dark humour
Die Autorin Dawn King und der Regisseur Adrian Figueroa im Gespräch mit der Dramaturgin Katharina Rösch
— Fotos: Thomas Rabsch

In »Das Tribunal« geht es um eine dystopische Fiktion: Ein jugendliches Gericht entscheidet über die Klimastraftaten Erwachsener. Wie sind Sie auf diese besondere Idee gekommen?
Dawn King — Ich hatte mich schon länger mit der Klimakrise beschäftigt und hielt mich für eine umweltbewusste Person, als 2018 die Klimastreiks von Fridays for Future in Großbritannien begannen. Ich wollte gerne daran teilnehmen, schaffte es aber nicht, weil ich noch einen Flug in die USA für eine Autor*innen-Residenz buchte. In diesem Moment fragte ich mich, was die jungen Menschen auf der Straße wohl von mir denken würden? Zunächst war es nur ein Witz: In der Zukunft würde man Leute wie mich, die sich für so grün und besser als andere hielten, als Heuchler*innen verurteilen. Diese Idee beschäftigte mich – junge Menschen, die aufgefordert waren, Erwachsene zu verurteilen. Auch meine Erfahrung als Jurymitglied bei einem Geschworenengericht in Großbritannien ist in diese Stückidee miteingeflossen. Dort sind bei Strafprozessen neben den Berufsrichter*innen jeweils 12 Bürger*innen an der Urteilsfindung beteiligt. Dennoch ging es für mich nie darum, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Vielmehr entstand die Grundidee aus dem Gefühl, dass man mich selbst in der Zukunft verurteilen könnte.
Die Mitglieder der jugendlichen Jury sind im Stück im Alter von 12 bis 17 Jahren. Auch die Inszenierung des Stadt:Kollektiv wird von jungen Darsteller*innen bestritten – die Jüngsten sind 13, der Älteste ist 23 Jahre alt. Wieso ist es so wichtig, dieses Stück mit jungen Menschen auf die Bühne zu bringen?
Dawn King — Sie sind diejenigen, die mit den Problemen leben werden, die ältere Generationen für sie hinterlassen haben, und es ist ungerecht, dass ihnen alleine die Aufgabe gestellt wird, die Klimakrise aufzuhalten. Ich fand es interessant, diese Menschen auf der Bühne zu zeigen, vor allem in ihrer Unterschiedlichkeit als Individuen und nicht nur als Masse. Dass auf der Bühne junge Menschen stehen, statt erwachsene Schauspieler*innen, die Jugendliche verkörpern, hat einfach mehr Kraft. Mir gefiel außerdem die Vorstellung, dass der ganze Entwicklungsprozess des Theaterstücks, die Probenzeit und die Aufführungen, eine Erfahrung sein könnte, die für die jungen Spieler*innen wirklich etwas bedeutet und sie möglicherweise auch verändert.
Adrian Figueroa — Wenn man die globalen Klimaproteste junger Menschen wie von Fridays for Future verfolgt, einschließlich die der bekannten Aktivist*innen, merkt man, dass es junge Menschen wirklich geschafft haben, eine relevante Klimabewegung zu starten. Deswegen ist es auch so wichtig, dass sie dieses Stück spielen. Es ist jedoch ein Missverständnis, dass Theater mit jungen Menschen sich nur an ein junges Publikum richtet. Vor allem wenn es um die Klimakrise geht, ist es stark, Jugendliche zu sehen, die Erwachsenen erzählen, wie es sein könnte.
Dawn King — Das stimmt. Was mich beim Schreiben interessiert hat, war die Idee, dass es im Publikum Erwachsene geben würde, die Kinder haben oder im Begriff sind, welche zu bekommen, und die sich unweigerlich fragen, was ihre Kinder in 15 bis 20 Jahren über sie sagen.
In Ihren Filmen und Theaterstücken arbeiten Sie regelmäßig mit Menschen zusammen, die nicht ausgebildete Schauspieler*innen sind. Neben Jugendlichen haben Sie bereits mit Gefängnisinsassen gearbeitet. Welche Erfahrungen machen Sie dabei?
