordnung« ist. Das ist vielleicht vergleichbar mit dem »Großen Egal« bei Axel Hacke, nur dass ich es nicht fatalistisch, sondern als auf eine geheimnisvolle Art und Weise tröstlich erlebe. Ich kann sehr gut damit leben, einerseits die Welt rational zu beschreiben und andererseits meine Grenzen anzuerkennen. Das hebräische Wort für Glaube bedeutet übersetzt nicht etwa »wissen wollen« und nicht einmal »vertrauen können«, sondern lediglich »sich festhalten an …«. Ich habe die Hoffnung, dass Gott ist, wie Juden und Christen ihn beschrieben haben: allmächtig, persönlich, leidenschaftlich, verletzlich, liebevoll. Ich habe die Hoffnung, dass Gott, wie in der Erzählung von Hacke, fantasievoll, unperfekt und auf mich angewiesen ist. Daran halte ich mich fest.
Mein Vater sagte bei seiner Verabschiedung aus dem Dienst: »Früher wollte ich die Welt verändern. Dann wollte ich die Kirche verändern. Irgendwann wollte ich dann nur noch mich selbst verändern.« Am Ende hat er es also nicht geschafft, alle Verbrecher lieb zu machen. Und dennoch hat er nie aufgehört, an der Hoffnung festzuhalten.
Lars Schütt, geb. 1978, ist seit 2014 Pfarrer in der Christuskirche der Evangelischen Emmaus-Gemeinde in Düsseldorf-Oberbilk. Schütt hat die Christuskirche als Kulturkirche in Düsseldorf etabliert, die ihre Türen auch zu einer Vielzahl von Kunst- und Kulturangeboten öffnet.