Kunst
Arbeit mit Menschen – Ein Gespräch über das Prinzip Bürgerbühne: die Lust am Theaterspielen, spezielle Arbeitsprozesse mit Bürgerinnen und Bürgern und die Stücke der kommenden Spielzeit
Die Bürgerbühne ist die jüngste der drei Sparten des Düsseldorfer Schauspielhauses. Seit ihrer Gründung vor zwei Jahren haben mehr als vierhundert Menschen aktiv und kreativ in künstlerischen Prozessen mitgewirkt. Aber wie genau funktioniert diese Sparte, wie ist sie aufgebaut, was macht sie aus? Ein Austausch über das Prinzip Bürgerbühne. Mit Christof Seeger-Zurmühlen (Regisseur und Leiter der Bürgerbühne), Hannah Biedermann (Regisseurin von »Perfect Family«), Angelika Heintz (62, Philosophin, Coach und Spielerin in »Das kalte Herz«), Ahmed Shmouki (18, Schüler und Spieler in »Frühlings Erwachen«) und Michael Swoboda (25, aktives Parteimitglied der SPD und Spieler in »Düsseldorf first!«).
Wie seid ihr eigentlich zur Bürgerbühne gekommen?
Ahmed Shmouki — Ich habe im Jungen Schauspiel in einem der Klubs gespielt und dort von dem Casting für »Frühlings Erwachen« erfahren. Da bin ich dann gewesen, und es hat geklappt.
Angelika Heintz — Ich hatte Lust, mich schauspielerisch auszuprobieren. Dann bekam ich von einem Freund den Hinweis, dass die Bürgerbühne dabei ist, sich in Düsseldorf zu etablieren. Ich habe gegoogelt, bin zu einer Informationsveranstaltung gegangen, und dann war ich dabei.
Casting oder Informationsveranstaltung: Was ist es denn nun?
Christof Seeger-Zurmühlen — Am Anfang setzen wir ein Thema – das ist das Herzstück der Idee. Anhand dieses Themas machen wir Aufrufe in der Stadtgesellschaft, die sich an Menschen richten, die etwas zu unserem Thema zu sagen haben, und laden zu Informationsveranstaltungen ein. Im Theater geht es ja immer um Geschichten, die sind das Interessante und die versuchen wir wie Trüffelschweine aufzuspüren. Es geht bei uns nicht wie bei einem normalen Casting darum, irgendetwas zu schaffen oder nicht zu schaffen. Es geht um das Thema und darum, dafür Mitstreiter*innen zu finden.
Bürgerbühne heißt nicht unbedingt: Ich komme, gehe auf die Bühne und spiele meine Geschichte. Es ist eine vielfältigere Form.
Christof Seeger-Zurmühlen — Es gab auch die Situation, dass Menschen gesagt haben: Ich muss euch eine spannende, berührende Geschichte erzählen, aber ich will auf keinen Fall selbst mitspielen. Das heißt, das Theater schenkt eine Bühne und die Menschen schenken uns ihre Geschichten. Ob sie dann da selbst stehen oder ob es verfremdet wird, ist der nächste Schritt. Da sind wir dann schon bei der Kunst.
Da unterscheidet sich die Bürgerbühne vom Laientheater. Ihr habt nicht den Anspruch, Shakespeare oder Tennessee Williams nur ohne Profischauspielerinnen und -schauspieler zu spielen.
Christof Seeger-Zurmühlen — Absolut richtig. Es geht darum, ein Theaterstück als Grundlage für die Geschichten zu nehmen, die die Mitwirkenden mitbringen. In dieser Spielzeit haben wir z. B. »Peer Gynt«, ein Projekt, in dem sich Jugendliche mit dem Drang nach Erfolg auseinandersetzen. Anhand der Geschichte von Ibsen werden sich die Jugendlichen mit ihren Talenten, aber auch mit eventuellen Mankos beschäftigen, die man durch kleine Lügen kaschieren muss. Bei »Eva und Adam« sind die aktuelle gesellschaftliche Diskussion um die Gleichberechtigung von Mann und Frau und die Vorwürfe von Machtmissbrauch der Ausgangspunkt. Diesem Spannungsfeld wollen wir mit Bürgerinnen und Bürgern dieser Stadt auf den Grund gehen. In »Deutschland. Ein Wintermärchen« begegnet ein diverses Ensemble Heinrich Heines Blick auf Deutschland.