Adrian Figueroa — Mit jungen Leuten zu arbeiten, die keine professionellen Schauspieler*innen sind, kann eine sehr aufrichtige Form der Arbeitsbeziehung und eine Bereicherung sein. Zu Beginn geht es jeweils darum, in einem ganz praktischen Ansatz Zugang zu Theater zu ermöglichen und dabei zu befragen, was Theater ist und was es noch alles sein könnte. Jedes Mal, wenn ich mit nicht-professionellen Spieler*innen arbeite, gibt es diesen Neuanfang, bei dem ich von Grund auf lerne, was man im Theater alles tun kann und wieso es möglicherweise immer noch relevant ist. Oft entwickle ich Theaterabende aufgrund von Interviews, die ich führe und für die Bühne fiktionalisiere. Diesmal gab es ein bereits geschriebenes Stück, was nicht bedeutet, dass wir nicht weiterhin recherchiert haben.
Dawn King — Ich hatte mich schon länger mit der Klimakrise beschäftigt und hielt mich für eine umweltbewusste Person, als 2018 die Klimastreiks von Fridays for Future in Großbritannien begannen. Ich wollte gerne daran teilnehmen, schaffte es aber nicht, weil ich noch einen Flug in die USA für eine Autor*innen-Residenz buchte. In diesem Moment fragte ich mich, was die jungen Menschen auf der Straße wohl von mir denken würden? Zunächst war es nur ein Witz: In der Zukunft würde man Leute wie mich, die sich für so grün und besser als andere hielten, als Heuchler*innen verurteilen. Diese Idee beschäftigte mich – junge Menschen, die aufgefordert waren, Erwachsene zu verurteilen. Auch meine Erfahrung als Jurymitglied bei einem Geschworenengericht in Großbritannien ist in diese Stückidee miteingeflossen. Dort sind bei Strafprozessen neben den Berufsrichter*innen jeweils 12 Bürger*innen an der Urteilsfindung beteiligt. Dennoch ging es für mich nie darum, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Vielmehr entstand die Grundidee aus dem Gefühl, dass man mich selbst in der Zukunft verurteilen könnte.
Die Mitglieder der jugendlichen Jury sind im Stück im Alter von 12 bis 17 Jahren. Auch die Inszenierung des Stadt:Kollektiv wird von jungen Darsteller*innen bestritten – die Jüngsten sind 13, der Älteste ist 23 Jahre alt. Wieso ist es so wichtig, dieses Stück mit jungen Menschen auf die Bühne zu bringen?
Dawn King — Sie sind diejenigen, die mit den Problemen leben werden, die ältere Generationen für sie hinterlassen haben, und es ist ungerecht, dass ihnen alleine die Aufgabe gestellt wird, die Klimakrise aufzuhalten. Ich fand es interessant, diese Menschen auf der Bühne zu zeigen, vor allem in ihrer Unterschiedlichkeit als Individuen und nicht nur als Masse. Dass auf der Bühne junge Menschen stehen, statt erwachsene Schauspieler*innen, die Jugendliche verkörpern, hat einfach mehr Kraft. Mir gefiel außerdem die Vorstellung, dass der ganze Entwicklungsprozess des Theaterstücks, die Probenzeit und die Aufführungen, eine Erfahrung sein könnte, die für die jungen Spieler*innen wirklich etwas bedeutet und sie möglicherweise auch verändert.
Adrian Figueroa — Wenn man die globalen Klimaproteste junger Menschen wie von Fridays for Future verfolgt, einschließlich die der bekannten Aktivist*innen, merkt man, dass es junge Menschen wirklich geschafft haben, eine relevante Klimabewegung zu starten. Deswegen ist es auch so wichtig, dass sie dieses Stück spielen. Es ist jedoch ein Missverständnis, dass Theater mit jungen Menschen sich nur an ein junges Publikum richtet. Vor allem wenn es um die Klimakrise geht, ist es stark, Jugendliche zu sehen, die Erwachsenen erzählen, wie es sein könnte.
Dawn King — Das stimmt. Was mich beim Schreiben interessiert hat, war die Idee, dass es im Publikum Erwachsene geben würde, die Kinder haben oder im Begriff sind, welche zu bekommen, und die sich unweigerlich fragen, was ihre Kinder in 15 bis 20 Jahren über sie sagen.
