
Eine Inszenierung entsteht — »Der überaus starke Willibald« — Teil 1: Kostüm
— Text: Marion Troja — Fotos: Melanie Zanin
»Das Kostüm erzählt die Geschichte, die nicht durch Worte erfahren wird.« Kostümbildnerin Cátia Palminha gibt den Mäusefiguren im Kinder- und Familienstück »Der überaus starke Willibald« ihre Gestalt – und lüftet vorab Geheimnisse ihrer Kunst.
Willibald hat mächtig Muskeln – breite Schultern, beeindruckendes Sixpack und starke Schenkel. In den Paketen unter der Sackleinenhaut des Mäuseanführers steckt Aquariumgras. Leicht und luftig, grell grün und formstabil ist das Plastikgewächs. Mit diesem Material stopft Kostümbildnerin Cátia Palminha die straffe Figur von Willibald und den stattlichen Bauch von Hermannmaus aus. »Den Tipp hatte das Team aus der Schneiderei für mich. Ich bin immer auf der Suche nach Dingen, die ich verwenden kann – ob auf dem Sperrmüll oder im Internet.«

Seit einem Jahr weiß sie, dass sie nach der gemeinsamen Inszenierung von Erich Kästners »Das doppelte Lottchen« erneut ein Kinder- und Familienstück mit Regisseur Robert Gerloff für das Düsseldorfer Schauspielhaus ausstatten wird. Beim »Lottchen« waren es 50 verschiedene Outfits, 61-mal haben sich die Schauspieler*innen in 70 Minuten umgezogen. Seit einem Jahr denkt sie nun über die Mäuse in der Parabel von Willi Fährmann nach. Es geht um Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie – und es geht um Ausgrenzung und Anpassung.
»Besonders wichtig war mir: Es dürfen keine Klischeemäuse sein, oder solche, die aussehen wie Mickymaus.« Sechs Tier-Menschen bekommen in diesen Wochen durch sie Gestalt. Jede Figur hat ein individuelles Erscheinungsbild, eine einzigartige Silhouette. Sie sagt: »Das Kostüm erzählt die Geschichte, die nicht durch Worte erfahren wird.« Und schiebt lachend hinterher: »Wenn einem ein Stück mal nicht gefällt oder man was nicht versteht, dann können die Kostüme vielleicht trotzdem interessant sein.«
»Besonders wichtig war mir: Es dürfen keine Klischeemäuse sein, oder solche, die aussehen wie Mickymaus.« Sechs Tier-Menschen bekommen in diesen Wochen durch sie Gestalt. Jede Figur hat ein individuelles Erscheinungsbild, eine einzigartige Silhouette. Sie sagt: »Das Kostüm erzählt die Geschichte, die nicht durch Worte erfahren wird.« Und schiebt lachend hinterher: »Wenn einem ein Stück mal nicht gefällt oder man was nicht versteht, dann können die Kostüme vielleicht trotzdem interessant sein.«

Zwischen »Lottchen« und »Willibald« hat Cátia Palminha ihren zweiten Sohn auf die Welt gebracht, der im Tragetuch an sie gekuschelt in der Theaterschneiderei am Gustaf-Gründgens-Platz schläft. Der Kleine pendelt mit ihr zwischen München und Düsseldorf. An ihm und seinem Bruder hat sie den Clou ihrer Kostümidee ausprobiert: Auf dem Tragesystem eines Fahrradhelms sitzt der Mäusekopf mit glänzenden schwarzen Kugelaugen, großen Ohren oder langnasiger Schnute. Blicken die Schauspieler*innen ins Publikum, zeigt sich der Mensch. Senken sie den Kopf, vollzieht sich der Wandel ins Animalische. Auf der Bühne steht dann ein Rudel, das gehorcht und nach dem Willen des Anführers marschiert. Bei ihren beiden Kindern hat es funktioniert – die Ensemblemitglieder proben zurzeit aus, wie sie den Effekt in Szene setzen.

