Pssssst!
Wann ist der richtige Zeitpunkt, Menschen erstmals mit Theater zu erreichen? Von Anfang an, meint Theaterpädagogin Maura Meyer.
Theaterschaffenden im Feld des Theaters für die Allerkleinsten begegnet oft eine Frage: Warum soll man bereits für Kinder im Kita-Alter Theater machen?
Natürlich gibt es Gründe: Junge Kinder lieben das Spiel, die Fantasie, in Rollen zu schlüpfen und Geschichten. Zudem ist die ästhetische Erfahrung eine Art von Welterschließung, die ganz nah dran ist an dem, was Kinder den ganzen Tag tun. Sie spüren, wie sich Milch auf der Tischplatte anfühlt, schmecken den Sand im Sandkasten und riechen, ob sie sich bei jemandem wohlfühlen oder nicht. Sie sind im Ästhetischen zu Hause. Es geht also beim Theaterspielen und Theatersehen darum, die Kinder dort zu treffen, wo sie sich sowieso aufhalten, und darum, die alltäglichen Erfahrungen um weitere Facetten der Poesie und der Kunst zu erweitern.
Also: Warum sollte man das nicht tun? Die Haltung, kleine Kinder im Nachdenken über kulturelle und ästhetische Bildung immer noch auszusparen, ist eine künstliche und von Erwachsenen gemachte Grenze. Wann wäre der rechte Zeitpunkt, Menschen mit dem Theater zu beglücken, wenn nicht von Anfang an?
Ab der weiterführenden Schule? Viel zu spät, da sind sich alle einig. Wenn die Kinder lesen können? Keine relevante Fertigkeit im Theater! Wenn sie beginnen, sich für Geschichten zu interessieren? Es gibt auch wundervolle Aufführungen jenseits von Geschichten.
Daher gibt es nur die eine Antwort: ab dem Punkt, an dem sie Interesse an der Welt zeigen, und das ist von Anfang an.
Interessanterweise sind die ganz kleinen Kinder ja eigentlich die Avantgarde. Was für Theatergänger*innen als Ableitung des klassischen Theaters daherkommt und Abstraktion darstellt – z. B. im Bühnenbild eine Stahlstange in Kombination mit grünem Licht als Baum zu verstehen –, ist für die Allerkleinsten Alltag. Sie brauchen kein Telefon, wenn sie uns Erwachsene kopieren. Es kann auch ein Stock, ein Bauklotz oder eine Packung Papiertaschentücher sein, womit sie – ganz wichtig dreinschauend – ein Telefonat führen. Sie sind also schon längst zu Hause im abstrakten Spiel.
Man könnte es auch Fantasie nennen. Ich sage lieber: Abstraktion und Avantgarde. So würde man es in einer Kunstform für Erwachsene auch nennen – und warum einen Unterschied machen?
Natürlich ist es eine spannende Frage, was das für ein Theater sein muss, das die ganz kleinen Kinder erreicht. Es braucht aufseiten der Künstler*innen eine Hinwendung zum Wesen der Kinder, um zu verstehen, was sie berührt und welche Themen, welche Ästhetiken sie erreichen. Es geht um direkte ästhetische Erfahrbarkeit, um Unmittelbarkeit und um einen Dialog.
Dialog meint an dieser Stelle: Es muss Platz bleiben für Reaktionen, die nicht durch ein »Psst« der begleitenden Erwachsenen unterbunden werden, dafür, dass die Kinder innerlich mitgehen können und die Spiegelneuronen in den kleinen, höchst aktiven Gehirnen in Bewegung kommen. Und im besten Falle gibt es im Anschluss eine Möglichkeit, die innere Aktivität in eine körperliche münden zu lassen.
Für Schauspieler*innen ist es eine sehr große Herausforderung, für ganz junge Menschen zu spielen. Denn genau wie die Kinder noch eins sind mit sich, müssen sie es auch sein, um vom Publikum erst genommen zu werden: durchdrungen von dem, was sie in diesem einen Moment tun – ohne sich durch Gedanken ablenken zu lassen oder in die Falle der gedankenlosen Wiederholung zu tappen. Das verlangt zeitgleich höchste Konzentration und Offenheit.
Nun brauchen die Kinder uns Erwachsene, um Zugang zu Theater und zu ästhetischen Differenzerfahrungen zu bekommen. Die flächendeckende kulturelle Teilhabe ist eine strukturelle Aufgabe, die nur in Zusammenarbeit mit Bildungseinrichtungen und Kulturinstitutionen zu lösen ist.
Die größte Wirkung hat sicherlich, in der Ausbildung der Erzieher*innen die eigene ästhetische Erfahrung ins Curriculum zu nehmen. Das ist vor allem wichtig, da viele von ihnen auch in ihrer eigenen Biografie nicht damit in Berührung gekommen sind.
Unser gemeinsamer gesellschaftlicher Auftrag ist, kulturelle und ästhetische Erfahrungen allen Kindern zugänglich zu machen, so wie es der Artikel 31 der UN-Kinderrechtskonvention vorsieht – auch den jüngsten.
Also auf zu einer konzertierten Aktion von Theatern, Bildungseinrichtungen und Ausbildungsstätten!
Maura Meyer ist Programmleiterin von TUKI – Theater & Kita in Berlin. TUKI ist ein Partnerschaftsprogramm von Kitas und Theatern. Es verankert damit die Theaterkunst im Kita-Alltag und gibt den Theatern Impulse.