Michael, die anderen beiden hatten eine Lust am Theaterspielen, du hast ja zunächst eine Lust an der Politik. Wie bist du zur Bürgerbühne gekommen?
Michael Swoboda — Ich habe in einer Ausschreibung gelesen, dass politisch interessierte Menschen gesucht werden. Da ich mir zu der Zeit grundsätzlich Gedanken über Politik gemacht habe, fand ich das Projekt spannend und bin zum Informationstreffen gegangen. Und das obwohl ich eigentlich im Vorfeld gesagt hätte, ich würde nie eine Bühne betreten.
Aber Politik hat ja auch etwas mit Bühne zu tun, oder?
Michael Swoboda — Ja, sicherlich. Wenn man Politik macht, gibt es immer einen gewissen Drang, auf die Bühne zu gehen. Der ist bei manchen Menschen aber ausgeprägter als bei mir. Ich mache Politik, vor allem weil ich Lust habe zu diskutieren. Was ich spannend finde, ist, dass ich in der Politik in bestimmten Zwängen agiere. Ich vertrete die Partei. Auf der Bühne bin ich freier, kann mich selbst zeigen und auch Sachen sagen, die ich vielleicht nicht unbedingt sagen würde, wenn ich die Organisation repräsentiere.
Du bewegst dich aber trotzdem in dem Umfeld, für das du dich entschieden hast. Von dir, Angelika, und von dir, Ahmed, wurde ja eher erwartet, auch wirklich intime, persönliche Sachen auf die Bühne zu bringen. Seid ihr dazu von vornherein bereit gewesen oder musste da erst ein Vertrauen entstehen?
Angelika Heintz — Das war schon ein Überwindungsprozess. Die Bereitschaft, mit einer Geschichte aufzutreten, die in meinem Leben nicht unbedingt positiv besetzt ist, musste sich erst aufbauen. Aber je mehr diese Bereitschaft gewachsen ist, desto größer war auch der Benefit für mich selbst. Auf der anderen Seite konnte ich auch davon ausgehen, dass ich nicht die Einzige bin in dieser Stadt, die eine finanzielle Pleite erlebt hat. Und wenn ich meine Geschichte erzähle, geben sich die Zuschauenden vielleicht ja auch die Erlaubnis, mit den eigenen Themen offener umzugehen.
Ahmed, bei »Frühlings Erwachen« geht es um Sexualität und erste Liebe. Da muss doch eine Gruppe noch mal ganz anders zusammenwachsen, oder?
Ahmed Shmouki — Ich komme aus dem Irak, und ich habe das in meinem Land noch nie erlebt wie in Deutschland. Ich wünschte, meine Eltern könnten das sehen. Die Jugendlichen hier sind verrückt. Die wollen auf jeden Fall alles machen, und unser Stück beschreibt eigentlich alles.
Man bringt seine eigenen Geschichten ein, und am Ende wird es eine Inszenierung. Da muss viel weggelassen werden. Habt ihr da schmerzvolle Verluste hinnehmen müssen, damit es, wie Christof sagte, Kunst wird?
Ahmed Shmouki — Auf jeden Fall. Aber wir sind 14 Leute auf der Bühne. Wenn jeder eine Seite Text bekommt, ist das schon sehr viel. Ich habe dem Publikum aber auf jeden Fall meine Geschichte erzählt. Und wir waren am Ende alle zufrieden.
Habt ihr denn am Ende noch Mitspracherecht oder hat irgendwann die Kunstabteilung das Sagen?
