
Ein Schauspielhaus im Aufbruch — D’haus-Theatermacher*innen sprechen über den Spielplan, die Lage nach Corona und die Folgen der Diskriminierungsvorfälle am Haus. — Zu Wort kommen: Wilfried Schulz, Generalintendant — Stefan Fischer-Fels, Künstlerischer Leiter Junges Schauspiel — Birgit Lengers, Künstlerische Leiterin Stadt:Kollektiv — Bassam Ghazi, Künstlerischer Leiter Stadt:Kollektiv — Bernadette Sonnenbichler, Regisseurin und Oberspielleiterin — Guy Dermosessian, Diversitätsbeauftragter — Lea Ruckpaul, Schauspielerin — Kilian Ponert, Schauspieler
Kurze Runde zum Warmwerden – welches Wort möchtet ihr in der kommenden Spielzeit viel häufiger benutzen?
Kilian Ponert Toi, toi, toi!
Birgit Lengers Weil es gerade so unpopulär ist: »digital«. Ich fände es wahnsinnig schade, wenn wir wieder vernachlässigen, was wir entdeckt haben an Zugänglichkeiten auf verschiedenen Plattformen, aber auch an Erweiterungen für die Theaterkunst.
Bassam Ghazi Ich sehe euch in die Augen.
Stefan Fischer-Fels Awareness
Guy Dermosessian Party
Bernadette Sonnenbichler Auf zu neuen Ufern. Jetzt dann aber wirklich.
Wilfried Schulz Präsenz und Gegenwärtigkeit
Lea Ruckpaul Erklär mir noch mal ganz genau, was du meinst.
Kilian Ponert Toi, toi, toi!
Birgit Lengers Weil es gerade so unpopulär ist: »digital«. Ich fände es wahnsinnig schade, wenn wir wieder vernachlässigen, was wir entdeckt haben an Zugänglichkeiten auf verschiedenen Plattformen, aber auch an Erweiterungen für die Theaterkunst.
Bassam Ghazi Ich sehe euch in die Augen.
Stefan Fischer-Fels Awareness
Guy Dermosessian Party
Bernadette Sonnenbichler Auf zu neuen Ufern. Jetzt dann aber wirklich.
Wilfried Schulz Präsenz und Gegenwärtigkeit
Lea Ruckpaul Erklär mir noch mal ganz genau, was du meinst.
Wilfried Schulz, an welchem Punkt steht das Theater nach anderthalb Jahren Zwangspause?
Wilfried Schulz Wir wollen, müssen, können jetzt davon ausgehen, dass das Theater neu beginnt. Das ist ein merkwürdiges Gefühl. Ich glaube, dass uns alle diese Zeit nicht in Frieden gelassen hat, sondern dass Gedanken entstanden sind, die weit über die Pandemie hinausgehen. Es wird nicht so sein, dass morgen das Theater ganz anders aussieht. Das kann und soll es nicht. Aber ich glaube, dass eine Suche beginnt, dass es neue Impulse gibt.
Kinder und Jugendliche sind von der Pandemie in besonderer Weise betroffen. Was sind aktuell die größten Herausforderungen im Theater für ein junges Publikum?
Stefan Fischer-Fels Die gleichen wie vor der Pandemie, nur sieht man sie noch schärfer: dass wir die Schulen immer wieder daran erinnern, dass kulturelle Bildung eine tragende Säule der Gesamtbildung ist. Dass wir die Familien erinnern, dass sie eine Verantwortung haben, ihren Kindern die erste Berührung mit Kultur zu ermöglichen. Und dass wir Jugendliche von ihren Handys wegholen und ins Theater bringen.
Wie hat es sich für das Ensemble angefühlt, nicht mit dem Publikum in Kontakt zu sein?
Lea Ruckpaul Ich habe die Generalprobe von »Ein Traumspiel« noch vor dem ersten Lockdown geschafft. Das Gefühl danach war eigentlich Trauer. Dann gab es eine lange Phase der Lähmung. Man wartet, es gibt einen Stillstand. Der Gedanke, wieder vor einem vollen Haus zu spielen, bereitet mir große Lust – aber er macht mich auch ein bisschen unsicher, weil es so lange her ist.
Kilian Ponert Ich bin in einer ziemlichen Luxusposition: Alle Stücke, die ich seit Corona gemacht habe, sind zur Premiere gekommen. Das waren insgesamt fünf, und ich hatte das Glück, jedes Mal vor Publikum zu spielen.
Bernadette Sonnenbichler, du bist schon seit Beginn der Intendanz dabei und kommst jetzt doch noch einmal neu dazu – als Oberspielleiterin übernimmst du eine neue Aufgabe. Welche Türen würdest du gerne aufmachen?
Bernadette Sonnenbichler Oh, ganz viele. Corona war für mich eine Zeit des Stillstands und auch der beruflichen Krise. Ich habe Theater irgendwann total in Frage gestellt. Und daraus entstand ein ganz schleichender Impuls zur Erneuerung. Ich habe wieder ganz viel Lust bekommen, in der Inszenierungsarbeit Neues auszuprobieren. Andere Wege zu gehen in der Zusammenarbeit mit dem Team, mit den Spieler*innen. Mir ist noch mal klar geworden, welche Stoffe ich eigentlich wichtig finde. Warum Theater eine wirklich relevante Rolle spielen könnte jenseits von Unterhaltung und Reflexion. Ganz konkret hier am Haus möchte ich jetzt erst mal die Tür aufmachen, die da heißt: zuhören und reinwachsen.
Guy Dermosessian, du bist Diversitätsbeauftragter am Haus und hast das D’haus in den vergangenen zwei Jahren in unterschiedlichen Zuständen erlebt. Wie hast du es verändert, und wie hat es auch deine Arbeit verändert?
