Rausch — Ein Gespräch mit Regisseur Gregory Caers
Der Regisseur erkundet gemeinsam mit dem Ensemble des Jungen Schauspiels die Sehnsucht des Menschen nach Entgrenzung und Gemeinschaft. — Die Fragen stellte David Benjamin Brückel

Was fasziniert dich am Rausch?
Gregory Caers — Die Frage, mit der alles begann, lautete: Was bringt uns dazu, dass wir uns hin und wieder verlieren müssen? Sei es dadurch, dass wir uns betrinken oder Drogen nehmen, sei es in der Religion, im Tanz oder im Fußballstadion. Nach allem, was in den vergangenen Monaten passiert ist, geht es nun aber vielmehr um die Frage, was geschieht, wenn wir das, was wir kennen, aufgeben müssen. Diese Art von Rausch hat damit zu tun, dass wir unsere Freiheit, die Kontrolle oder Macht verlieren und uns etwas Unbekanntem hingeben. Es kann ein Rausch sein, vor etwas zu fliehen, es kann aber auch ein Rausch sein, etwas zuzulassen.
Wie würdest du den Raum beschreiben, in dem unser Stück spielt?
Unser Bühnenbild besteht aus vielen unterschiedlichen Rahmen. Sie definieren mit Plexiglas die Grenzen einer Welt, in der fünf Figuren gefangen sind. Eines Tages dringt etwas von außen ein, das Veränderungen auslöst, sodass die gerahmte, sichere, routinierte Umgebung für die Menschen nicht mehr funktioniert. Ein Wesen erscheint, das so verführerisch, so mächtig, so gefährlich und schön zugleich ist, dass die Figuren nicht widerstehen können, das Fenster oder die Tür zu öffnen und ihm nach draußen zu folgen, um zu schauen, zu fühlen, zu erleben. Doch wer zurückkehrt, muss feststellen, dass er nicht mehr in der Lage ist, weiterzumachen wie zuvor.
In unserer Produktion schöpfen wir aus Filmen und der bildenden Kunst, die als Inspiration dienen – Werke des schwedischen Filmemachers Roy Andersson, die Gemälde von Goran Djurović und Edward Hopper. Welche Beziehung besteht zwischen den Arbeiten dieser Künstler und der Welt auf unserer Bühne?
Die Künstler, die du eben genannt hast – ich würde noch Jacques Tati ergänzen –, erschaffen eine Welt, die wunderschön und traurig zugleich ist. Die Figuren von Hopper blicken immer nach draußen, auf etwas, das den Betrachter*innen der Gemälde verborgen bleibt. Die Figuren von Roy Andersson sprechen direkt in die Kamera, sodass man als Zuschauer*in das Gefühl hat, sie wüssten, dass außerhalb noch eine andere Welt existiert, die ihren Blick erwidert. Doch es fehlt ihnen der Mut, die eigene Welt zu verlassen. Was ich den Welten dieser Künstler hinzufüge, ist Humor. Ursprünglich war auch die antike Tragödie »Die Bakchen« von Euripides ein Bezugspunkt für unsere Inszenierung. In dem Stück verbietet König Pentheus dem Gott Bacchus, dem Volk von Theben den Kopf zu verdrehen und Bacchanalien abzuhalten, also Alkohol zu trinken, Sex zu haben – den ganzen Partykram. Was ich in »Rausch« zeige, ist die Welt, die entstehen würde, wenn wir einen König wie Pentheus hätten. Doch immerhin gibt es in unserer Inszenierung die Möglichkeit eines Auswegs.
Gregory Caers — Die Frage, mit der alles begann, lautete: Was bringt uns dazu, dass wir uns hin und wieder verlieren müssen? Sei es dadurch, dass wir uns betrinken oder Drogen nehmen, sei es in der Religion, im Tanz oder im Fußballstadion. Nach allem, was in den vergangenen Monaten passiert ist, geht es nun aber vielmehr um die Frage, was geschieht, wenn wir das, was wir kennen, aufgeben müssen. Diese Art von Rausch hat damit zu tun, dass wir unsere Freiheit, die Kontrolle oder Macht verlieren und uns etwas Unbekanntem hingeben. Es kann ein Rausch sein, vor etwas zu fliehen, es kann aber auch ein Rausch sein, etwas zuzulassen.