Angelika Heintz — Die Kunstabteilung hatte die ganze Zeit das Sagen. Dadurch merkte man aber, dass es um etwas ging. Und wir als Darstellerinnen und Darsteller mit unseren Geschichten haben uns in den Dienst der Sache gestellt. Das fand ich auch korrekt so, da die Einlassung, die von Anfang an kommuniziert wurde, war: Es gibt eine Chance, bei dem Projekt dabei zu sein, unter professioneller Anleitung, aber dafür muss man dann auch seinen Beitrag leisten. Es war aber im ganzen Prozess immer möglich, sich einzubringen. Wir haben über Texte diskutiert und über den Verlauf des Stücks. Am Ende entscheidet natürlich der Regisseur oder die Regisseurin, aber man geht den Weg gemeinsam.
Hannah, arbeitest du das erste Mal an einer Bürgerbühne?
Hannah Biedermann — Ja. Also an einer, die sich so nennt.
Das heißt, du hast schon ähnliche Projekte gemacht?
Hannah Biedermann — Da ich ja fast ausschließlich Stückentwicklungen mache, interessiere ich mich immer für das, was die Menschen zu sagen haben. Und die stehen dann auch weniger als Träger einer Rolle auf der Bühne denn als sie selbst. Und da ähnelt es sich, ja.
Aber es gibt doch sicher Unterschiede bei der Arbeit mit Profis oder mit Nichtprofis.
Hannah Biedermann — Natürlich haben ausgebildete Schauspieler*innen ein Handwerkszeug, und das finde ich manchmal hilfreich, manchmal aber auch ein bisschen sperrig. Ich arbeite vornehmlich im Kinder- und Jugendtheater, in dem die Grundbedingung ist, dass Erwachsene auf der Bühne stehen und Kinder im Zuschauerraum sitzen. Und da finde ich es immer hilfreich, wenn man eine sehr direkte Kommunikation wählt, wenn man sich selbst als verletzbar, suchend und unwissend zeigt. Und da kann manchmal jemand, der das nicht gewohnt ist, Ängsten ausgesetzt sein. Was denken die Menschen im Publikum, wenn ich hier als Privatperson stehe? Man fühlt sich verletzlicher und muss dem Kunstmittel, den Mitteln der Verfremdung, des Tauschens der Geschichten und dem Aufgehobensein in einem Rahmen viel mehr vertrauen.
Glaubt ihr als Darstellerinnen und Darsteller der Bürgerbühne an den Schutzraum, wenn z. B. Menschen im Publikum sitzen, die ihr kennt?
Angelika Heintz — Ja, das war Teil des Prozesses. Ich hatte es für mich vorher geklärt. Sonst hätte ich mich auch nicht hingestellt und die Geschichte erzählt.
Michael Swoboda — Klar hab ich mich selbst reflektiert. Wie werde ich im Stück wahrgenommen und wie wohl nicht? Aber es ist schön, dass ich sagen kann, ich habe eine Rolle gefunden, die Beachtung erfährt. Auch oder vor allem weil ich eine Seite zeige, die man vielleicht nicht jeden Tag sieht.
Hannah, du machst in der nächsten Spielzeit ein Projekt mit Menschen mit Körperbehinderungen über das Familienbild. Wie bereitest du das vor?
Hannah Biedermann — Zunächst einmal wissen wir gar nicht, in welcher Form eingeschränkt die Beteiligten auf der Bühne sein werden. Wir fangen erst im Herbst an zu suchen. Und ich bin auch an Menschen mit geistiger Behinderung interessiert. In Bezug auf das Thema Familie stelle ich dann die verschiedensten Fragen: Wer kennt den Wunsch nach einem eigenen Kind und die darauf folgende Unterstellung, dass es nicht machbar ist, mit einer Einschränkung ein Kind aufzuziehen? Wer hat es für sich noch nie in Betracht gezogen, diese Art von Familie zu leben? Wer ist mit blinden Eltern groß geworden? Wessen Mutter sitzt im Rollstuhl? Damit fängt es an. Und ich behaupte, dass da etwas unter einem Brennglas genau betrachtet werden kann. Da kann die Bürgerbühne etwas zeigen, was es im professionellen Theater kaum gibt. Dort gibt es fast keine körperlich gehandicapten Schauspielerinnen und Schauspieler und erst recht keine mit geistiger Behinderung. Außer natürlich in Extragruppen wie Ramba Zamba in Berlin. Diesen Menschen eine breitere Sichtbarkeit und Öffentlichkeit zu geben, das ist sicherlich ein Anliegen. Aber es ist auch wichtig, das Thema nicht zu sehr auszuformulieren, bevor man überhaupt jemanden getroffen hat.
