Franziska führt Faust vor
»Franziska – ein modernes Mysterium« hat Frank Wedekind 1913 die lebenshungrige Reise einer jungen Frau genannt. Schauspielerin Sonja Beißwenger arbeitet sich in der Titelrolle im Großen Haus lustvoll ab an einem Bühnenbild überschwerer Männlichkeit des Künstlerateliers Van Lieshout. Regie führt Sebastian Baumgarten. — Ein Probeneinblick von Marion Troja — Fotos: Thomas Rabsch

Dieser Tisch ist zentnerschwer. Eine lange Platte aus massivem Holz trennt Franziska und ihre Mutter. Die 18-Jährige stemmt sich mit farbverschmierten Händen dagegen, zerrt, schiebt und ruckelt. Am anderen Ende zetert die Alte von Verpflichtungen der Tochter, vom verstorbenen Vater und Vorstellungen angemessenen Verhaltens. Franziska hält dagegen, nennt die Eltern ihren größten Albtraum und stellt fest, was sie nun endlich wissen will: »Wer ist Ich eigentlich?«
Eine Szene später schmeißt sie diesen Tisch um, balanciert mit ihrer neuen Bekanntschaft Veit Kunz, einem »Sternenlenker« wie er selbst sagt, auf der Kante, springt herunter und startet in eine wilde Reise über zwei Jahre und fünf Akte, die sie von München in die Berliner Varieté-Unterwelt, nach Rotenburg in ein Herzogtum und sehr weit weg von ihren vorgezeichneten Bahnen führt. Die Drehbühne offenbart immer neue Räume, in denen meterhohe Skulpturen, eine Pissoirsäule, aufgestapelte Würfel mit auffordernden Aufschriften und ein gigantischer Holzvogel die Blicke auf sich ziehen. Sie stammen aus dem Atelier des international renommierten Künstlers Joep van Lieshout in Rotterdam.
Eine Szene später schmeißt sie diesen Tisch um, balanciert mit ihrer neuen Bekanntschaft Veit Kunz, einem »Sternenlenker« wie er selbst sagt, auf der Kante, springt herunter und startet in eine wilde Reise über zwei Jahre und fünf Akte, die sie von München in die Berliner Varieté-Unterwelt, nach Rotenburg in ein Herzogtum und sehr weit weg von ihren vorgezeichneten Bahnen führt. Die Drehbühne offenbart immer neue Räume, in denen meterhohe Skulpturen, eine Pissoirsäule, aufgestapelte Würfel mit auffordernden Aufschriften und ein gigantischer Holzvogel die Blicke auf sich ziehen. Sie stammen aus dem Atelier des international renommierten Künstlers Joep van Lieshout in Rotterdam.

»Ich habe ein bisschen gebraucht, um mit den Objekten klarzukommen. Dieser Vatertisch ist so schwer. Inzwischen weiß ich, wie Franziska dieses Elternthema aus sich rausarbeitet.« Sonja Beißwenger zieht ihre langen Haare durch weiße Farbe, gestaltet um, was sich ihr in den Weg stellt. Im Interview betont die Schauspielerin den Untertitel des Stücks: ein modernes Mysterium. »Es gibt einen großen Assoziationsspielraum, nicht jede Stelle erklärt sich und die Geschichte zieht weiter wie ein Roadmovie.« Es geht um Transformation, aber längst nicht nur um die einer Frau, die durch das Wirken von Veit Kunz für zwei Jahre als Mann die Welt erlebt, sondern um das Suchen und Entwickeln einer Persönlichkeit, nicht zuletzt die einer Künstler*in. So versteht Sonja Beißwenger den Stoff und ergänzt: »Und dabei ist diese Geschichte wie eine Parodie auf den Faust.«

Ihre Männerfigur gleicht schon bald nach der Verwandlung längst nicht mehr dem Draufgänger in Glitzerhose, sondern schleicht als von schlechtem Gewissen geplagter Ehemann umher. »Der Schwindel und Budenzauber macht ihm so zu schaffen, dass er für seine Frau nur eine toxische Struktur schaffen kann. Er erfindet eine Geliebte, die seine Männlichkeit beweisen soll – bis die Ehefrau sich umbringt.« Dass es dabei aber auch ziemlich humorvoll zugeht, zeigt der Blick in die Proben. Mit angeklebtem Bart und schwabbeligen Bauch ist dieser Franz alles andere als ein Hingucker. Und doch wollen ihn die Frauen so sehr, dass er flüchtet. Und dabei über die herumliegenden Würfel stolpert. »Diese Kunst!«, empört er sich. Ein gewünschter Effekt, Bühnenbild und Spiel treffen aufeinander, irritieren und unterstützen sich.

Welches Ende das Team für die Geschichte finden wird, sei noch nicht endgültig entschieden, berichtet die Schauspielerin, die in Düsseldorf in der vergangenen Spielzeit in »Orpheus steigt herab« die Hauptrolle gespielt hat. Dem D’haus-Publikum ist sie zudem aus »Die bitteren Tränen der Petra von Kant«, aus »Die Dreigroschenoper« und »Fightclub« bekannt. Ihr Vertrauen in Regisseur Sebastian Baumgarten sei groß, es ist die dritte gemeinsame Produktion der beiden. »Er hat einen beeindruckenden Überblick und eine große Intellektualität. Am Ende kommt alles richtig zusammen, das Spiel, die Bühne, die Musik. Alles ist genau geplant.« Als Mephisto hat sie mit Baumgarten am Staatsschauspiel Hannover eine sehr erfolgreiche »Faust«-Inszenierung auf die Bühne gebracht, in Dresden »Die Räuber« und jetzt in Düsseldorf »Franziska«. Das Ende des Stücks sei auch bei Wedekind widersprüchlich. »Es gab eine zensierte Form und eine, die uraufgeführt werden durfte.« Der Autor selbst habe damals Veit Kunz gespielt und seine Frau Tilly die Franziska. »Diese junge Frau auf der Suche nach sich selbst, das ist zugleich Wedekinds weibliches Ich. Franka, die Freie.«
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