Guy Dermosessian In den vergangenen zwei Jahren hat sich die Sprache, mit der wir kommunizieren, komplett verändert. Die Themen, über die wir sprechen, die Komplexität, mit der wir über diese Themen sprechen. Das liegt sicherlich nicht nur an mir. Auch meine Stelle ist das Ergebnis eines Prozesses, der am Haus in Gang gesetzt wurde, bevor ich da war. Natürlich haben die Entwicklungen im Theater oder im Diskurs über das Theater auch dazu beigetragen, dass an unterschiedlichen Stellen im Haus ein viel größeres Bewusstsein, auch eine größere Lust entstanden ist, am Thema Diversität zu arbeiten. Und natürlich hat die Veröffentlichung der rassistischen Vorfälle im März dazu beigetragen, dass sich die angestoßenen Prozesse beschleunigt haben. Und dementsprechend ist die Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Debatte stärker ins Zentrum gerückt. Das stimmt mich zuversichtlich.
Nicht nur hier am Haus werden die Rolle und die Bedeutung von Theater diskutiert. Wilfried Schulz, hat sich dein Verständnis von Theater, dein Blick auf die Institution Stadttheater in der jüngsten Zeit verändert?
Wilfried Schulz Ich glaube, dass die Grunddefinition für mich und für viele, mit denen ich zusammenarbeite, nach wie vor gültig ist. Für mich ist Theater ein Reflexionsraum, in dem man mit ästhetischen Mitteln über Gesellschaft und Individuen nachzudenken versucht. Man versucht, Empathie aufzubringen und zu vermitteln, man versucht zu lernen, Differenz auszuhalten, ohne sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen. Das ist gleich geblieben. Gestiegen sind die Dringlichkeit und die Notwendigkeit, über den Begriff und den Zustand der Gesellschaft nachzudenken, darüber, wie die Gesellschaft konstituiert ist, wie sie sich transformiert, was das für eine Transformation des Theaters bedeutet. Da hat sich etwas beschleunigt. Stoffe und Arbeitsweisen werden sehr viel intensiver befragt.
Stefan Fischer-Fels, wie hat sich für dich die Perspektive auf das Theater verändert?
Stefan Fischer-Fels Im Theater für junges Publikum kommt eine große gesellschaftliche Dringlichkeit dem generationsübergreifenden Dialog zu. Dass Jung und Alt nach der Pandemie im Gespräch bleiben oder erst mal wieder ins Gespräch kommen. Zum Aushalten von Differenz kommt im Kinder- und Jugendtheater noch das Ermutigen hinzu. Das ist eine wesentliche Funktion, die für mich das Theater für junges Publikum hat. Ich komme gerade von einem Gespräch mit Künstler*innen aus Afrika, die in Düsseldorf zu Gast waren. Sie sprachen ganz deutlich aus, was ich mich fast nicht zu sagen traue: dass wir eine Aufgabe haben, die Gesellschaft zu verändern. Und dass Kunst ein Mittel zum sozialen Wandel sein kann. Wenn ich das so höre, fühle ich, dass mein Herz schlägt, und ich sage: Ja, das finde ich auch.
Birgit Lengers und Bassam Ghazi, ihr übernehmt die dritte Sparte des Hauses, das ist die vor fünf Jahren gegründete Bürgerbühne, die unter eurer Leitung Stadt:Kollektiv heißen wird. Was kann ein Stadt:Kollektiv, was ein Stadttheater und ein Kinder- und Jugendtheater allein nicht können?
Birgit Lengers Was Stadt:Kollektiv und Bürgerbühne ausmacht, ist, dass dort Theater nicht ausschließlich für die Menschen einer Stadt gemacht wird, sondern mit ihnen. Dass dort partizipativ gearbeitet wird und wir Menschen, ganz unterschiedliche Leute der Stadt, einladen, Kunst zu machen. Es geht aber nicht nur um eine Einladung zum Theaterspielen, sondern darum, mit theatralen Strategien Gesellschaft zu entdecken und darzustellen und dabei verschiedene Kollektive zu bilden. Wir sind als Theater in der Coronazeit ohne die direkte Begegnung mit dem Publikum ohne Dialog in so ein permanentes Senden gekommen. Es fehlte die unmittelbare Resonanz, der Dialog. Und hier setzen wir mit dem Stadt:Kollektiv an. Viel rausgehen und zuhören und zu ermitteln versuchen, was die Bedürfnisse sind, was gebraucht wird.
Bassam Ghazi Unsere Vision ist, ein Stadt:Kollektiv mit unterschiedlichen Menschen und Gruppen aufzubauen, die sich in eine gemeinsame künstlerische Praxis begeben, die sich mit dem D’haus identifizieren, multipel in die Stadt ausstrahlen und sich wie ein Sprachrohr mit uns verbinden. Das Foyer, das wir öffnen, und die Glastür hinten zum Hofgarten symbolisieren diese Durchlässigkeit für mich. Ich spüre eine enorme Dankbarkeit für diese Begegnungsräume. Ich würde sehr gerne auch Räume schaffen, die leistungsfreier sind. Wo wir ohne Zwang aufeinandertreffen können. Das würde ich mir auch sehr innerhalb unserer Strukturen wünschen.
Auch auf Ensembleseite ist viel nachgedacht worden. Wie seht ihr die Rolle der Schauspieler*innen eines Stadttheaters?
Lea Ruckpaul Ich war ja immer fest angestellt und habe es als unglaublich positiv erlebt, einige Jahre in einer Stadt sein und die Menschen dort kennenlernen zu können. Dass ein Team aus allen möglichen sozialen Kontexten aus vielen Städten sich zusammenfindet, um eine neue Perspektive auf diese Stadt zu werfen, dort zu leben und diese Stadt zu begreifen. Das ist eine Kompetenz, die mir in der Arbeit fast ein wenig zu kurz kommt. Ich wünsche mir viel mehr Publikumsgespräche. Ich hatte während der Coronazeit mit dem Freundeskreis des Theaters verschiedene Gespräche und habe sie als extrem bereichernd empfunden.
Kilian Ponert Ich war nach der Schauspielschule lange beim Kinder- und Jugendtheater, und daher kenne ich es, dass viele Nachgespräche angeboten werden. Das ist einfach eine Bereicherung. Das sind die Leute, für die wir es machen. Man könnte auch überlegen, ob schon vorher, bei den Proben, ein Testpublikum da sein könnte.
Habt ihr einen neuen Impuls, mit dem ihr als Künstler*innen an den Neustart geht? Hat sich eure Arbeit politisiert?