Die Arbeitsprozesse sind völlig anders, als man sie im Theater gewohnt ist. Jedes Projekt braucht einen deutlich längeren Vorlauf. Christof, wie begegnet das Theater dem erhöhten Organisationsaufwand, den die einzelnen Projekte benötigen?
Christof Seeger-Zurmühlen — Wir schaffen im laufenden Betrieb die Strukturen für die einzelnen Projekte. In Bezug auf Hannahs Projekt müssen wir z. B. berücksichtigen, dass Personen mit speziellem Know-how in der Betreuung von gehandicapten Menschen in den Prozess mit eingebunden werden. Die Proben dauern zehn bis zwölf Wochen. Wir brauchen also einen längeren Vorlauf, und der Probenprozess ist auch deutlich länger als im Theater mit Profis, aber die größte Herausforderung kommt nach der Premiere. Weil das Leben mitspielt. Das gilt für jede Bürgerbühneninszenierung. Für zwölf Wochen kann man seine Hobbys, seinen Job und seine Familie mal vernachlässigen, aber nach der Premiere ist das nicht mehr so einfach. Wir als Theater müssen dann schauen, wie wir das Stück in eine Struktur kriegen, damit die Abende trotzdem repertoirefähig sind und die Qualität nicht leidet.
Gibt es nach jeder Vorstellung noch mal eine richtige Kritik?
Michael Swoboda — Nach jeder Aufführung bekommen wir Feedback von der Regieassistentin. Und ich gucke mir vor jeder Vorstellung den Text noch mal an, weil teilweise ja wirklich drei bis vier Wochen zwischen den Aufführungen liegen. Da muss man ja erst mal wieder reinkommen.
Stresst euch das?
Michael Swoboda — Ich finde es immer wieder ganz schön, zum Theater zurückzukommen. Die Probenzeit war zeitlich schon sehr intensiv, aber es hat immer Spaß gemacht. Positiver Stress, wenn man so will.
Christof, du leitest seit einiger Zeit die Bürgerbühne. Wenn du zurück und nach vorn schaust, würdest du sagen, es läuft gut?
Christof Seeger-Zurmühlen — Rückblickend und mit den Erfahrungen aus den vergangenen zwei Spielzeiten muss ich sagen, dass es ein echter Glücksfall ist, eine solche Disziplin an einem Stadttheater dieser Größenordnung als Sparte auszurufen. Das Theater hatte sich über die Jahre zu einem Ort für einige statt zu einem Ort für alle entwickelt. Ich glaube, dass das Theater in naher Zukunft noch eine andere sehr wichtige Rolle spielen wird. Weil wir aufzeigen können, wie vielfältig eine Kultur, eine Gesellschaft wirklich ist. Wir können Menschen unterschiedlichster Kulturen zusammenbringen, die dann gemeinsam aktiv werden. Wir begreifen das Theater nicht nur als einen Ort der Künstlerinnen und Künstler, sondern als einen Ort für alle. Als einen Ort, der von Bürgerinnen und Bürgern einer Stadt als ihr eigener wahrgenommen wird, in dem jeder willkommen ist. Bürgerinnen und Bürger, das ist euer Theater.
Das Gespräch führte der Journalist und Kritiker Stefan Keim, freier Kulturjournalist u. a. für WDR, Deutschlandradio Kultur und Welt am Sonntag.
