Der zerbrochne Krug Pressestimmen
Deutschlandfunk Kutur
8.11.2018
Cennet Rüya Voß spielt die Figur der Eve sehr still. Sie ist wie zu einer Statue lebensfern erstarrt. Als personifizierte Unschuld trägt sie weiße Latzhosen und Gummistiefel. Am Ende gibt ihr Laura Linnenbaum den Monolog, den Kleist einst selbst für sie gedacht hatte, zurück. Der ist bislang fast nicht inszeniert worden. Denn als Goethe den Monolog 1808 noch selbst aufführte, floppte die Inszenierung. Daraufhin hat Kleist den Monolog der Eve, in dem sie ihre Beweggründe erklärt, weggekürzt. Dieser Monolog wird Eve nun wiedergegeben, um sich in ihrer Kraft zu entfalten.
Eine konzentrierte, auf den Punkt gebrachte Inszenierung. Ansonsten werden sprachliche Funken geschlagen, es gibt große Lacher und ein schockierendes Ende. Männer-Bünde überleben und Dorfrichter Adam kommt in tailliertem Anzug wieder ins Amt.

Süddeutsche Zeitung
9.11.2018
Ein scharfer und wichtiger Debattenbeitrag im zweiten Jahr der »Me Too«-Bewegung. [...] Das Außergewöhnliche an diesem Stück ist, dass und wie Kleist den quälenden Prozesstag in eine gemeine Komödie verpackt, deren Komik bis heute verblüffend gut funktioniert.
Bevor Regisseurin Laura Linnenbaum und ihre Dramaturgin Felicitas Zürcher das Gelächter in Düsseldorf jäh beenden, ziehen sie erst mal sämtliche Humorregister: von absurden Wortpirouetten über Herrenwitze bis zum Slapstick ist alles dabei. Andreas Grothgar kennt als grob lädierter Richter Adam mit bauernschlau blitzenden Augen keinerlei Schamgrenze. Gerichtsrat Walter, auf Kontrollreise durch die Gerichtssäle der Provinz, entpuppt sich bei Florian Lange als manierierter Machtmensch. Eves Mutter Marthe, kühl gespielt von Michaela Steiger, punktet mit ironischen Alltagssexismen. 
Marthe will vor Gericht ihren teuren Krug ersetzt haben. Vor allem aber will sie die Ehre ihrer Tochter beschützen, indem sie aussagt, deren Verlobter Ruprecht (Stefan Gorski) und nicht etwa ein Fremder habe ihn zerstört. Dass weder sie noch Ruprecht das geringste Vertrauen in Eve haben, ist das frauenverachtende Grundnarrativ, das Kleist dem ach so heiteren Plot unterlegt. Anstelle der leichtgängigen Kurzfassung, die der Dramatiker nach der gefloppten Uraufführung selbst erstellt hatte, inszeniert Linnenbaum die lange Version. Diese soll Unglück bringen, munkelt man bis heute am Theater. Was sie wirklich bringt, ist Aufklärung. Nur in dieser Fassung darf Eve vom Objekt zum Subjekt werden und erzählen, wie es zum Übergriff durch den Richter kam. 
Cennet Rüya Voß hat schon eine unglaubliche Bühnenpräsenz, wenn sie nur stumm mit sich ringend am Rand steht. Jetzt donnert sie diesen Monolog mit einer tief verletzten Wahrhaftigkeit heraus, die dem Abend eine extrem schmerzliche Wendung verpasst. Wie jede missbrauchte Frau bis heute wird auch Eve genötigt, öffentlich intime Details zu erzählen. Klar ist, dass die zwei Minuten, über die sie schweigt, die schlimmsten waren.

Theater heute
Januar 2019
Laura Linnenbaum inszeniert Kleists Lustspielt mit viel Lust am Wortwitz und viel Wut über die Lust der mächtigen Männer.
Cennet Rüya Voß spielt sich da am Ende des Abends ganz nach vorne. [...] Eine Inszenierung mit einer scharfen These. Eve Rull posted: #MeToo.

Nachtkritik
9.11.2018
Linnenbaum bleibt dicht am Text, auch wenn sie das Pittoresk-Gemütliche der Vorlage eliminiert. Heinrich von Kleists »Zerbrochner Krug« ist ein überkomplexes Stück. Sündenfall im Paradies, Anti-Ödipus, Inversion der Tragödie ins Komische: Der Chiffren ist kein Ende, und kein Publikum der Welt wird das alles auf Anhieb entschlüsseln können. Daran ist schon der Regisseur der Uraufführung, ein gewisser Herr von Goethe, schier verzweifelt. Er hatte auf mehr Lacher gehofft. Dabei ist das Stück nicht nur sehr komisch, es ist saukomisch, auch wenn die Sau nicht durchs Dorf, sondern nur durch einen Gerichtssaal getrieben wird – der zugleich Krankenstation, Dorfschänke und einiges mehr ist. Im Wesentlichen also: Parodie eines Gerichtssaals; alles ist hier Parodie.
Laura Linnenbaum aber lässt sich durch nichts schrecken, und für den Gerichtsrat, der seines Amtes mehr schlecht als recht waltet, hat sie eine besondere Volte in petto. Zunächst aber sind die anderen Figuren zu würdigen, der Richter Adam des Andreas Grothgar, dessen gelegentlich überschüssige Performer-Energien gezügelt sind; Michaela Steiger, die der Marthe Rull einen erstaunlich nüchternen Ton schenkt; Rainer Philippi, wunderbar spillerig als Licht; Stefan Gorski glaubhaft empört als Bräutigam Ruprecht; nicht zuletzt aber Cennet Rüya Voß, als Eve zunächst nur eine Randfigur, dann aber mit ihrem großen Monolog plötzlich beeindruckend im Mittelpunkt stehend.
Florian Langes Walter ist nicht allein durch seine beschädigte Hand (die dem Klumpfuß des Adam entspricht) eingeschränkt, er erweist sich auch, bei aller oberflächlichen Sachlichkeit und "Vernunft", als im Denken borniert. Offenbar reizt es sehr, diesem selbstzufriedenen Mann die Maske vom Gesicht zu ziehen. Linnenbaum widmet ihm eine Regie-Zugabe: Er gibt der Eve nicht nur einen patriarchalen Kuss, er vergewaltigt sie vor dem Publikum. Damit diesem das Lachen im Hals steckenbleibt, das sich in den zwei Stunden zuvor, immer wieder mal, befreiend Bahn brach. 

