etwas erleben
Stefan Fischer-Fels im Gespräch mit Expert*innen für Gegenwart und Zukunft
Sechs Jugendliche vom Bürgerbühnen-Klub »Die Theatersoap« sitzen im Konferenzraum in der Münsterstraße. Stefan Fischer-Fels, Leiter des Jungen Schauspiels, möchte von ihnen wissen, was im Leben wichtig ist.
In einer Erzählung von Martin Buber findet ein armer Gelehrter am Ende einer langen Reise einen Schatz. Für welchen Schatz würdest du alles Gewohnte aufgeben und weit weggehen?
Freya — Reden wir von materiellen Dingen?
Mai — Wenn ich die Möglichkeit hätte, all das zu verbessern, was ich im Moment habe. Wenn ich die Möglichkeit hätte, ein Universum zu schaffen und mir alles selbst auszudenken. Dann würde ich das machen.
Noah — Also wärst du gerne Gott.
Jessica — Es müsste ja etwas sein, wofür es sich lohnen würde, das, was ich jetzt sicher habe, gegen etwas zu tauschen, was ungewiss ist und irgendwann mal mein sein wird. Ich würde mich selbst als einen sehr realistischen Menschen bezeichnen. Ich glaube nicht, dass ich Sicherheit gegen das Ungewisse eintauschen würde.
Freya — Wenn mir jemand komplette Selbstverwirklichung versprechen würde.
Und was wäre komplette Selbstverwirklichung?
Freya — Genau das ist der Punkt. Das ist zwar etwas, wonach ich extrem strebe – aber noch gar nicht genau sagen kann, was das ist.
Wofür würdest du dich auf einen entbehrungsreichen Weg begeben? Für eine Liebe, für Umweltschutz, für die Beendigung des Cyberwars?
Freya — Was ich mir wünschen würde, ist, dass Leute richtig kommunizieren. Statt zu sagen, ich will den Weltfrieden, würde ich sagen, ich will, dass die Leute einander zuhören.
Anneke — Ich glaube, dass jeder aus seinem eigenen Orbit, aus diesem Ich-Bezogenen, aus diesem Konsumverhalten raus muss und versuchen muss, das große Ganze zu sehen.
Du müsstest deinen Luxus aufgeben für etwas Unsicheres da draußen.
Charlotte — Ich würde sagen, es liegt auch ein gewisser Reiz darin, das Unbekannte zu entdecken.
Wofür würdest du dich auf den Weg machen?
Charlotte — Ich würde lieber etwas erleben – auch schlechte Sachen, emotional oder körperlich belastend –, als nur zu Hause zu sitzen.
Anneke — Ich habe ein Problem damit, ein konkretes Ziel zu formulieren, aber ich hätte grundsätzlich kein Problem, einen schweren Weg zu gehen. Ich habe Dinge in meinem Leben erlebt, hätte mir das vorher einer gesagt, hätte ich es nicht so durchgezogen. Ich glaube, dass immer mehr in einem steckt, als man zuerst denkt, und ich glaube, dass man erst in der Konfrontation merkt, wie stark man ist.
Willst du deinen Schatz beschreiben, Noah?
Noah — Ich habe festgestellt, dass sich mein Realitätsdenken so derb dazwischenschaltet, dass es für mich zu schwierig ist, auf deine Frage eine konkrete Antwort zu finden.
Was ist die größte Herausforderung in deinem Leben?
Noah — Akzeptanz!
Charlotte — Sich selbst verwirklichen, eigene Träume durchsetzen.
Und was wäre der Traum, den du durchsetzen möchtest?
Charlotte — Ein Traumberuf, ein Sozialleben, Freunde und Familie – und was erlebt zu haben.
Freya — Selbstdisziplin. Letztes Jahr beim deutsch-indischen Jugendkongress »Future (t)here« gab es ein Gespräch mit einer Dozentin, die fragte, was man denn für die Umwelt tun könne. Und alle wussten sofort: kein Fleisch essen, nicht bei Primark einkaufen. Sie saßen aber gleichzeitig in ihren Primark-Klamotten da und beschwerten sich darüber, dass es die ganze Woche veganes Essen gab! Wir wissen alle genau, was wir anders machen müssten. Aber wer macht es?
Anneke — Ich bin gerade hinter den kleinen Dingen her, dass wir z. B. Obst und Gemüse nicht in der Plastikverpackung kaufen, weil ich das einfach lächerlich finde. Und dann kommt mein Bruder und fragt mich, was es denn bringe, wenn ausgerechnet er jetzt den Müll trenne. Dieses Augenverschließen!
Freya — Wenn niemand anfängt, wird sich auch nichts ändern. Man fällt halt auf. Wenn ich jetzt mit Freunden essen gehe und sage: »Nein, ich esse kein Fleisch«, dann bekomme ich dumme Kommentare und bin die, die nervt. Aber es ist wichtig, das zu machen. Ich bin ganz ehrlich, ich mache es auch nicht immer.