Der Text ist erschienen im Spielzeitheft 2018/19.
Wie seid ihr eigentlich zur Bürgerbühne gekommen?
Ahmed Shmouki — Ich habe im Jungen Schauspiel in einem der Klubs gespielt und dort von dem Casting für »Frühlings Erwachen« erfahren. Da bin ich dann gewesen, und es hat geklappt.
Angelika Heintz — Ich hatte Lust, mich schauspielerisch auszuprobieren. Dann bekam ich von einem Freund den Hinweis, dass die Bürgerbühne dabei ist, sich in Düsseldorf zu etablieren. Ich habe gegoogelt, bin zu einer Informationsveranstaltung gegangen, und dann war ich dabei.
Casting oder Informationsveranstaltung: Was ist es denn nun?
Christof Seeger-Zurmühlen — Am Anfang setzen wir ein Thema – das ist das Herzstück der Idee. Anhand dieses Themas machen wir Aufrufe in der Stadtgesellschaft, die sich an Menschen richten, die etwas zu unserem Thema zu sagen haben, und laden zu Informationsveranstaltungen ein. Im Theater geht es ja immer um Geschichten, die sind das Interessante und die versuchen wir wie Trüffelschweine aufzuspüren. Es geht bei uns nicht wie bei einem normalen Casting darum, irgendetwas zu schaffen oder nicht zu schaffen. Es geht um das Thema und darum, dafür Mitstreiter*innen zu finden.
Bürgerbühne heißt nicht unbedingt: Ich komme, gehe auf die Bühne und spiele meine Geschichte. Es ist eine vielfältigere Form.
Christof Seeger-Zurmühlen — Es gab auch die Situation, dass Menschen gesagt haben: Ich muss euch eine spannende, berührende Geschichte erzählen, aber ich will auf keinen Fall selbst mitspielen. Das heißt, das Theater schenkt eine Bühne und die Menschen schenken uns ihre Geschichten. Ob sie dann da selbst stehen oder ob es verfremdet wird, ist der nächste Schritt. Da sind wir dann schon bei der Kunst.
Da unterscheidet sich die Bürgerbühne vom Laientheater. Ihr habt nicht den Anspruch, Shakespeare oder Tennessee Williams nur ohne Profischauspielerinnen und -schauspieler zu spielen.
Christof Seeger-Zurmühlen — Absolut richtig. Es geht darum, ein Theaterstück als Grundlage für die Geschichten zu nehmen, die die Mitwirkenden mitbringen. In dieser Spielzeit haben wir z. B. »Peer Gynt«, ein Projekt, in dem sich Jugendliche mit dem Drang nach Erfolg auseinandersetzen. Anhand der Geschichte von Ibsen werden sich die Jugendlichen mit ihren Talenten, aber auch mit eventuellen Mankos beschäftigen, die man durch kleine Lügen kaschieren muss. Bei »Eva und Adam« sind die aktuelle gesellschaftliche Diskussion um die Gleichberechtigung von Mann und Frau und die Vorwürfe von Machtmissbrauch der Ausgangspunkt. Diesem Spannungsfeld wollen wir mit Bürgerinnen und Bürgern dieser Stadt auf den Grund gehen. In »Deutschland. Ein Wintermärchen« begegnet ein diverses Ensemble Heinrich Heines Blick auf Deutschland.
Michael, die anderen beiden hatten eine Lust am Theaterspielen, du hast ja zunächst eine Lust an der Politik. Wie bist du zur Bürgerbühne gekommen?
Michael Swoboda — Ich habe in einer Ausschreibung gelesen, dass politisch interessierte Menschen gesucht werden. Da ich mir zu der Zeit grundsätzlich Gedanken über Politik gemacht habe, fand ich das Projekt spannend und bin zum Informationstreffen gegangen. Und das obwohl ich eigentlich im Vorfeld gesagt hätte, ich würde nie eine Bühne betreten.