In Ihren Filmen und Theaterstücken arbeiten Sie regelmäßig mit Menschen zusammen, die nicht ausgebildete Schauspieler*innen sind. Neben Jugendlichen haben Sie bereits mit Gefängnisinsassen gearbeitet. Welche Erfahrungen machen Sie dabei?
Adrian Figueroa — Mit jungen Leuten zu arbeiten, die keine professionellen Schauspieler*innen sind, kann eine sehr aufrichtige Form der Arbeitsbeziehung und eine Bereicherung sein. Zu Beginn geht es jeweils darum, in einem ganz praktischen Ansatz Zugang zu Theater zu ermöglichen und dabei zu befragen, was Theater ist und was es noch alles sein könnte. Jedes Mal, wenn ich mit nicht-professionellen Spieler*innen arbeite, gibt es diesen Neuanfang, bei dem ich von Grund auf lerne, was man im Theater alles tun kann und wieso es möglicherweise immer noch relevant ist. Oft entwickle ich Theaterabende aufgrund von Interviews, die ich führe und für die Bühne fiktionalisiere. Diesmal gab es ein bereits geschriebenes Stück, was nicht bedeutet, dass wir nicht weiterhin recherchiert haben.

Bei dem Gedanken an ein Klimatribunal will man zunächst an umweltverschmutzende Unternehmen oder an Politiker*innen denken. Im Stück müssen sich aber Individuen vor Gericht verantworten.
Dawn King — Dass wenige große Unternehmen im Verhältnis zur Weltbevölkerung den größten Anteil an Umweltverschmutzung und CO2-Emissionen verursachen, ist lange bekannt. Dennoch stellt sich die Frage nach der individuellen Verantwortung des Einzelnen. Ist es in Ordnung nichts zu tun, sich nicht zu verändern, nur weil man das Gefühl hat, dass man gar nichts tun kann? In der Welt des Stücks wurden die CEOs großer Unternehmen und andere Führungsfiguren längst verurteilt. Die Gerichtsprozesse haben sich weiterentwickelt und nun sind eben die etwas gewöhnlicheren Menschen an der Reihe. Das ist natürlich ein dystopisches Zukunftsszenario, das die Frage aufwirft, ob das Tribunal in dieser Konstitution überhaupt gerecht ist, was im Übrigen auch von den Jurymitgliedern diskutiert wird. Die Frage, ab wann man sich an einer Sache schuldig macht, trifft sie ebenso wie die Angeklagten und indem sie die Erwachsenen verurteilen, verlieren sie gewissermaßen ihre Unschuld.
Als zweite Angeklagte tritt in dem Stück eine Autorin auf – in der Inszenierung ist es ein männlicher Autor. Gleichzeitig findet das Tribunal in einem verlassenen Theater statt, das offenbar nicht mehr als solches genutzt wird. Zweifelt das Stück an der politischen Wirksamkeit von Kunst?
Dawn King — Tatsächlich habe ich mich als Angeklagte Zwei ins Stück eingeschrieben und auch das Theater als einen Ort, der Teil der Umweltverschmutzung ist. Es gibt also dieses Metanarrativ über die zweite Angeklagte, eine Autorin, die Stücke über die Klimakrise geschrieben hat und sich fragt, ob ihre Arbeit irgendetwas bewirkt hat. Tatsächlich versuche ich persönlich durchaus, mit diesem Stück etwas zu verändern. Zuvor hatte mich so etwas nicht interessiert, aber bei diesem Stück wäre es problematisch, es zu inszenieren, ohne über die Produktionsweise nachzudenken. Aus diesem Grund habe ich dem Text eine Diversitäts- und Nachhaltigkeitsklausel vorangestellt, die ich in Zukunft in alle meine Stücke integrieren möchte, auch weil sie Theatermacher*innen dabei unterstützen könnte, Veränderungen durchzusetzen.
Am Anfang des Stücks steht, dieses solle »so umweltfreundlich und nachhaltig wie möglich produziert werden«. Wie sind Sie in der Produktion mit dieser Herausforderung umgegangen?