Noah — Das Thema hat viel mit Moral zu tun. Wir sind verantwortlich für das Erbe dieses Planeten.
Was haltet ihr von »Fridays for Future«?
Anneke — Ich finde die Bewegung sehr richtig und sehr wichtig. Ich habe die Einstellung, dass es langsam an der Zeit ist, dass wir uns zu Wort melden.
Freya — Beziehungsweise zu spät.
Anneke — Ja, zu spät, und deshalb finde ich es gut, dass Schüler so einen massiven Druck ausüben, und richtig, dass man dafür eben nicht zur Schule geht. Weil genau das ist es, was die Politiker nervt.
Freya — Unserer Generation wird immer wieder vorgeworfen: Ihr interessiert euch nicht mehr, ihr seid unpolitisch. Und das stört mich extrem. In dem Moment, in dem sich junge Menschen mobilisieren und sagen: »Das ist mir wichtig!«, sagen alle: »Das geht jetzt aber nicht.«
Mai — Ich meine, wir haben eine Demokratie und Meinungsfreiheit, versuchen, etwas zu verändern, letztendlich sind wir aber machtlos. Mir macht das Angst.
Freya — Viele junge Leute sind politisch interessiert, aber auf der Schiene: Alles ist scheiße. Das bringt niemanden weiter.
Jessica — Aber man fühlt sich stark.
Freya — Ich kann nicht sagen: Alles scheiße – jetzt macht was! Ich kann sagen: Ist alles scheiße, und was können wir dagegen tun? Es geht um Offenheit. Und es geht immer wieder ums Zuhören. Ich sage nicht: Nur weil es unrealistisch scheint, tue ich nichts dafür. Das ist doch mit allen Träumen so. Du musst was dafür machen.
Freya, seit Kurzem Schauspielstudentin, ist 2000 in Großbritannien geboren. Noah, 18, geboren in Ho-Chi-Minh-Stadt, geht in Meerbusch zur Schule. Mai, Schülerin an einem Düsseldorfer Gymnasium, ist 2001 in Düsseldorf geboren. Charlotte, 1999 in Konstanz geboren, macht nach Abitur und Auslandsjahr eine Regiehospitanz am Schauspielhaus. Jessica, geboren 2000 in Düsseldorf, ist Schülerin an einem Düsseldorfer Gymnasium, und Anneke, 1994 in Düsseldorf geboren, studiert »English and American Language, Literature & Culture« an der Heinrich-Heine-Universität.
Der Text erschien im Spielzeitheft 2019/20.
In einer Erzählung von Martin Buber findet ein armer Gelehrter am Ende einer langen Reise einen Schatz. Für welchen Schatz würdest du alles Gewohnte aufgeben und weit weggehen?
Freya — Reden wir von materiellen Dingen?
Mai — Wenn ich die Möglichkeit hätte, all das zu verbessern, was ich im Moment habe. Wenn ich die Möglichkeit hätte, ein Universum zu schaffen und mir alles selbst auszudenken. Dann würde ich das machen.
Noah — Also wärst du gerne Gott.
Jessica — Es müsste ja etwas sein, wofür es sich lohnen würde, das, was ich jetzt sicher habe, gegen etwas zu tauschen, was ungewiss ist und irgendwann mal mein sein wird. Ich würde mich selbst als einen sehr realistischen Menschen bezeichnen. Ich glaube nicht, dass ich Sicherheit gegen das Ungewisse eintauschen würde.
Freya — Wenn mir jemand komplette Selbstverwirklichung versprechen würde.
Und was wäre komplette Selbstverwirklichung?
Freya — Genau das ist der Punkt. Das ist zwar etwas, wonach ich extrem strebe – aber noch gar nicht genau sagen kann, was das ist.
Wofür würdest du dich auf einen entbehrungsreichen Weg begeben? Für eine Liebe, für Umweltschutz, für die Beendigung des Cyberwars?
Freya — Was ich mir wünschen würde, ist, dass Leute richtig kommunizieren. Statt zu sagen, ich will den Weltfrieden, würde ich sagen, ich will, dass die Leute einander zuhören.
Anneke — Ich glaube, dass jeder aus seinem eigenen Orbit, aus diesem Ich-Bezogenen, aus diesem Konsumverhalten raus muss und versuchen muss, das große Ganze zu sehen.
Du müsstest deinen Luxus aufgeben für etwas Unsicheres da draußen.
Charlotte — Ich würde sagen, es liegt auch ein gewisser Reiz darin, das Unbekannte zu entdecken.
Wofür würdest du dich auf den Weg machen?
Charlotte — Ich würde lieber etwas erleben – auch schlechte Sachen, emotional oder körperlich belastend –, als nur zu Hause zu sitzen.
Anneke — Ich habe ein Problem damit, ein konkretes Ziel zu formulieren, aber ich hätte grundsätzlich kein Problem, einen schweren Weg zu gehen. Ich habe Dinge in meinem Leben erlebt, hätte mir das vorher einer gesagt, hätte ich es nicht so durchgezogen. Ich glaube, dass immer mehr in einem steckt, als man zuerst denkt, und ich glaube, dass man erst in der Konfrontation merkt, wie stark man ist.