Aber Politik hat ja auch etwas mit Bühne zu tun, oder?
Michael Swoboda — Ja, sicherlich. Wenn man Politik macht, gibt es immer einen gewissen Drang, auf die Bühne zu gehen. Der ist bei manchen Menschen aber ausgeprägter als bei mir. Ich mache Politik, vor allem weil ich Lust habe zu diskutieren. Was ich spannend finde, ist, dass ich in der Politik in bestimmten Zwängen agiere. Ich vertrete die Partei. Auf der Bühne bin ich freier, kann mich selbst zeigen und auch Sachen sagen, die ich vielleicht nicht unbedingt sagen würde, wenn ich die Organisation repräsentiere.
Du bewegst dich aber trotzdem in dem Umfeld, für das du dich entschieden hast. Von dir, Angelika, und von dir, Ahmed, wurde ja eher erwartet, auch wirklich intime, persönliche Sachen auf die Bühne zu bringen. Seid ihr dazu von vornherein bereit gewesen oder musste da erst ein Vertrauen entstehen?
Angelika Heintz — Das war schon ein Überwindungsprozess. Die Bereitschaft, mit einer Geschichte aufzutreten, die in meinem Leben nicht unbedingt positiv besetzt ist, musste sich erst aufbauen. Aber je mehr diese Bereitschaft gewachsen ist, desto größer war auch der Benefit für mich selbst. Auf der anderen Seite konnte ich auch davon ausgehen, dass ich nicht die Einzige bin in dieser Stadt, die eine finanzielle Pleite erlebt hat. Und wenn ich meine Geschichte erzähle, geben sich die Zuschauenden vielleicht ja auch die Erlaubnis, mit den eigenen Themen offener umzugehen.
Ahmed, bei »Frühlings Erwachen« geht es um Sexualität und erste Liebe. Da muss doch eine Gruppe noch mal ganz anders zusammenwachsen, oder?
Ahmed Shmouki — Ich komme aus dem Irak, und ich habe das in meinem Land noch nie erlebt wie in Deutschland. Ich wünschte, meine Eltern könnten das sehen. Die Jugendlichen hier sind verrückt. Die wollen auf jeden Fall alles machen, und unser Stück beschreibt eigentlich alles.
Man bringt seine eigenen Geschichten ein, und am Ende wird es eine Inszenierung. Da muss viel weggelassen werden. Habt ihr da schmerzvolle Verluste hinnehmen müssen, damit es, wie Christof sagte, Kunst wird?
Ahmed Shmouki — Auf jeden Fall. Aber wir sind 14 Leute auf der Bühne. Wenn jeder eine Seite Text bekommt, ist das schon sehr viel. Ich habe dem Publikum aber auf jeden Fall meine Geschichte erzählt. Und wir waren am Ende alle zufrieden.
Habt ihr denn am Ende noch Mitspracherecht oder hat irgendwann die Kunstabteilung das Sagen?
Angelika Heintz — Die Kunstabteilung hatte die ganze Zeit das Sagen. Dadurch merkte man aber, dass es um etwas ging. Und wir als Darstellerinnen und Darsteller mit unseren Geschichten haben uns in den Dienst der Sache gestellt. Das fand ich auch korrekt so, da die Einlassung, die von Anfang an kommuniziert wurde, war: Es gibt eine Chance, bei dem Projekt dabei zu sein, unter professioneller Anleitung, aber dafür muss man dann auch seinen Beitrag leisten. Es war aber im ganzen Prozess immer möglich, sich einzubringen. Wir haben über Texte diskutiert und über den Verlauf des Stücks. Am Ende entscheidet natürlich der Regisseur oder die Regisseurin, aber man geht den Weg gemeinsam.
Hannah, arbeitest du das erste Mal an einer Bürgerbühne?
Hannah Biedermann — Ja. Also an einer, die sich so nennt.
Das heißt, du hast schon ähnliche Projekte gemacht?
