Großmaul
»Räuber Hotzenplotz und die Mondrakete« erzählt eine bislang unveröffentlichte Geschichte aus dem Leben des weltberühmten Raubeins — Ein Gespräch mit Susanne Preußler-Bitsch, der jüngsten Tochter Otfried Preußlers, über eine Identifikationsfigur mit Pfefferpistole
45 Jahre nach dem Erscheinen von »Hotzenplotz 3« und fünf Jahre nach dem Tod Ihres Vaters Otfried Preußler gibt es eine neue Geschichte aus dem Leben des weltberühmten Räubers. Wo haben Sie die denn gefunden?
Ich betreue den Nachlass meines Vaters, und ein Großteil davon liegt bereits im Staatsarchiv in Berlin. Einige Kisten mit unveröffentlichten Manuskripten und sehr persönlichen Sachen sind aber noch nicht übergeben. Mein Vater hat ja wahnsinnig viel geschrieben, aber wenig veröffentlicht. Nach Krieg und Gefangenschaft war er in den 1950er- und 60er-Jahren, als meine Schwestern und ich auf die Welt gekommen sind, extrem produktiv. Als mir beim Sichten des Nachlasses das Manuskript »Die Fahrt zum Mond« in die Hände fiel, war mir sofort klar, dass dies ein wunderbarer Schatz ist.
Wann hat Ihr Vater den Text geschrieben?
Vor fünfzig Jahren, 1967. Zu der Zeit hatte er sich mal wieder am »Krabat« festgeschrieben und dachte sich zur Abwechslung und Regeneration lustige, leichte Geschichten aus. So ist auch der ursprüngliche »Räuber Hotzenplotz« entstanden. »Die Fahrt zum Mond« ist eine eigene, für die Bühne entwickelte Hotzenplotz-Geschichte. Es ist ein herrlich lustiges Abenteuer mit Kasperl und Seppel, der Großmutter, dem Wachtmeister Dimpfelmoser – und dem berühmten Räuber.
Damit liegt die Geschichte zwischen dem ersten und dem zweiten Band.
Richtig. In seinen Aufzeichnungen zum »Hotzenplotz « gibt es viele Fragmente, Zettel und Notizen zu Fragen wie z. B.: Wie kann der Räuber heißen? Wo wohnt der Hotzenplotz? Klugerweise hat er all diese Materialien in eine Kiste gepackt. So lässt sich heute seine Arbeitsweise nachvollziehen, und es wird sichtbar, wie er ausprobiert hat, was funktioniert und was nicht. Wenn er zu einer Lösung gekommen war, konnte er dann die Geschichte in kurzer Zeit runterschreiben.
Nach »Hotzenplotz 3« ist der Räuber rehabilitiert und tugendhaft. Davon ist in dieser Episode noch nichts zu spüren.
Zu dem Zeitpunkt übte der Hotzenplotz ja auch noch sein Räuberhandwerk aus, und das Bühnenstück erzählt eine »wahre« Geschichte aus seinem Leben.
Die Rakete ist darin die Verheißung einer neuen Dimension. Kasperl und Seppel spielen Hotzenplotz vor, man könne mit ihr zum Mond aus Silber fliegen. Ihr Vater hat diese Art des Erzählens immer als »Spielwiese der Fantasie« bezeichnet.
Geschichtenerzählen für Kinder war für meinen Vater immer ein zentrales Anliegen. Er hat sich stets für das Recht auf Kindheit eingesetzt. Es gibt ein sehr schönes Zitat von ihm: »Ich wünsche jedem Kind, dass es ein paarmal am rechten Ort und zur rechten Stunde die rechte Geschichte erzählt bekommt.« Für ihn bedeutete das: ein freundlicher Zuspruch, ein Anstoß zum Spiel der Gedanken und eben eine Spielwiese der Fantasie. Mein Vater hat für Kinder eher einfach gestrickte Geschichten erzählt, die ungemein viel Freiraum für die eigene Fantasie lassen. Die Kinder erhalten damit die Möglichkeit, in ihren eigenen Bildern spazieren zu gehen.
»Räuber Hotzenplotz und die Mondrakete« wird im Jungen Schauspiel in einer Stückfassung von John von Düffel uraufgeführt. Was hat Sie an dieser Kooperation überzeugt?
John von Düffel hat bereits eine erfolgreiche neue Fassung von »Die kleine Hexe« geschrieben, da lag es nahe, ihm auch »Räuber Hotzenplotz und die Mondrakete« anzuvertrauen. Die Uraufführung in Düsseldorf ist natürlich ein absolutes Highlight.
Wie hat es sich in Ihrer Kindheit mit den Figuren des Vaters gelebt?