Lea Ruckpaul Der Impuls hat sich nicht verändert. Mir ging es schon immer um Empathie und Kommunikation. Das ist jetzt noch wichtiger geworden. Und unartig und mutig sein.
Kilian Ponert Die Mischung macht’s. Auf der Bühne Geschichten zu erzählen, das ist wunderschön. Gerade nach dieser Zeit ist das ein großes Anliegen von mir. Vielleicht war es vor der Pandemie eher noch das Politische. Das kann aber auch sehr gut zusammen funktionieren.
Bernadette Sonnenbichler Ich denke, es lohnt sich immer, über das Verhältnis von Kunst und Politik, von Kunst und ihrer Funktionalisierung nachzudenken. Kunst kann sehr viel leisten. Aber den Zauber und die Schönheit von Kunst macht aus, dass sie eben nicht unbedingt einer gesellschaftlichen Funktionalisierung dienen muss.
Stefan Fischer-Fels Zwischen Aktivismus und Kunst gibt es keinen Widerspruch, wenn wir mehr und vielfältigere Menschen auf der Bühne und im Publikum einladen, mit uns zu arbeiten und mit uns zusammen zu sein. Das ist hochpolitisch, und es ist an der Zeit. Wir haben das in Deutschland zu lange hinausgezögert. Wer steht auf der Bühne, welche Geschichten werden erzählt, wer sitzt im Zuschauerraum?
Guy Dermosessian Ich behaupte, dass Schauspielkunst noch nie nicht politischer Aktivismus war. Wenn Schauspielkunst jahrhundertelang bestimmte Körper und bestimmte Identitäten und Geschlechter normiert hat, hat sie politische und gesellschaftliche Auswirkungen auf Verhaltensweisen und auf den Umgang mit Menschen und Menschengruppen gehabt. Ich würde mir wünschen, dass diese Dichotomie nicht mehr thematisiert werden müsste. Das Bewusstsein darüber, dass eine öffentliche Institution wie ein Theater ein Ort gesamtgesellschaftlicher Debatten ist, platziert die Schauspielkunst sowieso in einen politischen Kontext. Sie da rauszuholen würde dem Wunsch nach einem gesamtgesellschaftlichen Reflexionsraum widersprechen.
Wilfried Schulz Ich glaube, dass es zum Charakteristikum eines großen Stadttheaters zählt, dass verschiedene Kunstbegriffe unter dieses Dach D’haus gehören. Die haben ein gemeinsames Grundverständnis, aber unterschiedliche Stoßrichtungen. Die wiederum liegen in der Direktheit der Erzählung. Wenn wir auf der Großen Bühne mit »Volksfeind for Future« oder auf dem Platz mit »Ist mein Mikro an?« Stoffe machen, die ganz direkt Menschen ansprechen, hat das einen aktivistischen Hintergrund. Wenn wir aber »Ein Traumspiel« machen, wo eine merkwürdige Welt gezeigt wird, die viel mit unserem emotionalen Zustand zu tun hat, dann ist der Grad der Verschlüsselung viel größer. Ich möchte gerne ein Theater leiten, in dem es ein gemeinsames Bewusstsein einer großen gesellschaftlichen Verantwortung und einer großen Öffnung in die Gesellschaft hinein gibt, aber in dem viele Formen des Theaters sprechen dürfen.
Die sich auch wiedersprechen dürfen?
Wilfried Schulz Kunst muss nicht recht haben. Es gibt in unserer Gesellschaft so viele Bereiche, die renditeorientiert, die leistungsorientiert sind, in denen man keine Fehler machen darf. In denen man nicht Unrecht haben darf. Das große Privileg von Kunst ist, dass sie auch schweifen kann, suchen kann, Fragen stellen kann. Mit Vergnügen scheitern kann und spielerische Elemente bis hin zur Unverantwortlichkeit ermöglichen. Auf der Basis, dass man sich in Würde, mit einem Bewusstsein von Menschenwürde begegnet und dass man eine bessere Zukunft sucht.
Birgit Lengers Theater sollte Ambiguitätstoleranz trainieren. Eine Lust auf Uneindeutigkeit und Widersprüchlichkeit wecken. Und genau das ist das Politische. Ein produktives Rätsel für das Publikum, das macht für mich Kunst aus.
Wilfried Schulz Wir wollen, müssen, können jetzt davon ausgehen, dass das Theater neu beginnt. Das ist ein merkwürdiges Gefühl. Ich glaube, dass uns alle diese Zeit nicht in Frieden gelassen hat, sondern dass Gedanken entstanden sind, die weit über die Pandemie hinausgehen. Es wird nicht so sein, dass morgen das Theater ganz anders aussieht. Das kann und soll es nicht. Aber ich glaube, dass eine Suche beginnt, dass es neue Impulse gibt.
Kinder und Jugendliche sind von der Pandemie in besonderer Weise betroffen. Was sind aktuell die größten Herausforderungen im Theater für ein junges Publikum?
Stefan Fischer-Fels Die gleichen wie vor der Pandemie, nur sieht man sie noch schärfer: dass wir die Schulen immer wieder daran erinnern, dass kulturelle Bildung eine tragende Säule der Gesamtbildung ist. Dass wir die Familien erinnern, dass sie eine Verantwortung haben, ihren Kindern die erste Berührung mit Kultur zu ermöglichen. Und dass wir Jugendliche von ihren Handys wegholen und ins Theater bringen.
Wie hat es sich für das Ensemble angefühlt, nicht mit dem Publikum in Kontakt zu sein?
Lea Ruckpaul Ich habe die Generalprobe von »Ein Traumspiel« noch vor dem ersten Lockdown geschafft. Das Gefühl danach war eigentlich Trauer. Dann gab es eine lange Phase der Lähmung. Man wartet, es gibt einen Stillstand. Der Gedanke, wieder vor einem vollen Haus zu spielen, bereitet mir große Lust – aber er macht mich auch ein bisschen unsicher, weil es so lange her ist.