Hannah Biedermann — Da ich ja fast ausschließlich Stückentwicklungen mache, interessiere ich mich immer für das, was die Menschen zu sagen haben. Und die stehen dann auch weniger als Träger einer Rolle auf der Bühne denn als sie selbst. Und da ähnelt es sich, ja.
Aber es gibt doch sicher Unterschiede bei der Arbeit mit Profis oder mit Nichtprofis.
Hannah Biedermann — Natürlich haben ausgebildete Schauspieler*innen ein Handwerkszeug, und das finde ich manchmal hilfreich, manchmal aber auch ein bisschen sperrig. Ich arbeite vornehmlich im Kinder- und Jugendtheater, in dem die Grundbedingung ist, dass Erwachsene auf der Bühne stehen und Kinder im Zuschauerraum sitzen. Und da finde ich es immer hilfreich, wenn man eine sehr direkte Kommunikation wählt, wenn man sich selbst als verletzbar, suchend und unwissend zeigt. Und da kann manchmal jemand, der das nicht gewohnt ist, Ängsten ausgesetzt sein. Was denken die Menschen im Publikum, wenn ich hier als Privatperson stehe? Man fühlt sich verletzlicher und muss dem Kunstmittel, den Mitteln der Verfremdung, des Tauschens der Geschichten und dem Aufgehobensein in einem Rahmen viel mehr vertrauen.
Glaubt ihr als Darstellerinnen und Darsteller der Bürgerbühne an den Schutzraum, wenn z. B. Menschen im Publikum sitzen, die ihr kennt?
Angelika Heintz — Ja, das war Teil des Prozesses. Ich hatte es für mich vorher geklärt. Sonst hätte ich mich auch nicht hingestellt und die Geschichte erzählt.
Michael Swoboda — Klar hab ich mich selbst reflektiert. Wie werde ich im Stück wahrgenommen und wie wohl nicht? Aber es ist schön, dass ich sagen kann, ich habe eine Rolle gefunden, die Beachtung erfährt. Auch oder vor allem weil ich eine Seite zeige, die man vielleicht nicht jeden Tag sieht.
Hannah, du machst in der nächsten Spielzeit ein Projekt mit Menschen mit Körperbehinderungen über das Familienbild. Wie bereitest du das vor?
Hannah Biedermann — Zunächst einmal wissen wir gar nicht, in welcher Form eingeschränkt die Beteiligten auf der Bühne sein werden. Wir fangen erst im Herbst an zu suchen. Und ich bin auch an Menschen mit geistiger Behinderung interessiert. In Bezug auf das Thema Familie stelle ich dann die verschiedensten Fragen: Wer kennt den Wunsch nach einem eigenen Kind und die darauf folgende Unterstellung, dass es nicht machbar ist, mit einer Einschränkung ein Kind aufzuziehen? Wer hat es für sich noch nie in Betracht gezogen, diese Art von Familie zu leben? Wer ist mit blinden Eltern groß geworden? Wessen Mutter sitzt im Rollstuhl? Damit fängt es an. Und ich behaupte, dass da etwas unter einem Brennglas genau betrachtet werden kann. Da kann die Bürgerbühne etwas zeigen, was es im professionellen Theater kaum gibt. Dort gibt es fast keine körperlich gehandicapten Schauspielerinnen und Schauspieler und erst recht keine mit geistiger Behinderung. Außer natürlich in Extragruppen wie Ramba Zamba in Berlin. Diesen Menschen eine breitere Sichtbarkeit und Öffentlichkeit zu geben, das ist sicherlich ein Anliegen. Aber es ist auch wichtig, das Thema nicht zu sehr auszuformulieren, bevor man überhaupt jemanden getroffen hat.
Die Arbeitsprozesse sind völlig anders, als man sie im Theater gewohnt ist. Jedes Projekt braucht einen deutlich längeren Vorlauf. Christof, wie begegnet das Theater dem erhöhten Organisationsaufwand, den die einzelnen Projekte benötigen?