Der Text erschien im Spielzeitheft 2019/20.
Natürlich gibt es Gründe: Junge Kinder lieben das Spiel, die Fantasie, in Rollen zu schlüpfen und Geschichten. Zudem ist die ästhetische Erfahrung eine Art von Welterschließung, die ganz nah dran ist an dem, was Kinder den ganzen Tag tun. Sie spüren, wie sich Milch auf der Tischplatte anfühlt, schmecken den Sand im Sandkasten und riechen, ob sie sich bei jemandem wohlfühlen oder nicht. Sie sind im Ästhetischen zu Hause. Es geht also beim Theaterspielen und Theatersehen darum, die Kinder dort zu treffen, wo sie sich sowieso aufhalten, und darum, die alltäglichen Erfahrungen um weitere Facetten der Poesie und der Kunst zu erweitern.
Also: Warum sollte man das nicht tun? Die Haltung, kleine Kinder im Nachdenken über kulturelle und ästhetische Bildung immer noch auszusparen, ist eine künstliche und von Erwachsenen gemachte Grenze. Wann wäre der rechte Zeitpunkt, Menschen mit dem Theater zu beglücken, wenn nicht von Anfang an?
Ab der weiterführenden Schule? Viel zu spät, da sind sich alle einig. Wenn die Kinder lesen können? Keine relevante Fertigkeit im Theater! Wenn sie beginnen, sich für Geschichten zu interessieren? Es gibt auch wundervolle Aufführungen jenseits von Geschichten.
Daher gibt es nur die eine Antwort: ab dem Punkt, an dem sie Interesse an der Welt zeigen, und das ist von Anfang an.
Interessanterweise sind die ganz kleinen Kinder ja eigentlich die Avantgarde. Was für Theatergänger*innen als Ableitung des klassischen Theaters daherkommt und Abstraktion darstellt – z. B. im Bühnenbild eine Stahlstange in Kombination mit grünem Licht als Baum zu verstehen –, ist für die Allerkleinsten Alltag. Sie brauchen kein Telefon, wenn sie uns Erwachsene kopieren. Es kann auch ein Stock, ein Bauklotz oder eine Packung Papiertaschentücher sein, womit sie – ganz wichtig dreinschauend – ein Telefonat führen. Sie sind also schon längst zu Hause im abstrakten Spiel.
Man könnte es auch Fantasie nennen. Ich sage lieber: Abstraktion und Avantgarde. So würde man es in einer Kunstform für Erwachsene auch nennen – und warum einen Unterschied machen?
Natürlich ist es eine spannende Frage, was das für ein Theater sein muss, das die ganz kleinen Kinder erreicht. Es braucht aufseiten der Künstler*innen eine Hinwendung zum Wesen der Kinder, um zu verstehen, was sie berührt und welche Themen, welche Ästhetiken sie erreichen. Es geht um direkte ästhetische Erfahrbarkeit, um Unmittelbarkeit und um einen Dialog.
Dialog meint an dieser Stelle: Es muss Platz bleiben für Reaktionen, die nicht durch ein »Psst« der begleitenden Erwachsenen unterbunden werden, dafür, dass die Kinder innerlich mitgehen können und die Spiegelneuronen in den kleinen, höchst aktiven Gehirnen in Bewegung kommen. Und im besten Falle gibt es im Anschluss eine Möglichkeit, die innere Aktivität in eine körperliche münden zu lassen.
Für Schauspieler*innen ist es eine sehr große Herausforderung, für ganz junge Menschen zu spielen. Denn genau wie die Kinder noch eins sind mit sich, müssen sie es auch sein, um vom Publikum erst genommen zu werden: durchdrungen von dem, was sie in diesem einen Moment tun – ohne sich durch Gedanken ablenken zu lassen oder in die Falle der gedankenlosen Wiederholung zu tappen. Das verlangt zeitgleich höchste Konzentration und Offenheit.
Nun brauchen die Kinder uns Erwachsene, um Zugang zu Theater und zu ästhetischen Differenzerfahrungen zu bekommen. Die flächendeckende kulturelle Teilhabe ist eine strukturelle Aufgabe, die nur in Zusammenarbeit mit Bildungseinrichtungen und Kulturinstitutionen zu lösen ist.
Die größte Wirkung hat sicherlich, in der Ausbildung der Erzieher*innen die eigene ästhetische Erfahrung ins Curriculum zu nehmen. Das ist vor allem wichtig, da viele von ihnen auch in ihrer eigenen Biografie nicht damit in Berührung gekommen sind.
Unser gemeinsamer gesellschaftlicher Auftrag ist, kulturelle und ästhetische Erfahrungen allen Kindern zugänglich zu machen, so wie es der Artikel 31 der UN-Kinderrechtskonvention vorsieht – auch den jüngsten.
Also auf zu einer konzertierten Aktion von Theatern, Bildungseinrichtungen und Ausbildungsstätten!
Maura Meyer ist Programmleiterin von TUKI – Theater & Kita in Berlin. TUKI ist ein Partnerschaftsprogramm von Kitas und Theatern. Es verankert damit die Theaterkunst im Kita-Alltag und gibt den Theatern Impulse.
Der Text erschien im Spielzeitheft 2019/20.
Besetzung
MusikerPeter Florian Berndt
BühneMarie Gimpel
KostümRia Papadopoulou
MusikPeter Florian Berndt
DramaturgieKirstin Hess
TheaterpädagogikLama Ali
Dauer
50 Minuten — keine Pause