Die Figuren aus den Büchern meines Vaters haben immer eine große Rolle für uns gespielt. Das war für mich ganz normal. Der Hotzenplotz ist ja wie ein ziemlich ungezogenes Kind. Und wenn dann im Hause Preußler das letzte Stück Kuchen weg war oder das letzte Schnitzel, dann konnte man einen Zettel hinlegen: Ich war’s, der Hotzenplotz! Und auch manchen Lehrer*innen wünschten wir den Hotzenplotz an den Hals …
Er verkörpert das Böse, den Regelbruch. Und trotzdem ist er der Sympathieträger.
»Das Böse« verkörpert der Räuber Hotzenplotz sicherlich nicht. Er ist ein Großmaul, das polternd durch die Welt läuft und sich eigene Regeln aufstellt. Das mag man. Und mit den sieben Messern und der Pfefferpistole ist er nicht wirklich bedrohlich. Da hatte mein Vater ein sicheres Gespür für komische Situationen und kindliche Anarchie. Und deshalb identifizieren sich Kinder sehr gern mit dem Räuber.
Was mochten Sie als Kind an ihm?
Mir war der Räuber eigentlich ziemlich egal. Ich habe mich nur immer gefragt, wie man jahrein, jahraus barfuß durchs Leben laufen kann.
Geschichten erzählen – wie war das bei Ihnen?
Das ist spontan entstanden. Manchmal sind der Salzstreuer und der Pfefferstreuer am Mittagstisch zu zwei Figuren geworden und haben gestritten. Oder wenn wir im Auto im Stau standen oder der Weg zur Berghütte nicht enden wollte, dann sind wir mit Geschichten bei Laune gehalten und den Berg hinaufgezogen worden. Das hat bei meinen eigenen Kindern auch immer bestens funktioniert.
— Das Interview führte Marion Troja, Journalistin und Mitarbeiterin Kommunikation am Jungen Schauspiel. Der Text ist erschienen im Spielzeitheft 2018/19.
Susanne Preußler-Bitsch, Kulturwissenschaftlerin und promovierte Historikerin, wurde 1958 als die jüngste von drei Töchtern Otfried Preußlers geboren. Bereits vor Preußlers Tod im Jahr 2013 führte sie die Geschäfte in seinem Namen, seither pflegt sie sein umfassendes literarisches Werk.
Ich betreue den Nachlass meines Vaters, und ein Großteil davon liegt bereits im Staatsarchiv in Berlin. Einige Kisten mit unveröffentlichten Manuskripten und sehr persönlichen Sachen sind aber noch nicht übergeben. Mein Vater hat ja wahnsinnig viel geschrieben, aber wenig veröffentlicht. Nach Krieg und Gefangenschaft war er in den 1950er- und 60er-Jahren, als meine Schwestern und ich auf die Welt gekommen sind, extrem produktiv. Als mir beim Sichten des Nachlasses das Manuskript »Die Fahrt zum Mond« in die Hände fiel, war mir sofort klar, dass dies ein wunderbarer Schatz ist.
Wann hat Ihr Vater den Text geschrieben?
Vor fünfzig Jahren, 1967. Zu der Zeit hatte er sich mal wieder am »Krabat« festgeschrieben und dachte sich zur Abwechslung und Regeneration lustige, leichte Geschichten aus. So ist auch der ursprüngliche »Räuber Hotzenplotz« entstanden. »Die Fahrt zum Mond« ist eine eigene, für die Bühne entwickelte Hotzenplotz-Geschichte. Es ist ein herrlich lustiges Abenteuer mit Kasperl und Seppel, der Großmutter, dem Wachtmeister Dimpfelmoser – und dem berühmten Räuber.
Damit liegt die Geschichte zwischen dem ersten und dem zweiten Band.
Richtig. In seinen Aufzeichnungen zum »Hotzenplotz « gibt es viele Fragmente, Zettel und Notizen zu Fragen wie z. B.: Wie kann der Räuber heißen? Wo wohnt der Hotzenplotz? Klugerweise hat er all diese Materialien in eine Kiste gepackt. So lässt sich heute seine Arbeitsweise nachvollziehen, und es wird sichtbar, wie er ausprobiert hat, was funktioniert und was nicht. Wenn er zu einer Lösung gekommen war, konnte er dann die Geschichte in kurzer Zeit runterschreiben.
Nach »Hotzenplotz 3« ist der Räuber rehabilitiert und tugendhaft. Davon ist in dieser Episode noch nichts zu spüren.
Zu dem Zeitpunkt übte der Hotzenplotz ja auch noch sein Räuberhandwerk aus, und das Bühnenstück erzählt eine »wahre« Geschichte aus seinem Leben.