Christof Seeger-Zurmühlen — Wir schaffen im laufenden Betrieb die Strukturen für die einzelnen Projekte. In Bezug auf Hannahs Projekt müssen wir z. B. berücksichtigen, dass Personen mit speziellem Know-how in der Betreuung von gehandicapten Menschen in den Prozess mit eingebunden werden. Die Proben dauern zehn bis zwölf Wochen. Wir brauchen also einen längeren Vorlauf, und der Probenprozess ist auch deutlich länger als im Theater mit Profis, aber die größte Herausforderung kommt nach der Premiere. Weil das Leben mitspielt. Das gilt für jede Bürgerbühneninszenierung. Für zwölf Wochen kann man seine Hobbys, seinen Job und seine Familie mal vernachlässigen, aber nach der Premiere ist das nicht mehr so einfach. Wir als Theater müssen dann schauen, wie wir das Stück in eine Struktur kriegen, damit die Abende trotzdem repertoirefähig sind und die Qualität nicht leidet.
Gibt es nach jeder Vorstellung noch mal eine richtige Kritik?
Michael Swoboda — Nach jeder Aufführung bekommen wir Feedback von der Regieassistentin. Und ich gucke mir vor jeder Vorstellung den Text noch mal an, weil teilweise ja wirklich drei bis vier Wochen zwischen den Aufführungen liegen. Da muss man ja erst mal wieder reinkommen.
Stresst euch das?
Michael Swoboda — Ich finde es immer wieder ganz schön, zum Theater zurückzukommen. Die Probenzeit war zeitlich schon sehr intensiv, aber es hat immer Spaß gemacht. Positiver Stress, wenn man so will.
Christof, du leitest seit einiger Zeit die Bürgerbühne. Wenn du zurück und nach vorn schaust, würdest du sagen, es läuft gut?
Christof Seeger-Zurmühlen — Rückblickend und mit den Erfahrungen aus den vergangenen zwei Spielzeiten muss ich sagen, dass es ein echter Glücksfall ist, eine solche Disziplin an einem Stadttheater dieser Größenordnung als Sparte auszurufen. Das Theater hatte sich über die Jahre zu einem Ort für einige statt zu einem Ort für alle entwickelt. Ich glaube, dass das Theater in naher Zukunft noch eine andere sehr wichtige Rolle spielen wird. Weil wir aufzeigen können, wie vielfältig eine Kultur, eine Gesellschaft wirklich ist. Wir können Menschen unterschiedlichster Kulturen zusammenbringen, die dann gemeinsam aktiv werden. Wir begreifen das Theater nicht nur als einen Ort der Künstlerinnen und Künstler, sondern als einen Ort für alle. Als einen Ort, der von Bürgerinnen und Bürgern einer Stadt als ihr eigener wahrgenommen wird, in dem jeder willkommen ist. Bürgerinnen und Bürger, das ist euer Theater.
Das Gespräch führte der Journalist und Kritiker Stefan Keim, freier Kulturjournalist u. a. für WDR, Deutschlandradio Kultur und Welt am Sonntag.
Der Text ist erschienen im Spielzeitheft 2018/19.
Die Spielzeit 2018/19 der Bürgerbühne
Eva und Adam
Tatsachen über Frauen und Männer und alles dazwischen
Regie: Christof Seeger-Zurmühlen
Uraufführung am 22. September 2018 — Im Central
Stadt:Kollektiv
Regie: projekt.il
Premiere am 5. November 2018 — In der Münsterstraße 446
Stadt:Kollektiv
Peer Gynt
Düsseldorfer Jugendliche stapeln hoch und setzen alles auf eine Karte
Regie: Felix Krakau — Preis des Körber Studio Junge Regie 2019
Premiere am 16. Dezember 2018 — Schauspielhaus, Kleines Haus
Stadt:Kollektiv
Regie: Hannah Biedermann
Uraufführung am 26. Mai 2019 — Im Schauspielhaus, Kleines Haus
Stadt:Kollektiv