Kilian Ponert Ich bin in einer ziemlichen Luxusposition: Alle Stücke, die ich seit Corona gemacht habe, sind zur Premiere gekommen. Das waren insgesamt fünf, und ich hatte das Glück, jedes Mal vor Publikum zu spielen.
Bernadette Sonnenbichler, du bist schon seit Beginn der Intendanz dabei und kommst jetzt doch noch einmal neu dazu – als Oberspielleiterin übernimmst du eine neue Aufgabe. Welche Türen würdest du gerne aufmachen?
Bernadette Sonnenbichler Oh, ganz viele. Corona war für mich eine Zeit des Stillstands und auch der beruflichen Krise. Ich habe Theater irgendwann total in Frage gestellt. Und daraus entstand ein ganz schleichender Impuls zur Erneuerung. Ich habe wieder ganz viel Lust bekommen, in der Inszenierungsarbeit Neues auszuprobieren. Andere Wege zu gehen in der Zusammenarbeit mit dem Team, mit den Spieler*innen. Mir ist noch mal klar geworden, welche Stoffe ich eigentlich wichtig finde. Warum Theater eine wirklich relevante Rolle spielen könnte jenseits von Unterhaltung und Reflexion. Ganz konkret hier am Haus möchte ich jetzt erst mal die Tür aufmachen, die da heißt: zuhören und reinwachsen.
Guy Dermosessian, du bist Diversitätsbeauftragter am Haus und hast das D’haus in den vergangenen zwei Jahren in unterschiedlichen Zuständen erlebt. Wie hast du es verändert, und wie hat es auch deine Arbeit verändert?
Guy Dermosessian In den vergangenen zwei Jahren hat sich die Sprache, mit der wir kommunizieren, komplett verändert. Die Themen, über die wir sprechen, die Komplexität, mit der wir über diese Themen sprechen. Das liegt sicherlich nicht nur an mir. Auch meine Stelle ist das Ergebnis eines Prozesses, der am Haus in Gang gesetzt wurde, bevor ich da war. Natürlich haben die Entwicklungen im Theater oder im Diskurs über das Theater auch dazu beigetragen, dass an unterschiedlichen Stellen im Haus ein viel größeres Bewusstsein, auch eine größere Lust entstanden ist, am Thema Diversität zu arbeiten. Und natürlich hat die Veröffentlichung der rassistischen Vorfälle im März dazu beigetragen, dass sich die angestoßenen Prozesse beschleunigt haben. Und dementsprechend ist die Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Debatte stärker ins Zentrum gerückt. Das stimmt mich zuversichtlich.
Nicht nur hier am Haus werden die Rolle und die Bedeutung von Theater diskutiert. Wilfried Schulz, hat sich dein Verständnis von Theater, dein Blick auf die Institution Stadttheater in der jüngsten Zeit verändert?
Wilfried Schulz Ich glaube, dass die Grunddefinition für mich und für viele, mit denen ich zusammenarbeite, nach wie vor gültig ist. Für mich ist Theater ein Reflexionsraum, in dem man mit ästhetischen Mitteln über Gesellschaft und Individuen nachzudenken versucht. Man versucht, Empathie aufzubringen und zu vermitteln, man versucht zu lernen, Differenz auszuhalten, ohne sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen. Das ist gleich geblieben. Gestiegen sind die Dringlichkeit und die Notwendigkeit, über den Begriff und den Zustand der Gesellschaft nachzudenken, darüber, wie die Gesellschaft konstituiert ist, wie sie sich transformiert, was das für eine Transformation des Theaters bedeutet. Da hat sich etwas beschleunigt. Stoffe und Arbeitsweisen werden sehr viel intensiver befragt.
Stefan Fischer-Fels, wie hat sich für dich die Perspektive auf das Theater verändert?
Stefan Fischer-Fels Im Theater für junges Publikum kommt eine große gesellschaftliche Dringlichkeit dem generationsübergreifenden Dialog zu. Dass Jung und Alt nach der Pandemie im Gespräch bleiben oder erst mal wieder ins Gespräch kommen. Zum Aushalten von Differenz kommt im Kinder- und Jugendtheater noch das Ermutigen hinzu. Das ist eine wesentliche Funktion, die für mich das Theater für junges Publikum hat. Ich komme gerade von einem Gespräch mit Künstler*innen aus Afrika, die in Düsseldorf zu Gast waren. Sie sprachen ganz deutlich aus, was ich mich fast nicht zu sagen traue: dass wir eine Aufgabe haben, die Gesellschaft zu verändern. Und dass Kunst ein Mittel zum sozialen Wandel sein kann. Wenn ich das so höre, fühle ich, dass mein Herz schlägt, und ich sage: Ja, das finde ich auch.
Birgit Lengers und Bassam Ghazi, ihr übernehmt die dritte Sparte des Hauses, das ist die vor fünf Jahren gegründete Bürgerbühne, die unter eurer Leitung Stadt:Kollektiv heißen wird. Was kann ein Stadt:Kollektiv, was ein Stadttheater und ein Kinder- und Jugendtheater allein nicht können?
Birgit Lengers Was Stadt:Kollektiv und Bürgerbühne ausmacht, ist, dass dort Theater nicht ausschließlich für die Menschen einer Stadt gemacht wird, sondern mit ihnen. Dass dort partizipativ gearbeitet wird und wir Menschen, ganz unterschiedliche Leute der Stadt, einladen, Kunst zu machen. Es geht aber nicht nur um eine Einladung zum Theaterspielen, sondern darum, mit theatralen Strategien Gesellschaft zu entdecken und darzustellen und dabei verschiedene Kollektive zu bilden. Wir sind als Theater in der Coronazeit ohne die direkte Begegnung mit dem Publikum ohne Dialog in so ein permanentes Senden gekommen. Es fehlte die unmittelbare Resonanz, der Dialog. Und hier setzen wir mit dem Stadt:Kollektiv an. Viel rausgehen und zuhören und zu ermitteln versuchen, was die Bedürfnisse sind, was gebraucht wird.