Wie würdest du den Raum beschreiben, in dem unser Stück spielt?
Unser Bühnenbild besteht aus vielen unterschiedlichen Rahmen. Sie definieren mit Plexiglas die Grenzen einer Welt, in der fünf Figuren gefangen sind. Eines Tages dringt etwas von außen ein, das Veränderungen auslöst, sodass die gerahmte, sichere, routinierte Umgebung für die Menschen nicht mehr funktioniert. Ein Wesen erscheint, das so verführerisch, so mächtig, so gefährlich und schön zugleich ist, dass die Figuren nicht widerstehen können, das Fenster oder die Tür zu öffnen und ihm nach draußen zu folgen, um zu schauen, zu fühlen, zu erleben. Doch wer zurückkehrt, muss feststellen, dass er nicht mehr in der Lage ist, weiterzumachen wie zuvor.
In unserer Produktion schöpfen wir aus Filmen und der bildenden Kunst, die als Inspiration dienen – Werke des schwedischen Filmemachers Roy Andersson, die Gemälde von Goran Djurović und Edward Hopper. Welche Beziehung besteht zwischen den Arbeiten dieser Künstler und der Welt auf unserer Bühne?
Die Künstler, die du eben genannt hast – ich würde noch Jacques Tati ergänzen –, erschaffen eine Welt, die wunderschön und traurig zugleich ist. Die Figuren von Hopper blicken immer nach draußen, auf etwas, das den Betrachter*innen der Gemälde verborgen bleibt. Die Figuren von Roy Andersson sprechen direkt in die Kamera, sodass man als Zuschauer*in das Gefühl hat, sie wüssten, dass außerhalb noch eine andere Welt existiert, die ihren Blick erwidert. Doch es fehlt ihnen der Mut, die eigene Welt zu verlassen. Was ich den Welten dieser Künstler hinzufüge, ist Humor. Ursprünglich war auch die antike Tragödie »Die Bakchen« von Euripides ein Bezugspunkt für unsere Inszenierung. In dem Stück verbietet König Pentheus dem Gott Bacchus, dem Volk von Theben den Kopf zu verdrehen und Bacchanalien abzuhalten, also Alkohol zu trinken, Sex zu haben – den ganzen Partykram. Was ich in »Rausch« zeige, ist die Welt, die entstehen würde, wenn wir einen König wie Pentheus hätten. Doch immerhin gibt es in unserer Inszenierung die Möglichkeit eines Auswegs.

Die Corona-Pandemie betrifft unser aller Leben in sehr umfassender Weise. Siehst du einen Zusammenhang zwischen der aktuellen Situation und dem Phänomen Rausch?
Durch Corona sind wir stark eingeschränkt in unseren Freiheiten. Dagegen lehnen wir uns auf, weil wir nicht wissen, wie wir damit umgehen sollen. Alles, was uns bisher dabei geholfen hat, der Realität ein Stück weit zu entfliehen, ist unmöglich geworden. Angenommen der Lockdown, in dem wir uns zu Beginn von Corona befunden haben, würde zur neuen Normalität werden, dann, glaube ich, würden früher oder später sehr gefährliche Seiten der Menschen hervortreten. Es entstünde eine Welt, wie sie Pentheus erschaffen wollte. Voller Einschränkungen. Ohne Auswege.
Wenn wir uns vorstellen, dass es keinen Weg zurück in die alte Normalität gibt – was könnte eine Vision oder ein Funken Hoffnung sein?
Dass wir nie mehr zur alten Normalität zurückkehren, damit kann ich umgehen. Ich denke auch, dass die neue Normalität nicht zwangsläufig mit Corona verbunden sein sollte, sondern damit, wie wir zukünftig mit dem Klima umgehen werden. Denn die Corona-Pandemie ist eine direkte Folge dessen. Wenn man mir sagen würde, dass es ab sofort nicht mehr möglich ist, Theater mit dem bisherigen Aufwand und der ganzen Elektrizität zu machen, würde ich sofort antworten: Lasst uns eine Lösung finden! Einer der Ursprünge des Theaters waren die dionysischen Feste im antiken Griechenland.