Willst du deinen Schatz beschreiben, Noah?
Noah — Ich habe festgestellt, dass sich mein Realitätsdenken so derb dazwischenschaltet, dass es für mich zu schwierig ist, auf deine Frage eine konkrete Antwort zu finden.
Was ist die größte Herausforderung in deinem Leben?
Noah — Akzeptanz!
Charlotte — Sich selbst verwirklichen, eigene Träume durchsetzen.
Und was wäre der Traum, den du durchsetzen möchtest?
Charlotte — Ein Traumberuf, ein Sozialleben, Freunde und Familie – und was erlebt zu haben.
Freya — Selbstdisziplin. Letztes Jahr beim deutsch-indischen Jugendkongress »Future (t)here« gab es ein Gespräch mit einer Dozentin, die fragte, was man denn für die Umwelt tun könne. Und alle wussten sofort: kein Fleisch essen, nicht bei Primark einkaufen. Sie saßen aber gleichzeitig in ihren Primark-Klamotten da und beschwerten sich darüber, dass es die ganze Woche veganes Essen gab! Wir wissen alle genau, was wir anders machen müssten. Aber wer macht es?
Anneke — Ich bin gerade hinter den kleinen Dingen her, dass wir z. B. Obst und Gemüse nicht in der Plastikverpackung kaufen, weil ich das einfach lächerlich finde. Und dann kommt mein Bruder und fragt mich, was es denn bringe, wenn ausgerechnet er jetzt den Müll trenne. Dieses Augenverschließen!
Freya — Wenn niemand anfängt, wird sich auch nichts ändern. Man fällt halt auf. Wenn ich jetzt mit Freunden essen gehe und sage: »Nein, ich esse kein Fleisch«, dann bekomme ich dumme Kommentare und bin die, die nervt. Aber es ist wichtig, das zu machen. Ich bin ganz ehrlich, ich mache es auch nicht immer.
Noah — Das Thema hat viel mit Moral zu tun. Wir sind verantwortlich für das Erbe dieses Planeten.
Was haltet ihr von »Fridays for Future«?
Anneke — Ich finde die Bewegung sehr richtig und sehr wichtig. Ich habe die Einstellung, dass es langsam an der Zeit ist, dass wir uns zu Wort melden.
Freya — Beziehungsweise zu spät.
Anneke — Ja, zu spät, und deshalb finde ich es gut, dass Schüler so einen massiven Druck ausüben, und richtig, dass man dafür eben nicht zur Schule geht. Weil genau das ist es, was die Politiker nervt.
Freya — Unserer Generation wird immer wieder vorgeworfen: Ihr interessiert euch nicht mehr, ihr seid unpolitisch. Und das stört mich extrem. In dem Moment, in dem sich junge Menschen mobilisieren und sagen: »Das ist mir wichtig!«, sagen alle: »Das geht jetzt aber nicht.«
Mai — Ich meine, wir haben eine Demokratie und Meinungsfreiheit, versuchen, etwas zu verändern, letztendlich sind wir aber machtlos. Mir macht das Angst.
Freya — Viele junge Leute sind politisch interessiert, aber auf der Schiene: Alles ist scheiße. Das bringt niemanden weiter.
Jessica — Aber man fühlt sich stark.
Freya — Ich kann nicht sagen: Alles scheiße – jetzt macht was! Ich kann sagen: Ist alles scheiße, und was können wir dagegen tun? Es geht um Offenheit. Und es geht immer wieder ums Zuhören. Ich sage nicht: Nur weil es unrealistisch scheint, tue ich nichts dafür. Das ist doch mit allen Träumen so. Du musst was dafür machen.
Freya, seit Kurzem Schauspielstudentin, ist 2000 in Großbritannien geboren. Noah, 18, geboren in Ho-Chi-Minh-Stadt, geht in Meerbusch zur Schule. Mai, Schülerin an einem Düsseldorfer Gymnasium, ist 2001 in Düsseldorf geboren. Charlotte, 1999 in Konstanz geboren, macht nach Abitur und Auslandsjahr eine Regiehospitanz am Schauspielhaus. Jessica, geboren 2000 in Düsseldorf, ist Schülerin an einem Düsseldorfer Gymnasium, und Anneke, 1994 in Düsseldorf geboren, studiert »English and American Language, Literature & Culture« an der Heinrich-Heine-Universität.
Der Text erschien im Spielzeitheft 2019/20.
Besetzung
Regie
ChoreografieChrystel Guillebeaud
Bühne und KostümAby Cohen
MusikTakuji Aoyagi
DramaturgieSylvia Sobottka
Eine Koproduktion von Junges Schauspiel (Düsseldorf), Company Ma (Tokio) und Cia. Paideia de Teatro (São Paulo)