Bassam Ghazi Unsere Vision ist, ein Stadt:Kollektiv mit unterschiedlichen Menschen und Gruppen aufzubauen, die sich in eine gemeinsame künstlerische Praxis begeben, die sich mit dem D’haus identifizieren, multipel in die Stadt ausstrahlen und sich wie ein Sprachrohr mit uns verbinden. Das Foyer, das wir öffnen, und die Glastür hinten zum Hofgarten symbolisieren diese Durchlässigkeit für mich. Ich spüre eine enorme Dankbarkeit für diese Begegnungsräume. Ich würde sehr gerne auch Räume schaffen, die leistungsfreier sind. Wo wir ohne Zwang aufeinandertreffen können. Das würde ich mir auch sehr innerhalb unserer Strukturen wünschen.
Auch auf Ensembleseite ist viel nachgedacht worden. Wie seht ihr die Rolle der Schauspieler*innen eines Stadttheaters?
Lea Ruckpaul Ich war ja immer fest angestellt und habe es als unglaublich positiv erlebt, einige Jahre in einer Stadt sein und die Menschen dort kennenlernen zu können. Dass ein Team aus allen möglichen sozialen Kontexten aus vielen Städten sich zusammenfindet, um eine neue Perspektive auf diese Stadt zu werfen, dort zu leben und diese Stadt zu begreifen. Das ist eine Kompetenz, die mir in der Arbeit fast ein wenig zu kurz kommt. Ich wünsche mir viel mehr Publikumsgespräche. Ich hatte während der Coronazeit mit dem Freundeskreis des Theaters verschiedene Gespräche und habe sie als extrem bereichernd empfunden.
Kilian Ponert Ich war nach der Schauspielschule lange beim Kinder- und Jugendtheater, und daher kenne ich es, dass viele Nachgespräche angeboten werden. Das ist einfach eine Bereicherung. Das sind die Leute, für die wir es machen. Man könnte auch überlegen, ob schon vorher, bei den Proben, ein Testpublikum da sein könnte.
Habt ihr einen neuen Impuls, mit dem ihr als Künstler*innen an den Neustart geht? Hat sich eure Arbeit politisiert?
Lea Ruckpaul Der Impuls hat sich nicht verändert. Mir ging es schon immer um Empathie und Kommunikation. Das ist jetzt noch wichtiger geworden. Und unartig und mutig sein.
Kilian Ponert Die Mischung macht’s. Auf der Bühne Geschichten zu erzählen, das ist wunderschön. Gerade nach dieser Zeit ist das ein großes Anliegen von mir. Vielleicht war es vor der Pandemie eher noch das Politische. Das kann aber auch sehr gut zusammen funktionieren.
Bernadette Sonnenbichler Ich denke, es lohnt sich immer, über das Verhältnis von Kunst und Politik, von Kunst und ihrer Funktionalisierung nachzudenken. Kunst kann sehr viel leisten. Aber den Zauber und die Schönheit von Kunst macht aus, dass sie eben nicht unbedingt einer gesellschaftlichen Funktionalisierung dienen muss.
Stefan Fischer-Fels Zwischen Aktivismus und Kunst gibt es keinen Widerspruch, wenn wir mehr und vielfältigere Menschen auf der Bühne und im Publikum einladen, mit uns zu arbeiten und mit uns zusammen zu sein. Das ist hochpolitisch, und es ist an der Zeit. Wir haben das in Deutschland zu lange hinausgezögert. Wer steht auf der Bühne, welche Geschichten werden erzählt, wer sitzt im Zuschauerraum?
Guy Dermosessian Ich behaupte, dass Schauspielkunst noch nie nicht politischer Aktivismus war. Wenn Schauspielkunst jahrhundertelang bestimmte Körper und bestimmte Identitäten und Geschlechter normiert hat, hat sie politische und gesellschaftliche Auswirkungen auf Verhaltensweisen und auf den Umgang mit Menschen und Menschengruppen gehabt. Ich würde mir wünschen, dass diese Dichotomie nicht mehr thematisiert werden müsste. Das Bewusstsein darüber, dass eine öffentliche Institution wie ein Theater ein Ort gesamtgesellschaftlicher Debatten ist, platziert die Schauspielkunst sowieso in einen politischen Kontext. Sie da rauszuholen würde dem Wunsch nach einem gesamtgesellschaftlichen Reflexionsraum widersprechen.
Wilfried Schulz Ich glaube, dass es zum Charakteristikum eines großen Stadttheaters zählt, dass verschiedene Kunstbegriffe unter dieses Dach D’haus gehören. Die haben ein gemeinsames Grundverständnis, aber unterschiedliche Stoßrichtungen. Die wiederum liegen in der Direktheit der Erzählung. Wenn wir auf der Großen Bühne mit »Volksfeind for Future« oder auf dem Platz mit »Ist mein Mikro an?« Stoffe machen, die ganz direkt Menschen ansprechen, hat das einen aktivistischen Hintergrund. Wenn wir aber »Ein Traumspiel« machen, wo eine merkwürdige Welt gezeigt wird, die viel mit unserem emotionalen Zustand zu tun hat, dann ist der Grad der Verschlüsselung viel größer. Ich möchte gerne ein Theater leiten, in dem es ein gemeinsames Bewusstsein einer großen gesellschaftlichen Verantwortung und einer großen Öffnung in die Gesellschaft hinein gibt, aber in dem viele Formen des Theaters sprechen dürfen.
Die sich auch wiedersprechen dürfen?
Wilfried Schulz Kunst muss nicht recht haben. Es gibt in unserer Gesellschaft so viele Bereiche, die renditeorientiert, die leistungsorientiert sind, in denen man keine Fehler machen darf. In denen man nicht Unrecht haben darf. Das große Privileg von Kunst ist, dass sie auch schweifen kann, suchen kann, Fragen stellen kann. Mit Vergnügen scheitern kann und spielerische Elemente bis hin zur Unverantwortlichkeit ermöglichen. Auf der Basis, dass man sich in Würde, mit einem Bewusstsein von Menschenwürde begegnet und dass man eine bessere Zukunft sucht.
Birgit Lengers Theater sollte Ambiguitätstoleranz trainieren. Eine Lust auf Uneindeutigkeit und Widersprüchlichkeit wecken. Und genau das ist das Politische. Ein produktives Rätsel für das Publikum, das macht für mich Kunst aus.