Wie kann Theater unter Corona-Regeln Spaß machen und zu einem dionysischen Ereignis werden?
Das ist ein Widerspruch in sich, denn unter bestimmten Umständen kann es kein dionysisches Fest oder Bacchanal geben. Wir können und werden aber auf jeden Fall Theater machen, mit welchen Einschränkungen auch immer. Weil wir wissen, was für einen Einfluss Theater auf Menschen haben kann. Was es mit den Herzen, dem Verstand und den Seelen der Menschen macht, und mit der Art und Weise, wie sie auf die Welt schauen. Solange wir in der Lage sind, die Herzen zu erwärmen, Menschen traurig oder wütend zu machen, müssen wir dies tun. Ob es ein dionysisches Fest sein wird? Vielleicht – aber nicht notwendigerweise. Aber es wird auf jeden Fall Theater sein, und das ist notwendig.
Durch Corona sind wir stark eingeschränkt in unseren Freiheiten. Dagegen lehnen wir uns auf, weil wir nicht wissen, wie wir damit umgehen sollen. Alles, was uns bisher dabei geholfen hat, der Realität ein Stück weit zu entfliehen, ist unmöglich geworden. Angenommen der Lockdown, in dem wir uns zu Beginn von Corona befunden haben, würde zur neuen Normalität werden, dann, glaube ich, würden früher oder später sehr gefährliche Seiten der Menschen hervortreten. Es entstünde eine Welt, wie sie Pentheus erschaffen wollte. Voller Einschränkungen. Ohne Auswege.
Wenn wir uns vorstellen, dass es keinen Weg zurück in die alte Normalität gibt – was könnte eine Vision oder ein Funken Hoffnung sein?
Dass wir nie mehr zur alten Normalität zurückkehren, damit kann ich umgehen. Ich denke auch, dass die neue Normalität nicht zwangsläufig mit Corona verbunden sein sollte, sondern damit, wie wir zukünftig mit dem Klima umgehen werden. Denn die Corona-Pandemie ist eine direkte Folge dessen. Wenn man mir sagen würde, dass es ab sofort nicht mehr möglich ist, Theater mit dem bisherigen Aufwand und der ganzen Elektrizität zu machen, würde ich sofort antworten: Lasst uns eine Lösung finden! Einer der Ursprünge des Theaters waren die dionysischen Feste im antiken Griechenland.
Wie kann Theater unter Corona-Regeln Spaß machen und zu einem dionysischen Ereignis werden?
Das ist ein Widerspruch in sich, denn unter bestimmten Umständen kann es kein dionysisches Fest oder Bacchanal geben. Wir können und werden aber auf jeden Fall Theater machen, mit welchen Einschränkungen auch immer. Weil wir wissen, was für einen Einfluss Theater auf Menschen haben kann. Was es mit den Herzen, dem Verstand und den Seelen der Menschen macht, und mit der Art und Weise, wie sie auf die Welt schauen. Solange wir in der Lage sind, die Herzen zu erwärmen, Menschen traurig oder wütend zu machen, müssen wir dies tun. Ob es ein dionysisches Fest sein wird? Vielleicht – aber nicht notwendigerweise. Aber es wird auf jeden Fall Theater sein, und das ist notwendig.
Gregory Caers (*1975 in Brüssel) ist Regisseur und Schauspieler. Er spielte und inszenierte am Nationaltheater Gent und am Theater Kopergietery. 2011 gründete er zusammen mit Wim De Winne und Ives Thuwis die Kompanie Nevski Prospekt, eine der renommiertesten Gruppen der belgischen Theaterszene, und tourt seitdem mit zahlreichen Produktionen um die ganze Welt. In Düsseldorf entwickelte Caers bereits die internationalen Koproduktionen » Odyssee« und »Obisike – Das Herz einer Löwin« sowie das Familienstück »Das geheime Haus«.
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