Adrian Figueroa — Als Produktionsteam, zu dem neben Ketan Bhatti (Musik) auch die Bühnen- und Kostümbildnerin Irina Schicketanz gehört, haben wir uns intensiv mit den Möglichkeiten einer nachhaltigen Produktion beschäftigt. Es war eine ganz bewusste Entscheidung, für diese Inszenierung kein Bühnenbild zu entwerfen, sondern das Theater als leeren Raum zu nutzen, dessen Potential die Jugendlichen nach und nach entdecken. Darüber hinaus haben wir uns die Frage gestellt, was wir tatsächlich neu produzieren und wo wir auf Dinge zurückgreifen können, die bereits da sind. Im Theater gibt es tolle Dinge, kaputte, vergessene und weggeworfene Objekte, die in irgendeinem Keller lagern und wirkliche Schätze sind. Eines unserer größten Bühnenteile ist ein bemalter Prospekt, der für Robert Wilsons Inszenierung von »Der Sandmann« angefertigt, aber nie verwendet wurde. Diese Arbeitsweise war wirklich inspirierend und ich könnte mir gut vorstellen, so weiterzuarbeiten. Theater ist nicht außerhalb der Gesellschaft, sondern ein Teil davon und wenn sich gesellschaftliche Veränderungen ereignen, sollten wir diese auch innerhalb der Institutionen aufgreifen und sogar weiterdenken.
Im Stück sind Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit nicht länger freiwillig sondern verpflichtend. Was ist das für ein staatliches System, das sich an der Macht befindet?
Dawn King — In der Fiktion des Stücks ist es nicht länger möglich, Fleisch oder Milchprodukte zu kaufen. Alle ernähren sich vegan und man kann nicht fliegen, ohne eine staatliche Erlaubnis zu haben. Alles dreht sich um Nachhaltigkeit, es handelt sich jedoch nicht um eine grüne Utopie sondern um ein autoritäres System. Die Regierung ist wirklich düster und erschreckend, denn sie nimmt den Tod von Menschen in Kauf, aber gleichzeitig ist sie wirklich effektiv darin, die Klimakrise einzudämmen. Aktuell erleben wir, wie Demokratien mit ihren Antworten auf die Klimakrise an ihre Grenzen gelangen, denn notwendige Handlungen sind unpopulär und demokratische Regierungen fürchten sich davor, nicht wiedergewählt zu werden.
Adrian Figueroa — Das Stück zeigt, dass nicht nur das Ökosystem durch Hitzewellen und Stürme bedroht ist, sondern auch das demokratische System. Für mich ist der interessanteste Aspekt am Stück, dass darin eine Dystopie gezeigt wird, in der Regierungen nicht mehr funktionieren oder zumindest nicht mehr auf die bekannte Art und Weise. Wir müssen also eine Lösung dafür finden, wie wir gleichzeitig demokratisch sein und einen Systemwandel herbeiführen können. Zukünftige Generationen sollten nicht vergessen, dass unsere heutige Demokratie noch gar nicht so lange existiert.
Den Angeklagten droht im Falle einer Verurteilung die Todesstrafe.
Dawn King — Die Todesstrafe gehörte zu meiner Ursprungsidee dazu, zu diesem Witz, dass ich mich für so grün hielt und meine künstlerische Arbeit als so wichtig empfand aber in der Zukunft die erste wäre, die man hinrichten würde. Das ist dunkel und eine schreckliche Art von Humor, wenn ein 12-Jähriger auf der Bühne ein Todesurteil spricht und einen Moment später über Eissorten nachdenkt. Für mich ist es die höchste Strafe, die man erhalten kann, wenn man die Regeln verletzt. Man wird verurteilt und muss für seine Verbrechen bezahlen.
Adrian Figueroa — Wenn man ein Stück mit jungen Menschen macht, heißt das nicht, dass existentielle und fundamentale Fragen oder sogar brutale Themen nicht behandelt werden können – nur weil man annimmt, sie könnten sich das nicht vorstellen. Die Klimakrise ist ebenfalls eine Krise der Vorstellungskraft und die Kunst und ganz besonders das Theater besitzen diese entscheidende Fähigkeit zur Imagination. Ein Theaterstück erzeugt eine Illusion und ermöglicht es uns, die Zukunft oder sogar den eigenen Tod vorzustellen. Deswegen ist das Ende bei diesem Stück so entscheidend, auch wenn es brutal und trostlos ist. Ohne dieses Ende ginge die Dringlichkeit der ganzen Debatte verloren.