Wie bildet sich das im aktuellen Spielplan ab?
Wilfried Schulz Das Entfernte und Nahe, das ist die Spannweite des Spielplans. Wir eröffnen mit »Orpheus steigt herab«, einem Stück von Tennessee Williams, das aus einer zeitlichen Entfernung zu uns kommt und die Enge in den Köpfen zeigt. Aber der wichtigste Gedanke dabei ist, dass es die Sehnsucht der Leute sieht, dieser Enge zu entweichen. Und dann gibt es ein Stück, einen Roman, aus Düsseldorf, nämlich »Identitti« von Mithu Sanyal. Sanyal beschäftigt sich mit den gesellschaftlichen, politischen, auch ideologischen Debatten, die uns umgeben. Mit der Frage des Postkolonialismus, des Rassismus. Das auf eine sehr scharfe und gleichzeitig warmherzige Weise – indem sie die Menschen genau betrachtet. Zwischen diesen beiden Polen oszilliert der Spielplan: Stoffe, die von weit weg zu uns kommen, die wir ergründen durch eine Transformationsleistung. Und andererseits Stoffe, die uns direkt hineinziehen in eine Blase, die hier vor der Haustür ist. Und in dieser Blase müssen wir uns verhalten.
Stefan Fischer-Fels Wir haben in der Krise erlebt, dass es gut ist, wenn wir rausgehen, auf die Menschen zugehen. Darauf reagiert der Spielplan mit »Der überaus starke Willibald« open air auf dem Gustaf-Gründgens-Platz, mit »Der Schimmelreiter« und mit »Der Mann, der eine Blume sein wollte« auf Einladung an verschiedenen Orten in der Stadt. Wir leisten uns den Luxus eines Abendspielplans im Jungen Schauspiel mit einem fantastischen Theatermacher wie Bonn Park, der uns die Inszenierung »Bambi & Die Themen« schenken wird, in der es auf eine sehr humorvolle und lakonische Weise um die Sehnsucht nach einer lebenswerten Zukunft geht. Das älteste Stück, »Der Schimmelreiter«, berührt mich gerade am meisten, wenn es darin darum geht, die Dämme abzudichten und neue zu bauen.
Das ist gerade auch in den Theatern so ein Thema. Was können wir erhalten und was können wir verändern?
Bassam Ghazi Wir haben zwei Linien: Die eine ist, den Klimawandel wieder in den Vordergrund zu rücken aus einer jungen, anklagenden und aktivistischen Perspektive, die was verändern will. Unsere zweite Linie setzt sich mit der postpandemischen Veränderung der Arbeitswelt und damit auch der Gesellschaft auseinander. Weniger aus unserer Perspektive, sondern wirklich aus der Perspektive von Menschen, die von Armut bedroht sind. Klassismus spielt dabei
eine große Rolle.
Birgit Lengers Neben den Inhalten geht es auch um ganz neue Formate und Arbeitsweisen. Wir werden in einem Residenzprogramm drei Kollektive, das Tanzkollektiv nutrospektiv und die Theaterkollektive Turbo Pascal und cobratheater.cobra, einladen, sich einen Monat lang mit der Stadt und dem D’haus künstlerisch auseinanderzusetzen. Dabei wollen wir durch ihre Perspektive beide neu entdecken und herausfinden, wie kollektives Arbeiten gelingt. Auch die Veranstaltungen des Café Eden, wie bisher kuratiert von Veronika Gerhard, werden nun Teil des Stadt:Kollektivs sein.
Frage in die Runde: Was fehlt euch in diesem Spielplan?
Guy Dermosessian Ich möchte ihn ergänzen. Aus der Tradition der monatlichen Reihe »Embracing Realities« heraus entsteht »Error«, eine Art Festivalformat zur Auseinandersetzung mit aktuellen Frageund Ausrufezeichen, die uns umgeben. Mit verschiedenen Menschen aus Kunst, aus Wissenschaft und in diesem Jahr stark auch aus dem Bereich Bildung.
Lea Ruckpaul Ich hätte gerne mehr Stoffe, die aus der Perspektive von Frauen geschrieben sind. Auch mehr queere Sichtweisen. Und ich wünsche mir, dass die Stoffe, die da sind, weniger repräsentativ besetzt werden. Um zu spüren, dass die Freiheiten, auf der Bühne mit Gender umzugehen, größer sind. Ich wünsche mir bei dem, was geschrieben wird, mehr Perspektiven von Menschen mit BIPoC-Hintergrund. Es geht mir sehr um Repräsentation, weil ich jetzt zehn Jahre lang das Problem gehabt habe, dass ich mich ins Verhältnis setzen muss zu etwas, was ich als vergangenes Bild von Gesellschaft und vor allem als überkommenes Frauenbild empfinde. Und wenn ich immer nur dabei bin, mich zu Vergangenem ins Verhältnis zu setzen, kann ich nicht in die Zukunft arbeiten.
Am Düsseldorfer Schauspielhaus hat es rassistische Diskriminierungen gegeben. Was hat das für das Haus bedeutet?
Stefan Fischer-Fels Es war eine Erschütterung, wie ich sie am Theater seit Langem nicht erlebt habe. Es war ein Innehalten und Überprüfen, was ich bin am Theater und was ich möchte mit anderen Menschen am Theater. Es hat mich dazu geführt, dass ich von dem einzelnen Fall zur Frage gekommen bin: Wie wollen wir in Zukunft produzieren?
Wilfried Schulz Es hat einen gelehrt, dass man stärker aufeinander aufpassen und mit einer größeren Aufmerksamkeit durch das Haus, durch die Kunst und durch das Leben gehen muss. Dadurch, dass wir uns in der Theaterproduktion permanent mit gesellschaftlichen Themen und Schicksalen von Menschen beschäftigen, sitzt man der Täuschung auf, dass wir scheinbar unanfechtbare Spezialisten für menschliches Miteinanderumgehen sind. Ich sage das selbstkritisch, auch ein bisschen selbstironisch. Denn das ist eine große Illusion. Wir lernen im Moment, dass wir natürlich genauso mitten in der Gesellschaft stehen und genauso anfällig sind und dass auch wir uns die Fortschritte und das bessere Zusammenleben der Gesellschaft erkämpfen und erarbeiten müssen. Und das nicht nur in der Auseinandersetzung mit anderen nach außen, sondern auch in der Auseinandersetzung mit uns selbst.