Die Rakete ist darin die Verheißung einer neuen Dimension. Kasperl und Seppel spielen Hotzenplotz vor, man könne mit ihr zum Mond aus Silber fliegen. Ihr Vater hat diese Art des Erzählens immer als »Spielwiese der Fantasie« bezeichnet.
Geschichtenerzählen für Kinder war für meinen Vater immer ein zentrales Anliegen. Er hat sich stets für das Recht auf Kindheit eingesetzt. Es gibt ein sehr schönes Zitat von ihm: »Ich wünsche jedem Kind, dass es ein paarmal am rechten Ort und zur rechten Stunde die rechte Geschichte erzählt bekommt.« Für ihn bedeutete das: ein freundlicher Zuspruch, ein Anstoß zum Spiel der Gedanken und eben eine Spielwiese der Fantasie. Mein Vater hat für Kinder eher einfach gestrickte Geschichten erzählt, die ungemein viel Freiraum für die eigene Fantasie lassen. Die Kinder erhalten damit die Möglichkeit, in ihren eigenen Bildern spazieren zu gehen.
»Räuber Hotzenplotz und die Mondrakete« wird im Jungen Schauspiel in einer Stückfassung von John von Düffel uraufgeführt. Was hat Sie an dieser Kooperation überzeugt?
John von Düffel hat bereits eine erfolgreiche neue Fassung von »Die kleine Hexe« geschrieben, da lag es nahe, ihm auch »Räuber Hotzenplotz und die Mondrakete« anzuvertrauen. Die Uraufführung in Düsseldorf ist natürlich ein absolutes Highlight.
Wie hat es sich in Ihrer Kindheit mit den Figuren des Vaters gelebt?
Die Figuren aus den Büchern meines Vaters haben immer eine große Rolle für uns gespielt. Das war für mich ganz normal. Der Hotzenplotz ist ja wie ein ziemlich ungezogenes Kind. Und wenn dann im Hause Preußler das letzte Stück Kuchen weg war oder das letzte Schnitzel, dann konnte man einen Zettel hinlegen: Ich war’s, der Hotzenplotz! Und auch manchen Lehrer*innen wünschten wir den Hotzenplotz an den Hals …
Er verkörpert das Böse, den Regelbruch. Und trotzdem ist er der Sympathieträger.
»Das Böse« verkörpert der Räuber Hotzenplotz sicherlich nicht. Er ist ein Großmaul, das polternd durch die Welt läuft und sich eigene Regeln aufstellt. Das mag man. Und mit den sieben Messern und der Pfefferpistole ist er nicht wirklich bedrohlich. Da hatte mein Vater ein sicheres Gespür für komische Situationen und kindliche Anarchie. Und deshalb identifizieren sich Kinder sehr gern mit dem Räuber.
Was mochten Sie als Kind an ihm?
Mir war der Räuber eigentlich ziemlich egal. Ich habe mich nur immer gefragt, wie man jahrein, jahraus barfuß durchs Leben laufen kann.
Geschichten erzählen – wie war das bei Ihnen?
Das ist spontan entstanden. Manchmal sind der Salzstreuer und der Pfefferstreuer am Mittagstisch zu zwei Figuren geworden und haben gestritten. Oder wenn wir im Auto im Stau standen oder der Weg zur Berghütte nicht enden wollte, dann sind wir mit Geschichten bei Laune gehalten und den Berg hinaufgezogen worden. Das hat bei meinen eigenen Kindern auch immer bestens funktioniert.
— Das Interview führte Marion Troja, Journalistin und Mitarbeiterin Kommunikation am Jungen Schauspiel. Der Text ist erschienen im Spielzeitheft 2018/19.
Susanne Preußler-Bitsch, Kulturwissenschaftlerin und promovierte Historikerin, wurde 1958 als die jüngste von drei Töchtern Otfried Preußlers geboren. Bereits vor Preußlers Tod im Jahr 2013 führte sie die Geschäfte in seinem Namen, seither pflegt sie sein umfassendes literarisches Werk.
Besetzung
Räuber HotzenplotzEduard Lind
KasperlNatalie Hanslik
Großmutter
Wachtmeister Dimpfelmoser, ZeitungsjungePirmin Sedlmeir
RegieRobert Gerloff
MusikHajo Wiesemann
BühneGabriela Neubauer
Kostüm
ChoreografieBarbora Briešková
LichtChristian Schmidt
DramaturgieDavid Benjamin Brückel
Dauer
1 Stunde, 15 Minuten — keine Pause
Mit freundlicher Unterstützung der Stadtsparkasse Düsseldorf.