Bleibt bei aller dieser Düsterkeit am Ende des Stücks denn auch etwas Hoffnung übrig?
Dawn King — Es ist eine beängstigende Welt, aber es gibt in dem Stück auch viel Humor. Die jungen Menschen finden sich in der zukünftigen Welt irgendwie zurecht, sie flirten miteinander und unterhalten sich über das Wochenende. Sie leben noch und passen sich an. Und darin besteht für mich Hoffnung. Selbst wenn es keine Hoffnung gäbe, sollten wir so handeln, als gäbe es sie.
Dawn King — Dass wenige große Unternehmen im Verhältnis zur Weltbevölkerung den größten Anteil an Umweltverschmutzung und CO2-Emissionen verursachen, ist lange bekannt. Dennoch stellt sich die Frage nach der individuellen Verantwortung des Einzelnen. Ist es in Ordnung nichts zu tun, sich nicht zu verändern, nur weil man das Gefühl hat, dass man gar nichts tun kann? In der Welt des Stücks wurden die CEOs großer Unternehmen und andere Führungsfiguren längst verurteilt. Die Gerichtsprozesse haben sich weiterentwickelt und nun sind eben die etwas gewöhnlicheren Menschen an der Reihe. Das ist natürlich ein dystopisches Zukunftsszenario, das die Frage aufwirft, ob das Tribunal in dieser Konstitution überhaupt gerecht ist, was im Übrigen auch von den Jurymitgliedern diskutiert wird. Die Frage, ab wann man sich an einer Sache schuldig macht, trifft sie ebenso wie die Angeklagten und indem sie die Erwachsenen verurteilen, verlieren sie gewissermaßen ihre Unschuld.
Als zweite Angeklagte tritt in dem Stück eine Autorin auf – in der Inszenierung ist es ein männlicher Autor. Gleichzeitig findet das Tribunal in einem verlassenen Theater statt, das offenbar nicht mehr als solches genutzt wird. Zweifelt das Stück an der politischen Wirksamkeit von Kunst?
Dawn King — Tatsächlich habe ich mich als Angeklagte Zwei ins Stück eingeschrieben und auch das Theater als einen Ort, der Teil der Umweltverschmutzung ist. Es gibt also dieses Metanarrativ über die zweite Angeklagte, eine Autorin, die Stücke über die Klimakrise geschrieben hat und sich fragt, ob ihre Arbeit irgendetwas bewirkt hat. Tatsächlich versuche ich persönlich durchaus, mit diesem Stück etwas zu verändern. Zuvor hatte mich so etwas nicht interessiert, aber bei diesem Stück wäre es problematisch, es zu inszenieren, ohne über die Produktionsweise nachzudenken. Aus diesem Grund habe ich dem Text eine Diversitäts- und Nachhaltigkeitsklausel vorangestellt, die ich in Zukunft in alle meine Stücke integrieren möchte, auch weil sie Theatermacher*innen dabei unterstützen könnte, Veränderungen durchzusetzen.
Am Anfang des Stücks steht, dieses solle »so umweltfreundlich und nachhaltig wie möglich produziert werden«. Wie sind Sie in der Produktion mit dieser Herausforderung umgegangen?
Adrian Figueroa — Als Produktionsteam, zu dem neben Ketan Bhatti (Musik) auch die Bühnen- und Kostümbildnerin Irina Schicketanz gehört, haben wir uns intensiv mit den Möglichkeiten einer nachhaltigen Produktion beschäftigt. Es war eine ganz bewusste Entscheidung, für diese Inszenierung kein Bühnenbild zu entwerfen, sondern das Theater als leeren Raum zu nutzen, dessen Potential die Jugendlichen nach und nach entdecken. Darüber hinaus haben wir uns die Frage gestellt, was wir tatsächlich neu produzieren und wo wir auf Dinge zurückgreifen können, die bereits da sind. Im Theater gibt es tolle Dinge, kaputte, vergessene und weggeworfene Objekte, die in irgendeinem Keller lagern und wirkliche Schätze sind. Eines unserer größten Bühnenteile ist ein bemalter Prospekt, der für Robert Wilsons Inszenierung von »Der Sandmann« angefertigt, aber nie verwendet wurde. Diese Arbeitsweise war wirklich inspirierend und ich könnte mir gut vorstellen, so weiterzuarbeiten. Theater ist nicht außerhalb der Gesellschaft, sondern ein Teil davon und wenn sich gesellschaftliche Veränderungen ereignen, sollten wir diese auch innerhalb der Institutionen aufgreifen und sogar weiterdenken.