Lea Ruckpaul Ich habe mich gefragt: In was für einem Theater willst du überhaupt noch arbeiten? Meine Antwort war: In einem Theater in Unruhe. In Unruhe, beeinflusst, sich immer neu ordnend und neue Verbindungen knüpfend. Denn man richtet sich in diesem Theaterbetrieb ganz oft ein, man fühlt sich in Sicherheit. Und dabei sieht man nicht, dass andere Menschen nicht in Sicherheit sind oder vielleicht gar nicht gesehen werden. Die Art und Weise, wie wir in diesem Haus in Unruhe gekommen sind, das hat mich unsicher gemacht, ich habe auch Angst gehabt, das hat mich aber auch mit einer ganz großen Euphorie erfüllt. Was das Miteinander angeht und was das Kunstmachen angeht.
Guy Dermosessian Die Erschütterung war für mich persönlich nichts Überraschendes. Allein dass die Kulturstiftung des Bundes Stellen wie meine – also Diversitätsbeauftragte – fördert, deutet doch darauf hin, dass strukturelle Probleme existieren. Nach wie vor. Aber: Ich habe das Gefühl, in den Debatten, die wir führen, an einem vielversprechenden Punkt zu stehen. Und ich betrachte diese Zeit, dieses Ereignis als tatsächliche Chance, all die Diskussionen, die in den vergangenen Jahrzehnten geführt wurden, in eine konstruktive und zukunftsweisende Praxis zu gießen. Ich beobachte im Nachgang, dass viele Menschen am Haus sehr stark daran glauben, dass wir gemeinsam einen neuen Raum gestalten können. Das andere, was mir die Situation gezeigt hat, ist das vehemente Interesse am Ereignis selbst und an seiner Veröffentlichung. Wie viele Leute sich an uns gewandt haben, was das für Wellen geschlagen hat, hat mir gezeigt, wie wichtig das Theater für viele Menschen ist. Das war ein schönes Gefühl.
Bassam Ghazi Ich bin in meiner Annäherung ans D’haus genau in die Zeit dieser Vorfälle geraten. Das hat sehr viel in Gang gebracht. Will ich das und halte ich das auch aus? In einem Haus, in dem es gerade so viel Unruhe gibt? Ich habe mich dann dafür entschieden, weil ich an eine ermutigende Solidarität glaube. Audre Lorde sagt: »Nicht Unterschiede lähmen uns, sondern Schweigen.« Für mich bedeutet die Unruhe, genau dieses Schweigen zu durchbrechen, in eine Befragung der Strukturen reinzugehen. Und eine Einladung auszusprechen, diese Befragung bei uns selbst zu starten.
Das Interview führten Marion Troja, stellvertretende Leiterin Kommunikation, und Chefdramaturg Robert Koall.
Wilfried Schulz Das Entfernte und Nahe, das ist die Spannweite des Spielplans. Wir eröffnen mit »Orpheus steigt herab«, einem Stück von Tennessee Williams, das aus einer zeitlichen Entfernung zu uns kommt und die Enge in den Köpfen zeigt. Aber der wichtigste Gedanke dabei ist, dass es die Sehnsucht der Leute sieht, dieser Enge zu entweichen. Und dann gibt es ein Stück, einen Roman, aus Düsseldorf, nämlich »Identitti« von Mithu Sanyal. Sanyal beschäftigt sich mit den gesellschaftlichen, politischen, auch ideologischen Debatten, die uns umgeben. Mit der Frage des Postkolonialismus, des Rassismus. Das auf eine sehr scharfe und gleichzeitig warmherzige Weise – indem sie die Menschen genau betrachtet. Zwischen diesen beiden Polen oszilliert der Spielplan: Stoffe, die von weit weg zu uns kommen, die wir ergründen durch eine Transformationsleistung. Und andererseits Stoffe, die uns direkt hineinziehen in eine Blase, die hier vor der Haustür ist. Und in dieser Blase müssen wir uns verhalten.
Stefan Fischer-Fels Wir haben in der Krise erlebt, dass es gut ist, wenn wir rausgehen, auf die Menschen zugehen. Darauf reagiert der Spielplan mit »Der überaus starke Willibald« open air auf dem Gustaf-Gründgens-Platz, mit »Der Schimmelreiter« und mit »Der Mann, der eine Blume sein wollte« auf Einladung an verschiedenen Orten in der Stadt. Wir leisten uns den Luxus eines Abendspielplans im Jungen Schauspiel mit einem fantastischen Theatermacher wie Bonn Park, der uns die Inszenierung »Bambi & Die Themen« schenken wird, in der es auf eine sehr humorvolle und lakonische Weise um die Sehnsucht nach einer lebenswerten Zukunft geht. Das älteste Stück, »Der Schimmelreiter«, berührt mich gerade am meisten, wenn es darin darum geht, die Dämme abzudichten und neue zu bauen.
Das ist gerade auch in den Theatern so ein Thema. Was können wir erhalten und was können wir verändern?
Bassam Ghazi Wir haben zwei Linien: Die eine ist, den Klimawandel wieder in den Vordergrund zu rücken aus einer jungen, anklagenden und aktivistischen Perspektive, die was verändern will. Unsere zweite Linie setzt sich mit der postpandemischen Veränderung der Arbeitswelt und damit auch der Gesellschaft auseinander. Weniger aus unserer Perspektive, sondern wirklich aus der Perspektive von Menschen, die von Armut bedroht sind. Klassismus spielt dabei
eine große Rolle.
Birgit Lengers Neben den Inhalten geht es auch um ganz neue Formate und Arbeitsweisen. Wir werden in einem Residenzprogramm drei Kollektive, das Tanzkollektiv nutrospektiv und die Theaterkollektive Turbo Pascal und cobratheater.cobra, einladen, sich einen Monat lang mit der Stadt und dem D’haus künstlerisch auseinanderzusetzen. Dabei wollen wir durch ihre Perspektive beide neu entdecken und herausfinden, wie kollektives Arbeiten gelingt. Auch die Veranstaltungen des Café Eden, wie bisher kuratiert von Veronika Gerhard, werden nun Teil des Stadt:Kollektivs sein.