Fell oder nicht Fell – diese Frage hat Cátia Palminha ziemlich schnell beantwortet: beides. Aus Kaffeesäcken, die sie in Röstereien und im Internetversand aufgestöbert hat, mal feiner und mal gröber in der Struktur, mit aufgedruckten Kaffeepflanzen oder Kiloangaben, werden die lebensgroßen Mäuse genäht – wobei die Nähte dabei auf links bleiben und kunstvoll unordentlich ausgefranst werden. »Diese Mäuse stammen aus der Vorratskammer. Dazu passt der Stoff perfekt.« Sogar der Geruch stimmt – auch nach der Wäsche hängt in manchem Teil noch leichter Kaffeeduft oder Kellermuff. Unter diesem Kostüm wird ein Trikot getragen und um die Taille ist der über den Boden schleifende Schwanz befestigt. Kein unkompliziertes Accessoire, das doch eigentlich ständig im Weg sein muss. »Ein Teil der Maus ist eben der Schwanz. Er ist zugleich auch ein Spielmittel. Schon bei der Anprobe haben die Schauspieler*innen damit hantiert – ihn als Mikro, Tankrüssel, Peitsche oder sonst was verwendet. Das eröffnet Möglichkeiten für die Bühne.« Und durch den Sitz mit dem Gurt am Bauch, können ihn die drei Frauen und zwei Männer kontrolliert bewegen.
Lillimaus ist eine Ausnahme, ihre Erscheinung hat Cátia Palminha viele Stunden gekostet. Sie ist die, die nicht aussieht wie die anderen und die, die nicht alles mitmacht wie die anderen. Ihre Welt ist die Bibliothek, das Universum der Bücher und Geschichten. Daher ist das Kostüm für die Spielerin aus verschiedenen weißen Polsterstoffen entstanden. Wer genau hinschaut, erkennt ein paar aufgedruckte Buchstaben, ihre Kugelaugen sind rot. »Ihre Erscheinung ist nicht selbst gewählt. Sie kann sie nicht ändern. So bin ich bei der Albino-Idee der Vorlage geblieben.«
Lillimaus ist eine Ausnahme, ihre Erscheinung hat Cátia Palminha viele Stunden gekostet. Sie ist die, die nicht aussieht wie die anderen und die, die nicht alles mitmacht wie die anderen. Ihre Welt ist die Bibliothek, das Universum der Bücher und Geschichten. Daher ist das Kostüm für die Spielerin aus verschiedenen weißen Polsterstoffen entstanden. Wer genau hinschaut, erkennt ein paar aufgedruckte Buchstaben, ihre Kugelaugen sind rot. »Ihre Erscheinung ist nicht selbst gewählt. Sie kann sie nicht ändern. So bin ich bei der Albino-Idee der Vorlage geblieben.«

Die Mäuse bewegen sich in einem auf ihre Lebensgröße abgestimmten Bühnenbild von Gabriela Neubauer. Zwischen riesigen rostigen Dosen huschen und kuschen die Tiere. Eine überzeichnete Art von Realismus, die Cátia Palminha an den Inszenierungen von Robert Gerloff schätzt, und die auch zu ihrer Art zu arbeiten passt, wie sie findet. Die beiden haben sich als Assistent*innen am Residenztheater in München kennengelernt. Umwege haben die 1982 geborene Künstlerin dorthin geführt: eine Schneider*innenlehre, Reisen, auf denen sie etwa in der Mongolei das Filzen lernte und in Neuseeland traditionelle Shows ausstattete. Immer wieder landete sie bei Textilien, bei Materialien, aus denen sie Kostüme fertigte. »Hier bin ich richtig.«
Übrigens: Jedes Kostüm beginnt mit den Schuhen, erklärt sie am Ende des Rundgangs durch die Werkstätten für Kostüm und Maske im dritten Stockwerk des Schauspielhauses. Hier wird auch für das Junge Schauspiel in der Münsterstraße genäht und geklebt. Zehenschuhe in Hautfarbe hat sie für die Mäusefiguren ausgewählt – am Ende der nackten Zweibeine. Kreatürlich, animalisch und menschlich.
Übrigens: Jedes Kostüm beginnt mit den Schuhen, erklärt sie am Ende des Rundgangs durch die Werkstätten für Kostüm und Maske im dritten Stockwerk des Schauspielhauses. Hier wird auch für das Junge Schauspiel in der Münsterstraße genäht und geklebt. Zehenschuhe in Hautfarbe hat sie für die Mäusefiguren ausgewählt – am Ende der nackten Zweibeine. Kreatürlich, animalisch und menschlich.

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Kommentare
Ebenso die Erläuterungen.
Ich bin jetzt sehr neugierig auf diese kretiven Kostümentwürfe...
Vielen dank für den tollen Einblick!
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