Rheinische Post
9.11.2018
Regisseurin Laura Linnenbaum macht in Düsseldorf aus Heinrich von Kleists berühmtem Lustspiel ein Lehrstück über Missbrauch. [...] Und Cennet Rüya Voß spielt das ergreifend: die Verzweiflung und Ohnmacht des Opfers. [...] Am Düsseldorfer Schauspielhaus hat Laura Linnenbaum aus Kleists vielschichtigem Lustspiel »Der zerbrochene Krug« ein bitteres Lehrstück zur MeToo-Debatte gemacht – ohne der Gerichts-Farce die mal deftige, mal hintersinnige Komik zu nehmen.
Andreas Grothgar darf mit Wonne aus dem Dorfrichter einen verkommenen Lüstling machen, korrupt, verlogen und mit derart blutigen Kopfwunden, dass er eigentlich gleich überführt ist. Rainer Philippi ist mit hübsch hölzerner Verschlagenheit der Schreiberling, der selbst Richter werden möchte. Michaela Steiger gibt mit herber Modernität eine leicht vulgäre Mutter Marthe, die mehr um ihren Ruf fürchtet als um ihr Kind. Und Stefan Gorski überzeugt als gekränkter Macho im Blaumann, der seiner Eve schmachtende Lieder singt, sie aber fallen lässt, als es darauf ankommt. Selbst die scheinbare Lichtfigur des Stücks, Gerichtsrat Walter, ist bei Linnenbaum kein Erneuerer, der im Provinzgericht aufräumt. Florian Lange muss ihn als lächerlich wütende Figur spielen mit bandagierter Hand – ein Finger als mickriger Phallus. Im Schluss, den Linnenbaum dem Stück aufpfropft, reiht sich dieser vermeintliche Retter ein in das verkommene System des Dorfrichters. So verweigert die Regisseurin jeden Gedanken an Versöhnung. Mag Markus Danzeisen als abergläubische Frau Brigitte noch so kläglich das „Nun küsst euch und liebt euch“-Ende einfordern. Das Missbrauchsopfer erfährt weder Recht noch Genugtuung, die Aussage nützt ihm nichts, die Männer machen einfach weiter. Neuer Anzug, neue Position, die Machtstrukturen sind ja die alten. Da bleibt Mutter Marthe nur der Griff zum Handy. Vielleicht nützt ein Beweisfoto in der nächsten Instanz? Mit Sprache sind die einfachen Leute vor diesem Gericht gescheitert, bleibt die Hoffnung auf die Wahrheit der Pixel.

Westdeutsche Zeitung
9.11.2018
Nun startet die Komödie mit ihren von karnevalesken Figuren, gewitzten und geistreichen Dialogen. Adam erscheint nur noch als Karikatur eines Justizvertreters. Andreas Grothgar mimt Adam mit kraftvoller Komik und führt auch seinen Vorgesetzten Gerichtsrat Walter lustvoll an der Nase herum. Florian Lange führt Walters scheiternden Kampf um Aufklärung überzeugend vor. Michaela Steiger mimt die Klägerin Marthe Rull, Eves Mutter, ernst und nüchtern, aber glaubwürdig. Sie beschuldigt Ruprecht, dem angehenden Bräutigam Eves, ihren Krug zerstört zu haben. Stefan Gorski gibt den Bauernsohn als jugendlich aufbrausend. Er wiederum bezichtigt Eve, einen Liebhaber empfangen zu haben und beschimpft sie als als Dirne. Doch so komisch die menschlichen Unzulänglichkeiten auch erscheinen mögen, gibt es letztlich ein Opfer: Eve. Cennet Rüya Voß verkörpert sie still, zerbrechlich und unschuldig. Doch am Schluss kriegt sie den Monolog wieder, den Kleist einst weggekürzt hatte. Hierin schildert Eve den Tathergang. Bewegend und unerlässlich!
Denn obwohl die Beweise für Adams Täterschaft offen liegen, schweigen alle Beteiligten. Doch Eve schlägt auch das Versöhnungsangebot von Ruprecht aus. Als zu respektlos empfand sie sein Verhalten. Umso erschütternder das Finale, bei dem Eve von Walter vergewaltigt wird und Adam einen anderen Posten im Justizapparat erhält. So mutiert Linnenbaums Kleist-Inszenierung zu einem emanzipatorischen Kommentar auf die #MeToo-Debatte.