Frage in die Runde: Was fehlt euch in diesem Spielplan?
Guy Dermosessian Ich möchte ihn ergänzen. Aus der Tradition der monatlichen Reihe »Embracing Realities« heraus entsteht »Error«, eine Art Festivalformat zur Auseinandersetzung mit aktuellen Frageund Ausrufezeichen, die uns umgeben. Mit verschiedenen Menschen aus Kunst, aus Wissenschaft und in diesem Jahr stark auch aus dem Bereich Bildung.
Lea Ruckpaul Ich hätte gerne mehr Stoffe, die aus der Perspektive von Frauen geschrieben sind. Auch mehr queere Sichtweisen. Und ich wünsche mir, dass die Stoffe, die da sind, weniger repräsentativ besetzt werden. Um zu spüren, dass die Freiheiten, auf der Bühne mit Gender umzugehen, größer sind. Ich wünsche mir bei dem, was geschrieben wird, mehr Perspektiven von Menschen mit BIPoC-Hintergrund. Es geht mir sehr um Repräsentation, weil ich jetzt zehn Jahre lang das Problem gehabt habe, dass ich mich ins Verhältnis setzen muss zu etwas, was ich als vergangenes Bild von Gesellschaft und vor allem als überkommenes Frauenbild empfinde. Und wenn ich immer nur dabei bin, mich zu Vergangenem ins Verhältnis zu setzen, kann ich nicht in die Zukunft arbeiten.
Am Düsseldorfer Schauspielhaus hat es rassistische Diskriminierungen gegeben. Was hat das für das Haus bedeutet?
Stefan Fischer-Fels Es war eine Erschütterung, wie ich sie am Theater seit Langem nicht erlebt habe. Es war ein Innehalten und Überprüfen, was ich bin am Theater und was ich möchte mit anderen Menschen am Theater. Es hat mich dazu geführt, dass ich von dem einzelnen Fall zur Frage gekommen bin: Wie wollen wir in Zukunft produzieren?
Wilfried Schulz Es hat einen gelehrt, dass man stärker aufeinander aufpassen und mit einer größeren Aufmerksamkeit durch das Haus, durch die Kunst und durch das Leben gehen muss. Dadurch, dass wir uns in der Theaterproduktion permanent mit gesellschaftlichen Themen und Schicksalen von Menschen beschäftigen, sitzt man der Täuschung auf, dass wir scheinbar unanfechtbare Spezialisten für menschliches Miteinanderumgehen sind. Ich sage das selbstkritisch, auch ein bisschen selbstironisch. Denn das ist eine große Illusion. Wir lernen im Moment, dass wir natürlich genauso mitten in der Gesellschaft stehen und genauso anfällig sind und dass auch wir uns die Fortschritte und das bessere Zusammenleben der Gesellschaft erkämpfen und erarbeiten müssen. Und das nicht nur in der Auseinandersetzung mit anderen nach außen, sondern auch in der Auseinandersetzung mit uns selbst.
Lea Ruckpaul Ich habe mich gefragt: In was für einem Theater willst du überhaupt noch arbeiten? Meine Antwort war: In einem Theater in Unruhe. In Unruhe, beeinflusst, sich immer neu ordnend und neue Verbindungen knüpfend. Denn man richtet sich in diesem Theaterbetrieb ganz oft ein, man fühlt sich in Sicherheit. Und dabei sieht man nicht, dass andere Menschen nicht in Sicherheit sind oder vielleicht gar nicht gesehen werden. Die Art und Weise, wie wir in diesem Haus in Unruhe gekommen sind, das hat mich unsicher gemacht, ich habe auch Angst gehabt, das hat mich aber auch mit einer ganz großen Euphorie erfüllt. Was das Miteinander angeht und was das Kunstmachen angeht.
Guy Dermosessian Die Erschütterung war für mich persönlich nichts Überraschendes. Allein dass die Kulturstiftung des Bundes Stellen wie meine – also Diversitätsbeauftragte – fördert, deutet doch darauf hin, dass strukturelle Probleme existieren. Nach wie vor. Aber: Ich habe das Gefühl, in den Debatten, die wir führen, an einem vielversprechenden Punkt zu stehen. Und ich betrachte diese Zeit, dieses Ereignis als tatsächliche Chance, all die Diskussionen, die in den vergangenen Jahrzehnten geführt wurden, in eine konstruktive und zukunftsweisende Praxis zu gießen. Ich beobachte im Nachgang, dass viele Menschen am Haus sehr stark daran glauben, dass wir gemeinsam einen neuen Raum gestalten können. Das andere, was mir die Situation gezeigt hat, ist das vehemente Interesse am Ereignis selbst und an seiner Veröffentlichung. Wie viele Leute sich an uns gewandt haben, was das für Wellen geschlagen hat, hat mir gezeigt, wie wichtig das Theater für viele Menschen ist. Das war ein schönes Gefühl.
Bassam Ghazi Ich bin in meiner Annäherung ans D’haus genau in die Zeit dieser Vorfälle geraten. Das hat sehr viel in Gang gebracht. Will ich das und halte ich das auch aus? In einem Haus, in dem es gerade so viel Unruhe gibt? Ich habe mich dann dafür entschieden, weil ich an eine ermutigende Solidarität glaube. Audre Lorde sagt: »Nicht Unterschiede lähmen uns, sondern Schweigen.« Für mich bedeutet die Unruhe, genau dieses Schweigen zu durchbrechen, in eine Befragung der Strukturen reinzugehen. Und eine Einladung auszusprechen, diese Befragung bei uns selbst zu starten.
Das Interview führten Marion Troja, stellvertretende Leiterin Kommunikation, und Chefdramaturg Robert Koall.
Kommentare
Verfassen Sie jetzt einen Kommentar. Neue Kommentare werden von uns moderiert.
Informationen über die Verarbeitung Ihrer Daten erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.