Im Stück sind Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit nicht länger freiwillig sondern verpflichtend. Was ist das für ein staatliches System, das sich an der Macht befindet?
Dawn King — In der Fiktion des Stücks ist es nicht länger möglich, Fleisch oder Milchprodukte zu kaufen. Alle ernähren sich vegan und man kann nicht fliegen, ohne eine staatliche Erlaubnis zu haben. Alles dreht sich um Nachhaltigkeit, es handelt sich jedoch nicht um eine grüne Utopie sondern um ein autoritäres System. Die Regierung ist wirklich düster und erschreckend, denn sie nimmt den Tod von Menschen in Kauf, aber gleichzeitig ist sie wirklich effektiv darin, die Klimakrise einzudämmen. Aktuell erleben wir, wie Demokratien mit ihren Antworten auf die Klimakrise an ihre Grenzen gelangen, denn notwendige Handlungen sind unpopulär und demokratische Regierungen fürchten sich davor, nicht wiedergewählt zu werden.
Adrian Figueroa — Das Stück zeigt, dass nicht nur das Ökosystem durch Hitzewellen und Stürme bedroht ist, sondern auch das demokratische System. Für mich ist der interessanteste Aspekt am Stück, dass darin eine Dystopie gezeigt wird, in der Regierungen nicht mehr funktionieren oder zumindest nicht mehr auf die bekannte Art und Weise. Wir müssen also eine Lösung dafür finden, wie wir gleichzeitig demokratisch sein und einen Systemwandel herbeiführen können. Zukünftige Generationen sollten nicht vergessen, dass unsere heutige Demokratie noch gar nicht so lange existiert.
Den Angeklagten droht im Falle einer Verurteilung die Todesstrafe.
Dawn King — Die Todesstrafe gehörte zu meiner Ursprungsidee dazu, zu diesem Witz, dass ich mich für so grün hielt und meine künstlerische Arbeit als so wichtig empfand aber in der Zukunft die erste wäre, die man hinrichten würde. Das ist dunkel und eine schreckliche Art von Humor, wenn ein 12-Jähriger auf der Bühne ein Todesurteil spricht und einen Moment später über Eissorten nachdenkt. Für mich ist es die höchste Strafe, die man erhalten kann, wenn man die Regeln verletzt. Man wird verurteilt und muss für seine Verbrechen bezahlen.
Adrian Figueroa — Wenn man ein Stück mit jungen Menschen macht, heißt das nicht, dass existentielle und fundamentale Fragen oder sogar brutale Themen nicht behandelt werden können – nur weil man annimmt, sie könnten sich das nicht vorstellen. Die Klimakrise ist ebenfalls eine Krise der Vorstellungskraft und die Kunst und ganz besonders das Theater besitzen diese entscheidende Fähigkeit zur Imagination. Ein Theaterstück erzeugt eine Illusion und ermöglicht es uns, die Zukunft oder sogar den eigenen Tod vorzustellen. Deswegen ist das Ende bei diesem Stück so entscheidend, auch wenn es brutal und trostlos ist. Ohne dieses Ende ginge die Dringlichkeit der ganzen Debatte verloren.
Bleibt bei aller dieser Düsterkeit am Ende des Stücks denn auch etwas Hoffnung übrig?
Dawn King — Es ist eine beängstigende Welt, aber es gibt in dem Stück auch viel Humor. Die jungen Menschen finden sich in der zukünftigen Welt irgendwie zurecht, sie flirten miteinander und unterhalten sich über das Wochenende. Sie leben noch und passen sich an. Und darin besteht für mich Hoffnung. Selbst wenn es keine Hoffnung gäbe, sollten wir so handeln, als gäbe es sie.
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